Teil 8 – In dem ein König seine Untertanen zur Mitarbeit bewegt, ein Kerkermeister seine Arbeitszeiten einhält und der dritte Schlüssel endlich benutzt wird.
„Moment mal, Freundchen.“, gebot der König seinem Kerkermeister Einhalt, als sich der wieder zurück zum Eingang aufmachte. Er packte ihn beim Kragen und hielt ihn fest.
„Was soll das bedeuten, daß es sich bei diesen Leuten…“, und dabei deutete er mit seiner anderen Hand auf die Zellen, „…um fehlgeschlagene Versuche handelt, die seltsame Prophezeiung zu überlisten?“.
Rufus befreite sich windend aus dem Griff des Königs, zuckte mit den Schultern und gab in einem pampigen Tonfall zurück: „Na was wohl? Das waren alles Narren, die sich zum König machten und das Königreich eben nicht retten konnten. Manche von ihnen ignorierten schlichtweg die Prophezeiung und bereicherten sich einfach so lange, bis sie hier landeten. Andere versuchten sich an den Aufgaben der Prophezeiung, verzweifelten und blieben als sabbernde Wahnsinnige hier unten eingesperrt.“ Rufus’ Augen funkelten der König an.
Der König starrte den Kerkermeister an und war sprachlos. Als er die armen Kreaturen in den Zellen betrachtete und ihm dabei in den Sinn kam, wie er sich selbst zum König machen ließ, wurde ihm ganz anders. Er sah sich nach seinem Gefolge um. Die Königin schien ganz damit beschäftigt die Schnürung ihre Lederkorsetts zu prüfen. Madame Priscilla gaffte in eine der Zellen und der Hofnarr bohrte anscheinend unbeeindruckt von den ganzen Geschehnissen in der Nase. Der ehemalige König wusste wohl, was ihm hier unten blühte und hatte gerade noch rechtzeitig Fersengeld gegeben, wahrscheinlich wohlwissend, daß auch er nicht der Auserwählte war.
Der König grübelte. Was hatte er zu verlieren? Wenn der einfach so weiter machte, dann landete er mit Gewissheit hier unten in einer der Zellen. Er konnte es natürlich dem ehemaligen König gleichtun und verschwinden, aber das ging ihm irgendwie gegen den Strich. Er wollte eigentlich schon das Gold, die Macht und die Königin. Vielleicht war er ja auch der Auserwählte, wer konnte das schon wissen? Mit seinem Charme und seiner Klugheit war er doch immerhin schon König geworden. Er könnte es bestimmt auch zum auserwählten Retter des Königreichs bringen. Er kniff die Lippen zusammen und nickte. Sein Entschluß stand fest.
„Also gut. Ich werde mich den Aufgaben der Prophezeiung stellen!“, erklärte er mit fester Stimme und straffte sich dabei. Rufus schwieg und fixierte den König.
Die Königin sah auf, „Wie bitte?“, und ihr Stimme klang dabei sehr ärgerlich.
„Na dann viel Glück, Exzellenz.“, warf Madame Priscilla eilig dazwischen und wandte sich zum Gehen ab.
„Großartig!“, sagte der Hofnarr, hörte sofort mit dem Nasebohren auf und schickte sich an der Madame hinterherzutrotten.
„Alles bleibt sofort stehen!“, fuhr sie der König mit drohender Stimme an. „Wenn Ihr keine Lust habt Euren König zu begleiten, dann könnt Ihr gerne hier in einer der Zellen auf seine Rückkehr warten.“, dabei stieß er beiläufig mit der Stiefelspitze gegen eine Skeletthand die zwischen den Gitterstäben der Zelle neben ihm herauslugte. Klappernd fielen die Knochen auf den feuchten Verliesboden. Madame Priscilla und der Hofnarr schauten zwischen den Knochen und dem entschlossenen Gesichts des Königs hin und her.
„Wir begleiten Euch, Hoheit!“, war es spontan, wie aus einem Mund, von den Beiden zu vernehmen. Der König nickte ihnen mürrisch zu und drehte sich dann wieder zu Rufus um, der immer noch beharrlich schwieg.
„Los, sag’ schon, was das für Aufgaben sind und wo wir hin müssen.“ Die Stimme des Königs klang gereizt und und ungeduldig. Rufus deutete mit dem Daumen hinter seine Schulter in die weitläufige Finsternis und sagte:
„Ihr müsst nur diesem Gang folgen, er führt Euch schnurstracks zur Pforte der Prophezeiung und damit zu den Aufgaben.“ Mit diesen Worten zog er eine kleine hölzerne Schatulle aus der Hosentasche, klappte sie auf und mit einem Blick hinein sagte er: „Oh, schon so spät. Feierabend.“ Er packte die Schatulle wieder weg, drängte sich am König und seinem Gefolge vorbei und verschwand durch den Torbogen.
