Becky Chambers: Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten
FISCHER Tor 2016. 544 Seiten
ISBN-13: 978-3596035687. 9,99€
Originaltext: The Long Way to a Small, Angry Planet (Wayfarers 1.)
Übersetzerin: Karin Will
Verlagstext
Willkommen an Bord der Wayfarer!
Becky Chambers hat mit „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“ eine zutiefst optimistische Space Opera geschrieben, die uns den Glauben an die Science Fiction (im Besonderen) und an die Menschheit (im Allgemeinen) zurückgibt. Als die junge Marsianerin Rosemary Harper auf der Wayfarer anheuert, wird sie von äußerst gemischten Gefühlen heimgesucht – der ramponierte Raumkreuzer hat schon bessere Zeiten gesehen, und der Job scheint reine Routine: Wurmlöcher durchs Weltall zu bohren, um Verbindungswege zwischen weit entfernten Galaxien anzulegen, ist auf den ersten Blick alles andere als glamourös. Die Crewmitglieder, mit denen sie nun auf engstem Raum zusammenlebt, gehören den unterschiedlichsten galaktischen Spezies an. Da gibt es die Pilotin Sissix, ein freundliches und polyamoröses reptilienähnliches Wesen, den Mechaniker Jenks, der in die KI des Raumschiffs verliebt ist, und den weisen und gütigen Dr. Koch, der einer aussterbenden Spezies angehört. Doch dann nimmt Kapitän Ashby den ebenso profitablen wie riskanten Auftrag an, einen Raumtunnel zu einem weit entfernten Planeten anzulegen, auf dem die kriegerische Rasse der Toremi lebt. Für Rosemary verwandelt sich die Flucht vor der eigenen Vergangenheit in das größte Abenteuer ihres Lebens.
„Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“ wurde für zahlreiche Preise nominiert, u.a. für den Kitschies Award, den Baileys Women’s Prize for Fiction und den Arthur C. Clarke Award.
Die Autorin
Becky Chambers ist als Tochter einer Astrobiologin und eines Luft- und Raumfahrttechnikers in Kalifornien aufgewachsen. Die Zeit zum Schreiben ihres ersten Romans hat sie sich durch eine Kickstarter-Kampagne finanziert. Derzeit arbeitet sie an einem zweiten Buch im Wayfarer-Universum.
Inhalt
Irgendwann in naher Zukunft muss der Planet Erde aufgegeben werden. Die überlebenden Menschen werden von der Galaktischen Union aufgenommen, einem Verbund verschiedener Galaxien mit den unterschiedlichsten Lebensformen. Die kosmopolitischen Bewohner der GU sind mit dem Anblick von Wesen vertraut mit mehr als zwei Gliedmaßen, Schuppen oder Federn. Selbstverständlich müssen die Arbeitsplätze auf der Wayfarer u. a. Raumschiffen der Vielfalt der Arten angepasst werden. Denken Sie nur an Schwänze und Krallen als Unfallrisiken!
Als Rosemary Harper an Bord des Raumkreuzers Wayfarer geploppt wird, gehört sie gemeinsam mit Kapitän Ashby der Minderheit der Menschen an. Ihren neuen Job als Verwaltungsassistentin an Bord beginnt Rosemary mit einer blütenweißen Biografie und schüttelt ihre Vergangenheit völlig ab. Käptn Ashby Santoso erweist sich als begabter Teambuilder und guter Menschenkenner. Als Besitzer der Wayfarer führt er wie ein freier Bauunternehmer Aufträge im All aus. Er und seine Crew sollen an den Außengrenzen des Alls einen Raumtunnel als Reiseweg anlegen, eine Aufgabe, die die Mannschaft mit räuberischen Völkern und allerlei Gefahren konfrontieren wird. Utopische Spielereien wie Zahnputz-Bots, Tagesnachrichten per Neuralimplantat oder ein Norovirus zur Erzeugung intellektueller Fähigkeiten gehören zur Zeit der Wayfarer zum Standard.
Der Buchtitel „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“ lehnt sich an die blumige Ausdrucksweise der Spezies Grum an. Im vermutlich ersten Band einer geplanten Trilogie stellt Becky Chambers ihre Figuren vor. Artis Corbin sorgt als Algaeist für die Versorgung des Antriebs der Wayfarer mit Algen. Die künstliche Intelligenzform Lovelace, genannt Lovey, hat Daten über die Wayfarer und ihre Geschichte parat. Leib und Seele hält Dr Koch zusammen, der zu den munter fabulierenden Grum gehört und im besten ayurvedischen Sinn als Arzt und Koch tätig ist. Ein großer Teil der Gespräche auf der Wayfarer dreht sich um das Zusammenleben und -arbeiten der verschiedenen Spezies. Kein einfaches Unterfangen, wenn sich die Geschlechtszugehörigkeit im Laufe des Lebens ändern kann oder ein Wesen sich als Paar begreift und mit „das Paar“ oder „ersie“ angesprochen werden möchte. Eine Gemeinschaft ohne Vorurteile und Rollenzuschreibungen gibt es auch in der GU der Zukunft (noch) nicht, so dass kräftig über exzentrisch aussehende Spezies gestichelt wird. Bei einigen hat sich nicht nur eine Abneigung gegen Frauen oder Echsenwesen (Corbin) gehalten, sondern auch Technophobie. Wo genau die Grenze zwischen fremd und gefährlich zu ziehen ist, wird für das Schicksal des Galaxienbundes entscheidend sein.
Für die Zukunft des Bundes muss sehr bald über den korrekten Umgang mit vernunftbegabten Digitalwesen entschieden werden. Lovelace ist ein vermutlich von Menschen programmierter Roboter, der eigene Gefühle und Wünsche entwickelt. Menschen der Gegenwart kooperieren zwar problemlos mit künstlicher Intelligenz, sind sich jedoch bewusst, dass sie mit einem Rechner kommunizieren, der bitte wie eine Maschine und nicht wie ein Mensch aussehen soll. Die Frage, wer Lovey in welcher Absicht so empfindsam agieren lässt, war mein persönlicher Cliffhänger im Buch. Ich bin schon sehr gespannt, was die Autorin mit ihren empfindungsfähigen Robotern in den Folgebänden noch vorhat.
Von den Persönlichkeiten der Figuren mit zwei und mehr Beinen, über Wirtschaft, Politik und den Stand der Medizin in der GU – im ersten Band bleiben kaum Fragen zum Setting offen. Mit einem Stopp zum Shoppen und für Wellness-Anwendungen gegen den Raumkoller der Mannschaft zeigt Becky Chambers im Buch eine deutlich weibliche Handschrift und legt zunächst großen Wert auf die Beziehungsebene.
Fazit
Ein spannender, origineller Science Fiction-Roman mit ungewöhnlichen Figuren, der für meine ausgeprägte Neugier gerade den richtigen Umfang hat.
8 von 10 Punkten
ASIN/ISBN: 3596035686 |