Jonathan Safran Foer - Hier bin ich

  • ungekürzte Lesung
    16:59 Stunden
    Sprecher: Ari Fliakos
    Hörprobe bei audible *klick*


    Zum Inhalt
    Jacob Bloch, Anfang 40, erlebt mal mehr mal weniger passiv mit, wie seine Familie und seine (vermeintliche?) religiöse Heimat zu zerbrechen drohen. Sein Großvater möchte lieber sterben als ins Pflegeheim, sein erzkonservativer Vater mischt sich in alles ein, die Söhne werden selbständig, mal verschlossen, mal sehr wortgewandt, der Hund ist krank... und dann kommt noch eine schwere Krise in Israel hinzu. Sein Leben wird erschüttert und er wird gezwungen, neue Wege zu gehen.


    Wo steht Jacob Bloch wirklich und wer ist er?


    Zum Autor
    Jonathan Safran Foer studierte in Princeton Philosophie und Literatur. Mit seinen internationalen Bestsellern Alles ist erleuchtet, Extrem laut und unglaublich nah und Tiere essen begeisterte er Publikum und Kritik gleichermaßen. Foer lebt und arbeitet in New York.


    Zum Sprecher
    Ari Fliakos ist ein amerikanischer Autor und Produzent, der schon zahlreiche Hörbücher eingelesen hat.


    Meine Meinung
    „When the destruction of Israel commenced , Isaac Bloch was weighing whether to kill himself or move to the Jewish home”
    (“Als die Zerstörung von Israel begann, überlegte Isaac Bloch, ob er sich das Leben nehmen solle oder in das Jüdische (Pflege)Heim ziehen”)


    Mit diesem Satz beginnt der erste Roman von Jonathan Safran Foer nach elf Jahren – hohe Erwartungen und ein Buch, das selbstverständlich ganz anders ist. Auch diesmal geht es um mehrere Krisen, familär und politisch, wie der Satz gleich deutlich macht. Im Mittelpunkt steht jedoch über sehr lange Zeit ausschließlich die Zerstörung der Familie von Jacob Bloch.


    Zahllose Dialoge der Familienmitglieder untereinander, teilweise einseitige Wiedergabe von Telefonaten, schnell ist klar, dass Jacob (Anfang 40) und seine Frau Julia auf die Scheidung zusteuern, es „nur“ noch darum geht, dies den drei minderjährigen Kindern zu vermitteln, die Betreuung soll abwechselnd durch die Eltern erfolgen. Sie haben verlernt, miteinander zu sprechen, überhaupt miteinander zu kommunizieren und sie versuchen auch viel zu lange nicht mehr ernsthaft, es zu ändern. Dass die bevorstehende Bar Mitzwa ihres ältesten Sohnes eventuell nicht stattfinden wird, ist nur noch ein weiterer Tropfen in das Fass ihrer Probleme.


    Jacob selbst schreibt Drehbücher für das Fernsehen, gewann mit 24 einen Buchpreis, wird bald geschieden sein – das erinnert stark an das Leben von Jonathan Safran Foer selbst. Hinzu kommt Jacobs Suche nach dem Sinn seines Lebens, auf dem besten Weg in die Midlife Crisis, trotz regelmäßiger Therapeutentermine. Seine zahlreichen Pflichten und Ziele zerreißen ihn, machen ihn unzufrieden und irgendwie hilflos.


    Einige der Dialoge sind wirklich gelungen, messerscharf beobachtet, andere zäh wie Kaugummi und meiner Meinung nach für die Handlung bzw. Charakterisierung der Figuren unnötig. Alle Familienmitglieder, auch Jacobs Vater Irv und Großvater Isaac, gewinnen schnell an Konturen, ihre vielen Unterschiede und wenigen Gemeinsamkeiten werden durch die Dialoge und inneren Monologe deutlich. Dies alleine hätte schon mehr als genug Stoff für einen Roman geboten, zumal Foer häufig abrupt den Schauplatz und Gedankengang wechselt, was das Buch oft sehr hektisch wirken lässt.


    Jonathan Safran Foer nimmt jedoch noch ein grundsätzlich interessantes Gedankenspiel hinzu, allerdings recht erst in der zweiten Hälfte und meiner Meinung nach auch zu stark vereinfacht, zu plakativ dargestellt.


    Jacobs in Israel lebender Cousin Tamir ist eine sehr interessante Figur, kommt just kurz vor dem prägnanten Ereignis in Israel zu Besuch und könnte oberflächlich gesehen nicht unterschiedlicher als Jacob sein. Durch ihn werden Perspektiven vermittelt, die dem schon lange in Amerika lebenden Zweig der Familie zumindest unangenehm, oft völlig fremd sind.


    Der Titel ist ein Bibelzitat, die Worte von Abraham an Gott, kurz bevor er fast seinen Sohn opfert. Jacob nutzt diesen Satz oft einem seiner Söhne gegenüber, um diesem mit Worte Nähe zu vermitteln, die er ihm körperlich nicht geben kann. Gleichzeitig steht der Satz auch für die Fragen, die Jacob sich stellt, wo ist er und wer ist er. “He was a father to the boys, a son to his father, a husband to his wife, a friend to his friends, but to whom was he himself?” (“Er war ein Vater für die Jungen, ein Sohn für seinen Vater, ein Ehemann für seine Frau, ein Freund für seine Freunde, aber wer war er für sich selbst?”)


    Die Sprachlosigkeit als Thema hatte ich erst vor kurzem in „Shtum“, vielleicht hätte mir „Here I Am“ besser gefallen, hätte ich es zuerst gehört.


    Ari Fliakos wechselt gekonnt die Stimmlage mit den verschiedenen Familienmitgliedern und erweckt alle zu Leben, vermittelt überzeugend die jeweilige Stimmung.


    Fazit
    Als experimentellen Roman, als Erstling hätte mir „Here I Am“ vermutlich besser gefallen. So wirkte es auf mich irgendwie unfertig und überladen, obwohl wirklich viele gute Ideen drinstecken – vielleicht wäre weniger mehr gewesen, lieber zwei Bücher statt alles in eines gequetscht? Der Handlungsstrang um den schwer kranken und inkontinenten Hund wirkt fast wie eine Geschichte von Brecht über Herrn Keuner. Die Geschichte um die auseinandertreibende Familie ist so treffend wie deprimierend realistisch erzählt, der Handlungsstrang um Israel ein interessantes Gedankenspiel, meiner Meinung nach nicht ganz so gelungen umgesetzt. Vielleicht würde ich das Buch mit etwas mehr Abstand positiver beurteilen, aktuell überwiegt leider die Enttäuschung.


    Edit: ISBN getauscht.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von ottifanta ()

  • Ich habe die hier verlinkte englische Fassung gehört.


    Die dt. Fassung ist vom Argon Verlag für den 10. November angekündigt,
    Sprecher Johannes Maria Herbst,
    11:58 Stunden
    *Argon Verlag*

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.