Gregor Eisenhauer: Wie wir alt werden, ohne zu altern. 7 Ideen gegen die Verholzung des Denkens
DuMont Buchverlag 2016. 160 Seiten. Hardcover
ISBN-13: 978-3832198183. 18,00€
Verlagstext
Die Angst vor dem Alter macht uns mehr zu schaffen als das Alter selbst. Ständig prüfen wir uns auf Verfallssymptome. Die Furcht vor der Vergreisung ist uns von Kindesbeinen an mitgegeben: Ständig stehen wir unter der Beobachtung unseres Egos. Was sein Gutes haben könnte. Denn Senilität ist häufig keine Alterserscheinung, sondern selbstverschuldete Frühvergreisung. Wenn Sie eine höflichere Formulierung bevorzugen: Unser Horizont verengt sich mit den Jahren nicht deshalb, weil die Welt um uns herum kleiner wird, sondern weil unser Blick sich immer mehr zu Boden senkt, bis wir irgendwann nur noch die Fußspitzen am Ende des Sarges sehen. Gregor Eisenhauer beschäftigt sich in ›Wie wir alt werden, ohne zu altern‹ nicht mit dem unweigerlichen Verfall unseres Körpers und auch nicht mit Krankheiten wie Alzheimer oder Demenz. Ihm geht es um die allmähliche Verholzung unseres Denkens, die uns so schnell so viel älter werden lässt, als wir es wirklich sind. Das Brett vor dem Kopf ist meist selbstgezimmert. In sieben Kapiteln zeigt er, wie wir die Fallen des Alterns erkennen. Denn eins kann auch er nicht versprechen: die ewige Jugend.
Der Autor
Gregor Eisenhauer, geboren 1960, hat Germanistik und Philosophie studiert und über Arno Schmidt promoviert. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin und schreibt u. a. Nachrufe für den Tagesspiegel. 2014 erschien sein Buch „Die 10 wichtigsten Fragen des Lebens – in aller Kürze beantwortet“.
Inhalt
Die positive Nachricht zuerst: Wir werden älter als wir uns zuvor vorstellen konnten. Zurzeit leben 85% der Senioren im Alter nicht in Armut und 90% sind geistig fit. Unzufriedenheit hält Gregor Eisenhauer deshalb für ein mentales Problem der Betroffenen. Wir altern, weil wir es uns einbilden, könnte der König Salomon gesagt haben, den Eisenhauer im Buch auftreten lässt. „Verholzung des Denkens“ beschreibt u. a. diesen Zustand anschaulich. Die Konservierung des Körpers erhalte heute mehr Beachtung als die Auffrischung des Geistes, bemängelt der Autor. Mit Nahrungsergänzungsmitteln kann man zwar sehr alt werden, wird jedoch keine Weisheit erlangen. Von den häufig als Gehirnjogging empfohlenen Kreuzworträtseln hält Eisenhauer nichts; sie seien nur Beschäftigung, trainierten das Gehirn zwar wie einen Muskel, stellten jedoch keine Verbindung zwischen Kopf und Seele her. Die viel gepriesene Gelassenheit des Alters sieht er skeptisch, sie könnte Indiz für beginnende Senilität sein und die Überschreitung der Grenze zwischen Entspanntsein und Vernachlässigung signalisieren.
Einsam, körperlich eingeschränkt und mit einem Museum aus Erinnerungen im Kopf - Gregor Eisenhauer hält vorauseilende Katastrophenmeldungen über das Altern für kontraproduktiv; denn diese Phase könnte als beste unseres Lebens noch vor uns liegen. Nicht als Gerontologe, sondern als Leser und Autor will er mit seinem launigen Buch der positiven, bisher vernachlässigten Seite der Medaille größere Aufmerksamkeit verschaffen. Die Gewinne des Alters präsentiert Eisenhauer hintersinnig wie streitbar mithilfe prominenter historischer und anderer Figuren, von Konfuzius, König Lear, Hamlet, über Dorian Gray, Harold und Maude bis zu Miss Marple. Das Verdienst seiner ausgewählten Figuren sei, so Eisenhauer, dass sie ihre Autoren beschäftigt und damit jung gehalten hätten.
Eisenhauer schafft mit den Figuren, die er auftreten lässt, eindringliche Bilder. Wie würden Sie z. B. Miss Marple als Prototyp einer älteren Frau beschreiben? Bei ihren Ermittlungen nutzt sie gerissen ihre Unscheinbarkeit aus, um ungestört recherchieren zu können. Alte Menschen werden so selten beachtet, dass eine Charakterisierung Jane Marples zunächst nicht leicht fällt. Einmal abgesehen vom dominanten Bild Margaret Rutherfords in unseren Köpfen, gibt Agatha Christie‘s Ermittlerin ein Modell gelungenen Alterns ab. Marple war schon alt, als sie erdacht wurde, sie altert nicht weiter. Was hat sie so vital gehalten? Sie lebt in guter Nachbarschaft in ihrer vertrauten Umgebung, hat feste Gewohnheiten, neigt nicht zu Hektik, kann sich auf ihre Menschenkenntnis verlassen; sie muss keinen Rollenerwartungen mehr genügen, keinem Chef gefallen; Gartenarbeit verschafft ihr Bewegung und gesunde Nahrungsmittel, das Bridgespielen hält sie als anspruchsvolle geistige Tätigkeit auch mental fit. Marple‘s Altern zeigt sich auch in ihrer Befremdung gegenüber der Gegenwart. Sind nicht die vielen Verbrechen, in denen sie ermittelt, ein Indiz dafür, dass früher alles besser war?
Eisenhauer lässt weiter als Zeitreisende Goethe, Ulrike von Levetzow (inzwischen erfolgreiche Ratgeber-Autorin), Harold und Maude und Oscar Wilde zu einer Gesamtkonferenz aufeinandertreffen. Anna Karenina tritt zur Psychoanalyse an, obwohl es nach 10 Jahren Therapie längst keinen Kostenträger mehr dafür gibt. Prousts Haushälterin Celeste lebt derweil im Altenheim gemeinsam mit Lotte, Erika Manns Sekretärin. Celeste sorgt sich, sehr treffend für einen bürgerlichen Haushalt der Gegenwart darum, was nach ihrem Tod wohl mit ihren Büchern geschehen wird.
Fazit
Gregor Eisenhauer zeigt das Wie des Alterns in bildhaften, einprägsamen Szenen, erklärt weniger das Warum. Seine griffige Definition der Verholzung des Denkens und seine Modell-Alte Miss Marple haben mir einigen Stoff zum Nachdenken hinterlassen, seine restlichen Schauspieler konnten mich weniger beeindrucken.
9 von 10 Punkten