Fritz J. Raddatz - Tagebücher 1982-2001

  • Titel: Tagebücher 1982-2001
    Autor: Fritz J. Raddatz
    Verlag: Rowohlt
    Erschienen als TB: November 2012
    Seitenzahl: 938
    ISBN-10: 3499258994
    ISBN-13: 978-3499258992
    Preis: 14.99 EUR


    Nach 938 gelesenen, sehr interessanten Seiten, ist folgendes festzuhalten:


    Der Literaturbetrieb ist eine Ansammlung aus Narzissten und Egomanen; Kollegenneid und pausenlose Nabelschau sind so selbstverständlich wie das Ein- und Ausatmen.


    Fritz J. Raddatz, ehemaliger Feuilleton-Chef der ZEIT und zudem einer der bekanntesten Literaturkritiker nimmt in seinen Tagebüchern absolut kein Blatt vor den Mund. Raddatz wurde am 3. September 1931 in Berlin geboren und starb am 26. Februar 2015 durch begleitenden Suizid in Pfäffikon/Schweiz.


    Diese Tagebücher machen Lust auf Lesen, eine unbändige Lust sogar, sie sind aber auch oftmals sehr bösartig und verletzend. Raddatz hält sich nicht zurück, in keinster Weise. Er teilt gnadenlos aus – wobei Toleranz sicher nicht zu seinen Stärken gehört, auch wenn er es natürlich völlig anders sieht.
    Er geißelt den Narzissmus des Literaturbetriebes, ist aber doch selbst auch ein Narzisst, dazu sehr eitel und selbstgerecht. Seine unglaubliche Arroganz machen das Lesen dieser Tagebücher zu einem echten Lesevergnügen.
    So muss man erst einmal ticken – wie dieser Mann getickt hat.
    Aber er hat etwas zu sagen. Seine Kritik – auch wenn sie verletzt – ist aber immer treffend und wohlbegründet, er argumentiert schneidend und punktgenau, nimmt dabei auch keine Rücksicht auf bestehende Freundschaften oder auf andere Verbandelungen.
    Ein unbestechlicher Kritiker, der das Buch in den Mittelpunkt seiner Kritik stellt – nicht aber den Autor.


    Raddatz ist aber auch ein Gourmet und Genussmensch. So schaut er – leider – auch auf die Menschen herab, die nicht Champagner trinken, keine Austern schlürfen und die auch mit klassischer Musik nicht ganz so viel anfangen können. Im Grunde ist er ziemlich einseitig. Politisch eher links stehend, schreibt er nur über die Themen, in denen er „auch zuhause ist“. Ein Blick über den Tellerrand findet sich bei ihm nicht.
    Literatur, Malerei und Klassische Musik sind die Dinge die ihn interessieren, mit Abstrichen auch die Politik – andere Interessen schien er darüber hinaus aber nicht gehabt zu haben.


    Politiker, Journalisten sind eh so ziemlich alle unter seinem Niveau. Gefressen hatte er die ZEIT-Herausgeberin Gräfin Marion Dönhoff (die ja nicht nur ihn – sondern die Öffentlichkeit generell über ihr Leben in dunkler Zeit belogen hatte), Augstein (den er als „ewig besoffen“ charakterisierte), Theo Sommer hielt er für einen durchschnittlichen Phrasendrescher.


    Genervt hatten ihn aber die Besucher seiner Lesungen. Diese Menschen verachtete er geradezu, stellten sie doch eh immer nur dumme Fragen und begriffen die Literatur in ihrer Komplexität sowieso nicht. Alles unter seinem Niveau.


    Offen und ohne Hemmungen schreibt er auch über seine Homosexualität und nimmt dabei auch gleich eine Menge Autorenkollegen mit ins Boot. Der von ihm verhasste Hans Mayer beispielsweise – Mayer ein total nur auf sich selbst fixierter Literaturwissenschaftler, saß natürlich mit in diesem Boot, wie u.a. auch Hubert Fichte.


    Raddatz lässt eigentlich immer außer Acht, das er auch ein Teil dieses narzisstischen Literaturbetriebes ist/war. Er sieht nicht – oder will nicht sehen – das er charakterlich nicht einen Deut besser war als die gescholtenen Kolleginnen und Kollegen. Er neidete ihnen Preise und Einladungen, er macht sie nieder – um sich zu erhöhen (?).


