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Die Veranstaltung wurde souverän moderiert von Claudia Kramatschek, die deutschen Textausschnitte trug Jochen Nix vor – den nicht nur ich mir als Sprecher für eine Hörversion wünschte. Die Stühle waren fast bis auf den letzten Platz besetzt.
Zu Beginn wurde die diesjährige Preisträgerin des LiBeraturpreises kurz vorgestellt, dann erzählte sie, wie sie auf die Idee zu „Alle Farben Rot“ kam und über ihre rund zehnjährige Arbeit an dem Roman.
Schon als Schülerin missfiel ihr ihr Darstellung der Ereignisse von 1965* nicht, alles wurde schwarz-weiß durch Lehrer und Schulbücher vermittelt. Ihr Vater, eigentlich ein überzeugter Anti-Kommunist, habe sie schon früh gelehrt, alles zu hinterfragen.
Im Mittelpunkt steht das Liebespaar Amba und Bhisma, die während der Unruhen getrennt werden. Amba sucht intensiv nach Bhisma, der unauffindbar ist und erst Jahrzehnte später erhält sie Hinweise, dass Bhisma damals auf die Gefängnisinsel Buru verschleppt wurde. Buru sei damals eine Art tropisches Gulag gewesen, auf dem Suharto alles des Kommunismus Verdächtigten verschwinden lassen wollte. Sie wurden zur Zwangsarbeit bzw. Umerziehung auf die Insel geschickt und veränderten dort sowohl die Landschaft als auch die Gesellschaft.
Dann folgte eine kurze Lesung aus dem indonesischen Originaltext, sowie die Erklärung, dass Indonesisch noch keine 100 Jahre als sei und als klassenlose Lingua Franca eingeführt wurde, um das soziale Unterschiede betonende Javanesisch** zu ersetzen.
Im Anschluss las Jochen Nix eine längere Passage vor, die im Dezember 1973 spielte und die Situation im damaligen Indonesien eindrücklich vermittelte. Später folgten noch weitere Abschnitte.
„Alle Farben Rot“ war nicht der erste indonesische Roman, der die Ereignisse von 1965 und deren Folgen in den Mittelpunkt stellte. Seit Beginn des neuen Jahrtausends habe die zunehmende Redefreiheit die öffentliche Auseinandersetzung damit ermöglicht und große Verlage haben aktiv nach alternativen Darstellungen der historischen Ereignisse gesucht. Zuvor seit es eher die Domäne der kleineren Verlage gewesen.
Laksmi Pamuntjak wollte jenen Menschen eine Stimme geben, deren Erlebnisse und Ansichten zuvor keine Raum in der Öffentlichkeit haben durften. Romane sollten nicht über die Geschichte urteilen, sondern alternative Sichtweisen liefern. Im Gegensatz zur offiziellen Darstellung sind in „Alle Farben Rot“ die Rollen weitgehend umgekehrt verteilt, es ist klar, wer hier die Opfer sind – die jedoch nicht alle unschuldig an ihrem Schicksal waren.
Das Schlüsselerlebnis für die Entstehung des Romans in seiner endgültigen Fassung war ein Besuch der Insel Buru mit einem 80-jährigen ehemaligen Häftling im Jahr 2006. Er habe ihr seine Erfahrungen dort sehr lebendig vermittelt, konnte an den Originalschauplätzen über eigene Erlebnisse berichten, auch wenn von dem damaligen Gefangenenlager praktisch nichts mehr sichtbar war. Während heute Besucher eine idyllische Insel wahrnehmen, ließ er das Lager vor ihrem inneren Auge entstehen, zeigte vermittelte das vielschichte Verhältnis zwischen Wächtern und Gefangenen und vor allem die Bedeutung von Vergebung.
Danach sei ihr bewusst gewesen, dass sie eine große Verantwortung gegenüber den Betroffenen habe, deren Erfahrungen so authentisch wie möglich wiederzugeben, auch wenn sie es selbst nicht miterlebt hat.
Ein zweites wichtiges Element ist das indische Nationalepos Mahabharata, das auch bis heute in Indonesien eine große Bedeutung hat. Viele Kinder werden nach den Figuren aus dem oft als Schattentheater aufgeführten Epos benannt und es würden viele moralische/philosophische Themen behandelt.
Im Mahabharata sei Bhishma ein Krieger, der über die besondere Gabe verfüge, den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen zu können. Im Roman habe Bhishma das Schicksal erst 12 Jahre im Gefängnis zu überleben um dann mitzuerleben, wie die Geschichte sich wiederhole. Es habe sie sehr erschreckt zu sehen, wie es wieder zu Religionskriegen auf einigen der Insel kommen könne – ähnlich wie Bhishma, der im Kreislauf der Geschichte gefangen sei und immer wieder das Gleiche erleben müsse.
Laksmi Pamuntjak wollte auch darstellen, dass Toleranz und Liebe insbesondere in einer künstlich geformten und multikulturellen Gesellschaft wie Indonesien von besonderer Bedeutung seien. Man müsse dort an die Liebe glauben, nur durch Empathie sei Verständnis möglich. Ihrer Ansicht nach war die Veröffentlichung des Filmes „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer (2012) ein wichtiger Schritt gewesen. Erstmal sprachen Täter vor laufender Kamera über ihre damaligen Taten, danach sei es nicht mehr möglich gewesen, die Ereignisse zu leugnen. In der jetzigen Regierung säßen immer noch Mitglieder der alten Elite, die radikale Maßnahmen befürworten. (Todesstrafe, chemische Kastrierung wurden als Beispiele genannt.) Der Film „Look of Silence“ (2014) stelle die Sicht der Opfer dar und hätte nur mit Guerillataktik gefilmt werden können.
Es sei eine komplexe Situation gewesen, zu der es nicht zufällig oder überraschend gekommen sei, beide Seiten trügen einen Teil der Schuld – was jedoch nicht das damalige Vorgehen entschuldigen würde. Jedoch wären z.B. in Südafrika nach dem Ende der Apartheid Versöhnungskomitees eingeführt worden, in Indonesien würde mit der Todesstrafe reagiert.
Sie hoffe auf eine positive Entwicklung in Indonesien und bedankte nach rund 1,5 Stunden sich beim Publikum für das Interesse. Danach nahm sie sich viel Zeit beim Signieren, um weitere Fragen zu beantworten. Derzeit arbeitet sie an ihrem nächsten Buch, über dessen Thema sie noch nichts verraten wollte.
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Aufstieg Suhartos, Militärdiktatur *3SAT*
Artikel aus der Zeit von 1967 *klick*
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Javanesisch (und noch etwas gelernt)
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Javanische_Sprache