Es war einmal Aleppo - Jennifer Benkau [12 - 15 Jahre]

  • Dieses Buch behandelt ein Thema, dass uns alle irgendwo betrifft - entweder direkt, wie die Protagonistin des Buches, die nach einem Urlaub plötzlich feststellt, dass aus dem Tennisclub gegenüber ein Flüchtlingsheim geworden ist, oder indirekt, weil das Thema Flüchtlingskrise ja ständig in den Medien ist.


    Die Autorin geht das Thema aus der Perspektive der sechzehnjährigen Antonia an, die zunächst aufgrund negativer Vorerfahrungen völlig überfordert von dem Gedanken an ein Flüchtlingsheim genau gegenüber ist. Sie lässt sich dann aber, mitgezogen von ihrer besten Freundin, auf einen Kontakt ein und beginnt, sich ehrenamtlich zu engagieren.


    Ihre Familie ist dazu nicht bereit - hier bringt die Autorin geschickt die verschiedenen Standpunkte ein, die man im Alltag immer wieder hört: Angst vor dem Fremden, wirtschaftliche Bedenken (Wertverlust der Immobilie), Angst vor Übergriffen, Vorbehalte gegen den Islam. Als erwachsener Leser hinterfragt man durchaus kritisch, welche dieser Bedenken man teilt und ob man die Bedenkenträger da versteht.


    Aus der Sicht eines Flüchtlings, mit dem Antonia sich anfreundet, erfährt sie und damit auch der Leser einiges über die Entwicklungen in Syrien, die zu den Flüchtlingsströmen geführt haben, und darüber, was Flüchtlinge auf der Flucht mitmachen und wie sich diese Geschehnisse auf einen Menschen auswirken.


    Trotz der Schwere des Themas schafft die Autorin hier ein Buch, dass sich flüssig lesen lässt, unterhält und auch gelegentlich mal ein Schmunzeln hervorruft. Ich hätte mir mehr über den Hintergrund einiger Geschehnisse und Figuren gewünscht, aber das hätte den Rahmen des Buches sicher gesprengt - und ich muss ja auch ehrlich zugeben, eigentlich nicht zur Zielgruppe zu gehören.


    Ob ich das Buch weiterempfehlen würde, hängt sehr vom potentiellen Leser ab. Für Jugendliche, die einen ersten Einstieg in das Thema möchten, ohne dabei trockene Sachtexte zu lesen - ja, ganz sicher. Für Jugendliche, die ein gut geschriebenes Jugendbuch wollen, dass über die übliche Liebesgeschichte hinausgeht, ebenfalls. Auch Erwachsene können hier einen ersten Einblick in die Hintergründe der Flüchtlingskrise erhalten, den sie dann allerdings selbst mit Recherche und weiterer Auseinandersetzung mit dem Thema ergänzen müssen. Aber welches Buch nimmt einem schon das selber denken ab? Wer in dem Thema schon drin ist (durch aktives Verfolgen der Tagespresse und weitergehende Recherche) wird hier wenig neue Informationen, möglicherweise aber Anregungen zum Nachdenken finden.


    8 Eulenpunkte von mir.

  • Die 16-jährige Toni und ihre Familie fallen aus allen Wolken: als sie vom Sommerurlaub zurückkehren, hat man ihnen ungefragt eine Flüchtlingsunterkunft vor die Nase gesetzt. Toni hat erstmal Angst, schließlich wurden sie und ihr Vater vor ein paar Jahren, von "ausländisch" aussehenden Männern überfallen und nun hat sie ein ganzes Heim solcher Menschen direkt vor der Nase. Doch ihre beste Freundin Fee nimmt sie an die Hand und zum Helfen mit in die Unterkunft. Je mehr Menschen Toni dort kennenlernt und über ihre Schicksale erfährt, desto mehr muß sie ihre Vorurteile und Ängste revidieren. Doch was ist mit ihren Eltern und vor allem ihrem Bruder, der sich ganz offen gegen die Ausländer stellt?


    Das Buch "Es war einmal Aleppo" ist aus eigenen Erfahrungen der Autorin Jennifer Benkau entstanden, die sich in der Flüchtlingshilfe engagiert. Es soll Jugendliche über die Flüchtlingskrise informieren und Fragen beantworten. Dabei erzählt sie aber auch Tonis Geschichte. Und Shirvans. Und auch die von Frau Schäfer ... es werden viele Geschichten in diesem Buch erzählt. So wird die Situation der Neuankömmlinge aus verschiedenen Seiten beleuchtet und auch die Sorgen und Ängste der überraschten Nachbarn werden beschrieben. Dabei sind für mich die krassen Gegenpole die erst verängstigte Toni, die sich aber langsam überwindet und ihr Bruder, der sich (wohl mehr aus Unwissenheit und Mitläufertum) eher am rechten Rand der Gesellschaft orientiert. Auch Tonis Eltern verkörpern typische Ansichten, die man allerorten hören kann. Die Familie ist quasi ein Spiegelbild der Gesellschaft, denn das, was die Familienmitglieder bewegt, ihre Sorgen und Ängste sind die, die viele Menschen haben. Dazu kommen anschauliche (aber dennoch jugendgerechte) Beschreibungen dessen, was in Syrien passiert. Durch all diese Schilderungen kann man viel besser nachvollziehen, warum die Menschen so reagieren. Und hoffentlich können viele dadurch auch besser nachvollziehen, warum die Menschen aus Syrien zu uns fliehen.


    Ich finde, daß dieses schwierige Thema altersgerecht vermittelt wird, darüberhinaus noch sehr lesenswert verpackt in einer guten Geschichte. Auch das Ende hat mir gefallen: es macht Mut, aber es ist glücklicherweise kein überzuckertes Happy End, das würde für mich auch nicht zur Thematik passen.


    Ich habe auch die kritischen Stimmen zu diesem Buch gelesen. Teils stimme ich zu, möchte aber zu bedenken geben, daß es sich um ein Jugendbuch mit Zielgruppe 12-15 Jahren handelt. Da finde ich die angeprangerten Punkte eigentlich nicht störend. Mehr Klartext, mehr Differenzierungen... für eine ältere Zielgruppe fände ich das angebracht, aber für die aktuelle Zielgruppe finde ich es so OK, wie es ist.


    Vielen Dank der Autorin für dieses wunderbare, einfühlsame Jugendbuch, das ein sehr schwieriges Thema überaus lesenswert anpackt. Ich habe beim Lesen die Leidenschaft der Autorin für dieses Thema spüren können. Schön, wenn ein Buch nicht einfach "nur ein Buch", sondern eine Herzenssache ist. Ich wünsche dem Buch viele Leser und ja, auch ich könnte es mir gut als Schullektüre und Aufhänger für dieses Thema vorstellen.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)