Fassungslos schaute der König Rufus hinterher und bedachte Madame Priscilla und den Hofnarren mit einem finsteren Blick, die augenscheinlich neidisch auf den Kerkermeister waren. „Die Gewerkschaften und diese Arbeitszeitmentalität haben das Königreich an den Rand des Ruins getrieben.“, gab er grummelnd von sich. Er drehte sich wieder um, packte seine Fackel fester und lief voran in die Dunkelheit. „Folgt mir!“
Das Gewölbe schien sich endlos zu erstrecken. Ab und zu entzündeten sie links und recht einige Ölfunzeln, die auf kleinen Felsvorsprüngen platziert waren. In den meisten Zellen an denen sie vorbeihuschten lagen Skelette, die manchmal sogar noch einen recht königlich aussehenden Umhang trugen. Dem König schauderte es jedes Mal bei diesem Anblick und er beeilte sich stets weiter zu gehen. Mit einem Mal hörten die Zellenreihen links und recht von ihnen auf und der Gang mündete in eine riesige Höhle. Vor ihnen türmte sich eine Felswand nach oben, deren Enden im kläglichen Schein der Fackeln nicht auszumachen waren. Mitten in dieser überwältigend großen Wand war eine kleine Tür eingelassen. Der König entzündete mit seiner Fackel die beiden Ölschalen die zu beiden Seiten der Tür auf eisernen Haltern ruhten, die in das Gestein getrieben waren. Rechts neben der Tür stand ein kleines Tischchen auf dem so etwas, wie ein Notizblock lag, dessen oberstes Blatt von Staub bedeckt war. Neben dem Block befand sich ein Becher voller Stifte.
Die Tür war aus dunklem Holz und sah sehr massiv aus. Auf der linken Seite befand sich unterhalb eines reichlich verspielt wirkenden eisernen Griffs ein Schlüsselloch. Was aber die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog, war die in das Holz der Tür eingebrannte Beschriftung.
„Pforte der Prophezeiung“, las die Königin laut vor.
„Scheint so, als ob wir richtig wären.“ Mit diesen Worten holte der König den Schlüsselring hervor und fischte nach dem rostigen Eisenschlüssel.
„Und was ist damit?“, deutete die Königin auf das Tischchen neben der Tür.
Der Narr schaute mit freudigem Blick auf das Tischchen und plapperte los: „Das ist Öresund.“
Alle Blicke hefteten sich verdutzt auf den Narren. Madame Priscilla fing sich als Erste wieder und schüttelte bedauernd ihren Kopf. Mitleidig legte sie dem Narren eine ihrer Pranken auf die Schulter. „Armer Kerl. Das muß alles zuviel für Dich sein.“ Der König schloß daraufhin für einen Moment seine Augen, um seine Gedanken zu sammeln und atmete hörbar durch.
„Nein, das ist Öresund. So eines habe ich auch zuhause. Kennt Ihr denn nicht diesen verrückten Schreiner in der Stadt? Der gibt allen seinen Anfertigungen schräge Namen. Die Leute rennen ihm die Bude ein.“, erklärte der Hofnarr und strich begeistert mit einer Hand über die dreckige Tischplatte und blies dabei den Staub von dem Notizblock herunter.
„Ah, seht doch nur.“, nahm er den Block vom Tisch und blätterte mit dem Daumen durch die ersten Seiten. Er begann vorzulesen:
„Jeder Kandidat bitte nur ein Blatt abreissen! Denken Sie an die, die Ihnen nachfolgen. Lesen Sie die Aufgaben aufmerksam durch. Mit den bereitgestellten Stiften können Sie erledigte Aufgaben in den dafür vorgesehenen Kästchen abhaken.“
Der König nahm dem Narren den Block aus der Hand, überflog kurz die ersten Zeilen und las dann weiter:
„Aufgabe Eins: Öffne die Pforte der Prophezeiung. Aufgabe Zwei: Besiege den Schrecken des Hu-Hum-Bu-Hug. Aufgabe Drei: Beweise Dich in der Kammer der Freuden.“ Er ließ den Abreissblock sinken und sah in die betretenen Gesichter seines Gefolges.
„Hm, Aufgabe Eins sollte ja nicht allzu schwer sein.“, stellte er fest und legte den Block wieder zurück auf das Tischchen. Entschlossen wandte er sich wieder der Pforte zu und probierte den rostigen Eisenschlüssel aus. Der König drehte den Schlüssel mit einer kräftigen Bewegung im Türschloß herum. Nichts geschah.
Ende von Teil 8
(c) Doc
Anmerkung des Erzählers:
Nachdem der Verfasser der Geschichte über das Wochenende eine ausgiebige Kreativpause beim Motorradfahren macht, geht es erst Anfang nächster Woche weiter.