    Hätten viele seiner Freunde diese Tagebücher schon zu Raddatz Lebzeiten gelesen – ich wette, unzählige Freundschaften wären gnadenlos den Bach runtergegangen.


    Natürlich gehört Fritz J. Raddatz zu den besten Literaturkritikern. Seine Rezensionen waren besonders, inhaltlich und stilistisch. In ihnen fand sich keine billige Polemik eines MRR, kein platter Humor eines Helmut Karasek, kein sinnleeres Geschwafel eines Hans Mayer, keine Vermischung von Buch und Antipathie gegenüber einem Autoren, wie wir sie bei Iris Raddisch leider oftmals finden – Raddatz war stets auf das Buch fixiert und sein Urteil war hart, kritisch – aber immer ehrlich.
    Und auf das Urteil von Raddatz ist Verlass – ohne Wenn und Aber.


    Und gerade das macht so neugierig auf viele von ihm besprochenen Bücher. Der Zettel neben mir mit den Namen der Autorinnen und Autoren, den Titeln der Bücher – fühlt sich unablässig; Bücher die noch gelesen werden wollen.


    Blicken wir einfach auch mal einen kleinen Moment auf dieses Forum:
    Auch dort finden wir diese kleinen literarische Narzisschen, mittelmässige Unterhaltungsliteraten, pausenlose mit eigener Nabelschau beschäftigt und eben auch nur um sich selbst kreisend, als seien sie ihre eigenen Trabanten.
    Aber wahrscheinlich muss man so sein wenn man schreibt – Egomanie hält wohl offensichtlich die Feder oder malträtiert die Tastatur.


    Diese Tagebücher von Fritz J. Raddatz sind sehr interessant, sehr lehrreich (gehört Raddatz doch u.a. zu den führenden Tucholsky-Experten), sehr oft herrlich bösartig (DDR-Kant bezeichnete er als „kleines Ferkel, das nicht schreiben kann“), Personen werden nicht geschont (auch Grass nicht, mit dem er eng befreundet war) – und sie (die Tagebücher) machen einfach Lust die Literatur lesend (ggf. auch wieder neu) zu erleben.


    10 Eulenpunkte.


    Edit: Das hatte ich eingangs vergessen in meinen Beitrag noch reinzukopieren.


    Würde Raddatz jetzt noch leben, dann hätte ich ihm sehr gern noch folgendes gesagt/geschrieben:


    Sehr verehrter Herr Professor Dr. Raddatz,


    wer sind Sie eigentlich, dass Sie meinen, sich dermaßen über andere Menschen erheben zu müssen? Was haben Sie denn bisher für diese Gesellschaft geleistet? Okay, Sie haben zu einigen Büchern etwas gesagt; ja – und was noch?


    Da haben beispielsweise die Krankenschwester oder die Altenpflegerin weitaus mehr für diese Gesellschaft geleistet als Sie. Das sind übrigens auch die Menschen, die Sie – so Sie es denn erlebt hätten – Sie trotz ihres unangenehmen „Altmänner-Geruchs“ gepflegt hätten, Ihnen die Bettpfanne geleert hätten und Ihnen vielleicht auch das Sterben leichter gemacht hätten, die Ihnen dabei dabei vielleicht die Hand gehalten hätten.


    Alles Menschen, die mehr Kultiviertheit im kleinen Finger haben – als Sie es gehabt haben. Denn Kultiviertheit bedeutet nicht, viele Bücher gelesen zu haben, Champagner zu trinken und Austern zu schlürfen, irgendwelche Kunstgegenstände zu horten oder irgendeinen Sonstwas an der Wand hängen zu haben.


    Kultiviertheit bedeutet die positive Zugewandtheit zu den Menschen, sozial und empathisch zu handeln und niemand als geringschätzig anzusehen.


    Sie schauen auch auf die Menschen herab, die Ihre Lesungen besucht haben, die dafür Eintritt entrichtet haben und an dem was Sie vorzutragen hatten interessiert waren. Und Sie? Sie fühlen sich genervt von diesen Menschen, von ihren Fragen und von ihrem Interesse.


    Ja, werter Herr Professor, erlauben Sie, das ich den ehemaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer sinngemäß zitiere, als er den Herrn Bundestagspräsidenten etwas schräg titulierte:


    Werter Herr Professor Doktor Raddatz, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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