Wolf Biermann - Warte nicht auf bessere Zeiten. Die Autobiographie

  • Titel: Warte nicht auf bessere Zeiten. Die Autobiographie
    Autor: Wolf Biermann
    Verlag: Propyläen
    Erschienen: Oktober 2016
    Seitenzahl: 543
    ISBN-10: 3549074735
    ISBN-13: 978-3549074732
    Preis: 28.00 EUR


    Vorausgeschickt sei dies: Ich bin kein Fan von Wolf Biermann, nur wenige seiner Leider berühren mich, musikalisch empfinde ich ihn als spröde, unausgereift und manchmal sogar langweilig, sein Vortrag war mir immer mit zu viel Pathos unterlegt.
    Nichtsdestotrotz ist er aber ein interessanter Mensch, der nun wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag seine Autobiographie vorgelegt hat.
    Ein interessantes und spannend zu lesendes Buch.


    1953 ging der 1936 in Hamburg geborene Wolf Biermann in die DDR.
    Bis 1983 nannte sich Biermann unbeirrt einen Kommunisten. Erst nach einem intensiven Gespräch mit Manes Sperber („Wie eine Träne im Ozean“) brach er mit dem Kommunismus. Auch die Ausbürgerung 1976 aus der DDR hatte ihn nicht davon abgehalten sich weiterhin Kommunist zu nennen. Für die Stalinisten aber in der DDR, in der KPD und auch in der DKP hatte Biermann meist nur Verachtung übrig. Darin war er sich einig mit seinem Freund Robert Havemann, der von der DDR-Obrigkeit kaltgestellt und unter Hausarrest gestellt wurde.


    Mit diesem Buch gewährt Wolf Biermann seinen Lesern einen Blick in die hässliche Fratze des „realexistierenden Sozialismus“, Grundlage der Unterdrückung und des Despotismus in der DDR. Und es ist so einiges was er den Verharmlosern und den unbelehrbaren DDR-Nostalgikern ins Stammbuch schreibt: Die DDR war von Beginn an ein stalinistischer Unrechtstaat. Wer etwas anderes behauptet, hat den Boden der Realität verlassen.


    Und eines macht dieses Buch auch sehr deutlich: Es gibt ihn einfach nicht, ihn „den guten Kommunisten“. Ihn mag es geben, den „ehrlichen Kommunisten“ - aber Ehrlichkeit ist eben nicht gleichzusetzen mit „gut“.


    Es ist teilweise erschütternd, wie die „Kulturschaffenden“ in der DDR den Repressalien des Staates ausgesetzt waren. Wer nicht mit den Wölfen heulte, der wurde kaltgestellt – und zwar so kalt, das ein Aufwärmen kaum mehr möglich war. Trotzdem war beeindruckend wie viele Künstler 1976 gegen die Ausbürgerung von Biermann protestierten, öffentlich protestierten. Sehr zum Leidwesen der Betonköpfe im Politbüro und auch sehr zum Leidwesen des „stalinistischen Zynikers“ (O-Ton Biermann) Hermann Kant, Vorsitzender des DDR-Schriftstellerverbandes. Kant haute jeden und alles in die Pfanne, wenn es ihm oder wenn es dem Staate zum Nutzen war. Peinlich übrigens die Rechtfertigungsversuche von Kant in seiner Autobiographie „Abspann“.


    Eigentlich zeitlebens polarisierte Biermann. Immer wieder eckte er an – auch nachher hier im Westen. Aber er hat sich nie verbiegen lassen, stand immer zu seinen Überzeugungen und Handlungen. Und er steht auch zu seinen Irrtümern. Beschönigt nichts, sondern redet frank und frei eben auch darüber, wo er sich quasi am liebsten selbst geohrfeigt hätte.
    Biermann kommt sehr authentisch und ehrlich rüber.
    Und was auch ausgesprochen wohltuend ist: Wolf Biermann stellt sich nicht selbst auf einen Sockel und himmelt dann das eigene Ego an, so wie es viel andere Autobiographen leider immer wieder machen („Nicht wahr, Herr Gauck?“).


    Ein sehr lesenswertes Buch, das wahrscheinlich aber genauso polarisiert wie sein Autor. Aber wie langweilig wäre das Leben und natürlich auch das literarische Leben ohne die Provokation, ohne den Streit um Meinungen, An- und Einsichten.


    Vielleicht ist dieses Buch aber nicht unbedingt für diejenigen geeignet, die die Fahne des sprachlichen Niveaus, der sprachlichen Sauberkeit höher hängen, als die Fahne des inhaltlichen Niveaus – die Formalsprachliches höher einordnen, als das inhaltliche Gesagte.


    Wolf Biermann formuliert gern deftig und auch seine Titulierungen von Personen sind zum Teil sehr derbe, aber zumeist zutreffend – und darum ist gegen die Derbheiten auch nichts einzuwenden.


    Wie sagt doch Marcel Reich-Ranicki so richtig:
    „Man ist gegen oder für uns – aber keinem sind wir egal.“
    Und wenn man erst einmal auf dieser Stufe steht, dann passt wunderbar die Redewendung von der Deutschen Eiche.


    9 Eulenpunkte für ein mehr als interessantes Buch, für eine Autobiographie die sich nicht in Selbstbeweihräucherung ergeht, sondern die sagt wie es war und was Sache ist.


    Wobei mir das Liedgut von Wolf Biermann auch nach der Lektüre dieser Autobiographie leider keinen Schritt nähergekommen ist.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Mit dem „Liedgut“ ist das so eine Sache. Biermanns Lieder hört man gerne, oder eben nicht. Wir haben sie jedenfalls gesungen (im Knast)! Als Biermann „ausreiste“, fuhr ich ein, § 101 StGB der DDR. Darauf stand 1976 die Todesstrafe.
    Jahre später habe ich auf Cuba mit einem Companero, der gerne über den Teich nach Key West geschwommen wäre, El Comandante gesungen. Er auf Spanisch, ich auf Deutsch; nach Biermann Art: Und bist kein Bonze geworden, kein hohes Tier, das nach Geld schielt
    und vom Schreibtisch aus den Helden spielt, in feiner Kluft mit alten Orden. Uns bleibt, was gut war und klar war: Dass man bei dir immer durchsah und Liebe, Hass, doch nie Furcht sah, Comandante Ché Guevara.
    Und, auweia, so darf man doch keinen Satz beginnen, na und? Und den „Dichtern“, die mit „feuchter Hand“ zugrunde RICHTEN, denen singt er ins Gewissen: Die Dichter mit der feuchten Hand, dichten zugrund das Vaterland. Das Ungereimte reimen sie, die Wahrheitssucher leimen sie. Dies Pack ist käuflich und aalglatt – die hab ich satt!
    Eine Note habe ich als Jungspund noch nicht zu vergeben, aber die Noten von El Comandante, die hänge ich ran.