Haruki Murakami: Von Beruf Schriftsteller
DuMont Buchverlag 2016. 240 Seiten
ISBN-13: 978-3832198435. 23€
Originaltitel: Shokugyo to shite no shosetsuka
Übersetzerin: Ursula Gräfe
Verlagstext
Haruki Murakami verkörpert den Typus des zurückgezogenen Schriftstellers wie wenige andere. Der japanische Bestsellerautor gilt als ausgesprochen scheu und betont immer wieder, wie ungern er über sich selbst spricht. Doch nun bricht Murakami das Schweigen. - Bescheiden und zugleich großzügig lässt er uns an seiner reichen Erfahrung als Schriftsteller teilhaben. Darüber hinaus teilt er mit den Lesern seine weitreichenden Lektüreeindrücke. Anhand von Kafka, Raymond Chandler, Dostojewski und Hemingway sowie anderen Vertretern der Weltliteratur reflektiert er über Literatur im Allgemeinen und definiert, was für ihn selbst Literatur und ihre Bedeutung ausmacht. - Aber man begegnet in diesen Texten auch, vielleicht zum ersten Mal, dem Menschen Murakami. Wer weiß schon von seiner großen Kennerschaft der klassischen Musik, seiner Leidenschaft für Jazz? Eine Leidenschaft, die ihn sogar zum Besitzer einer Jazzkneipe machte. So erlaubt uns dieses Buch einen einmaligen Blick in die Werkstatt und das Herz eines der größten und erfolgreichsten Schriftsteller unserer Zeit. Und liefert uns im Grunde das, was Murakami in seiner Bescheidenheit und Zurückhaltung nie schreiben würde: eine Autobiographie.
Der Autor
Haruki Murakamis Karriere begann 1974 an einem warmen Frühlingstag: Während eines Baseballspiels kam ihm die Inspiration zu seinem ersten Roman. Es war der Start einer beeindruckenden literarischen Laufbahn des 1949 in Kyoto geborenen Autors. Nach seinem Abschluss an der Waseda-Universität in Tokio betrieb er zunächst eine kleine Jazzbar. Später verbrachte er mehrere Jahre als freier Schriftsteller und Dozent in Princeton, USA. Murakamis Leidenschaft für die Literatur kennt, im wahrsten Sinne des Wortes, keine Grenzen – übersetzt er doch auch berühmte Kollegen wie John Irving ins Japanische.
Inhalt
Schriftsteller sind wie Fische. Wenn sie nicht gegen den Strom schwimmen, sterben sie.
Warum ein Autor schreibt oder was ihn zu seinem ersten Roman antrieb, sind vermutlich bei Autorenlesungen die meistgestellten Fragen. Bei Haruki Murakami hat mich schon immer die Frage bewegt, wie der Besitzer einer Jazz-Kneipe zum Romanautor wurde und ob Murakami ein japanischer oder ein global arbeitender Schriftsteller ist.
In seinen Essays tritt Murakami äußerst bescheiden zurück. Da nur 5% der Menschen regelmäßig lesen, wäre Schreiben eine Arbeit für eine Minderheit. Autoren seien durch ihre zurückgezogene Tätigkeit keine einfachen Menschen und darum selten miteinander befreundet, obwohl sie andererseits große Geduld mit Anfängern in ihrem Beruf zeigten. Ein Neuling auf dem Markt würde zunächst noch nicht als Konkurrent um die Rolle des Platzhirsches wahrgenommen. Schreiben könnte jeder, so Murakami, jedoch nicht seinen Lebensunterhalt damit verdienen. Der entscheidende Schritt wäre nicht der zum ersten Romanmanuskript, sondern vom einmaligen Schreiben eines Buches zum dauerhaften Schreiben. Die gemächliche Gangart der Tätigkeit mit ihrem wiederholten Überarbeiten würde nicht jedem liegen. Literaturkritiker könnten den langdauernden Prozess selten würdigen, weil sie selbst ein schnelleres Arbeitstempo hätten.
Hier schreibt unübersehbar ein beharrlicher, ungeheuer bescheidener Mensch, der nicht gern von sich selbst spricht. Neben der Lebenserfahrung, die Murakami als Kneipenbesitzer sammeln konnte, war stets die englische Sprache wichtig für ihn. Er schrieb sein erstes Manuskript auf Englisch, übersetzte es dann zurück ins Japanische und hat lange seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen aus dem Englischen verdient. Der japanische Autor äußert sich zur Bedeutung von Literaturpreisen für Autoren, die wie er längst ihr Glück in der Tätigkeit des Schreibens gefunden haben müssten. Intensiv kreist Murakami um die Kritik, auf die seine ersten Bücher in Japan stießen, und um seine daraus resultierenden langen Auslandsaufenthalte, die langfristig seine Konzentration auf seine Arbeit verbessert hätten.
Höchst interessant fand ich Murakamis Äußerungen zu seiner Arbeitsweise mit langen Pausen, in denen er eine Geschichte ruhen lässt, und zum Einfluss seiner Frau als erste Kritikerin eines Manuskripts. Mit dieser Essaysammlung zu seinem Schreiben befriedigt der scheue Autor die Neugier seiner Leser. Er fordert darin jedoch auch Gesellschaften dazu auf, Sonderlinge wie ihn besser zu integrieren. Mit Kritik hält er sich nicht zurück - am japanischen Schulsystem (Ich konnte kein Englisch, weil ein japanischer Schüler nur auswendig lernt, um die Prüfung zu bestehen.) und am Gesellschaftssystem (Fukushima-Katastrophe).
Fazit
In einzelnen Essays, die sich locker am Stück weg lesen lassen, entzaubert Murakami mögliche romantische Vorstellungen vom Autor, der z. B. aus einer Katastrophe große Literatur schafft, und ersetzt sie durch das Bild eines pflichtbewussten Schreibtischmenschen. Dass der Autor bescheiden und augenzwinkernd seine Durchschnittlichkeit in den Vordergrund stellt, erleichtert den Zugang zu seinen biografischen Texten. Interessant finde ich die Lektüre sowohl für reine Murakami-Leser, wie auch für Autoren-Kollegen, die seiner Arbeitsweise nachspüren wollen.
9 von 10 Punkten