Teil 4 – In dem ein König in arge Bedrängnis gerät, eine Königin einen ehrgeizigen Kammerjunker bedrängt und ein ziemliches Gedränge im Thronsaal herrscht.
Die Bauern verfluchten den verflixte Regen. Ihr Marsch hinauf zum Schloß wurde immer wieder verzögert, weil sie ständig versuchten die mitgeführten Fackeln neu zu entzünden. Zwar war der Himmel wegen des langsam davonziehenden Gewitters schon wieder brauchbar hell geworden, aber ein paar Fackeln konnten zur Einschüchterung nicht schaden. So bahnte sich also ein gemischter Mob aus Bauern und Kindern ab acht Jahren langsam den Weg zum Schloß hinauf. Die Erwachsenen schwenkten dabei tropfnasse Fackeln, Sensen und Mistgabeln, während die Kinder laut Parolen skandierten, wie „Schwefel ist Teufelswerk!“ und „Minenarbeit bedeutet Tod!“. Die Sprechgesänge wurden immer wieder unterbrochen, weil die Kinder von Hustenanfällen geplagt, gelblichen Schleim auf das Pflaster spuckten.
Als die beiden Torwächter des herbeieilenden Mobs gewahr wurden, ließen sie ihre Hellebarden fallen und flüchteten in den nahen Wald. Die Menschenmenge stand nun durchnässt und wütend vor den mächtigen hölzernen Toren. Aus den steinernen Wasserspeiern, die hoch droben an den Ecken des Torwächterhauses angebracht waren, ergoß sich immer noch ein steter Strom des abfließenden Regens. Die ersten Bauern fingen an mit ihren Werkzeugen gegen die Tore zu hämmern. „BONK! BONK! BONK!“
Derweil wusste der Kammerjunker gar nicht, wie ihm geschah. Gerade als er den silbernen Schlüssel ausprobieren wollte, öffnete ihm die Königin und wies ihn an einzutreten. Eilig griff er nach den abgestellten Paketen von Madame Warzennase und folgte der Königin in den Raum. Mit seinem Absatz gab er der Tür einen leichten Stoß, die daraufhin fast lautlos ins Schloß zurück fiel. Beschämt vernahm er dabei das Klingeln seiner Schnabelschuhglöckchen.
„Bitte packt mir die Pakete von Madame Priscilla aus.“, bat ihn die Königin, die immer noch das herrliche blaue Gewand vom Vormittag trug. Ihre Lapislazuli-Krone ruhte gebettet auf mitternachtsblauem Samt inzwischen unter einer Art zu groß geratener Käseglocke auf einem goldenen Tischchen in der Mitte des Zimmers. Der Kammerjunker sah sich kurz um und stellte die Pakete auf einen gepolsterten Schemel ab, dessen Beine als vergoldete Schnabelschuhe ausgebildet waren. Während die Königin in einem Nebenraum verschwand, machte er sich neugierig daran das erste Paket aufzuschnüren. Wohin er auch blickte sprangen ihm rosafarbene Rüschchen ins Auge. Mit spitzen Fingern hob er eine der Kreationen der königlichen Schneiderin hoch und betrachtete das Kleidungsstück. Das war mit Sicherheit kein Gewand für den Thronsaal, soviel stand fest. So wenig Stoff hatte nicht einmal sein eigenes mottenzerfressenes Nachtgewand.
„Helft mir bitte.“, erklang die Stimme der Königin aus dem Nebenzimmer. Das Herz des Kammerjunkers schlug schneller. Das Schlafgemach der Königin? Er, allein mit ihr? In seiner Hand hielt er ein Rüschchenhöschen, welches direkt aus seinen nächtlichen Träumen entsprungen zu sein schien. Noch vor wenigen Tagen saß er mit seiner Narrenkappe unglücklich auf den kalten Stufen vor des Königs Thron und heute war er bereits in die Gemächer der Königin vorgedrungen. Wer weiß, wohin er von nun an noch überall vordringen konnte?
„Ich komme, Hoheit.“, sprach der Kammerjunker und versuchte dabei nicht zu grinsen. Er betrat das Schlafgemach und fand die Königin bereits entkleidet, sich auf einem Himmelbett räkelnd, vor. Obwohl er seine Augen kaum von den üppigen Brüsten der Königin abwenden wollte, wurde sein Blick doch jäh immer wieder auf den metallenen Gürtel gelenkt, der sich feingliedrig um ihre Hüften schlang. Ein kleines goldenes Schild mit einem Schloß in der Mitte und dem Wappen des Königs versehen bedeckte ihren Schoß.
„Schnell Junker, nehmt erst den Schlüssel zur Hand und dann mich!“, befahl ihm die Königin in einem Tonfall, der ihm einen wohligen Schauer durch alle Glieder jagte. Er tastete in seinen Hosen nach dem Schlüsselring und griff ins Leere. Mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck eilte er zurück in das Vorzimmer und sah sich um. Wo waren nur diese vermaledeiten Schlüssel? Er stieß die Pakete Madame Priscillas von dem Hocker herunter und atmete auf. Da lagen sie. Er packte den Schlüsselring und lief zurück in das Schlafgemach, wo er sie triumphierend mit einem Grinsen im Gesicht hochhielt.
„Los, sperrt den Gürtel auf.“, hauchte ihm die ansonsten nackte Königin entgegen und klopfte mit der flachen Hand auf die linke Seite des Bettes. Er nahm hastig Platz und probierte mit vor Aufregung zitternden Händen den silbernen Schlüssel an ihrem Gürtel aus. Er schaffte es nicht auf Anhieb den Schlüssel ins Schloß zu bekommen. Erst, als die Königin seine Hände in ihre nahm und führte gelang es ihm. Mit einem leisen „Bonk“, daß ihn kurz stutzen ließ, schnappte der Verschluß auf und er konnte den Schild von ihrem Schoß wegklappen und ihr den Gürtel abnehmen. Währenddessen nestelte die Königin an seiner Kleidung herum und zog ihm Hemd und Hosen vom Körper. Der Kammerjunker ließ den Metallgürtel einfach zu Boden fallen, „Bonk!“, und stürzte sich in das Himmelbett und die Königin.
„Weg mit dem König! Weg mit dem König!“, brüllten die Bauern und die hustenden Kinder, als sie den Thronsaal stürmten. Der König blickte verdutzt auf die aufgebrachte Menge. Der Narr schrie auf, weil er für einen kurzen Moment die Konzentration verloren hatte und eine Katze geradewegs mit ihren Krallen an seiner Stirn entlang fauchend hinunterrutschte. Die beiden anderen zusammengeschnürten Tiere klatschten maunzend auf den Boden. Die Bauern hielten inne und es herrschte plötzlich eine angespannte Stille im Saal. König und Narr starrten die Bauern an. Verschnürte Hühner glotzten verschnürte Katzen an und der Mob bestaunte für einen Moment die seltsame Szenerie, die sich darbot. Auf einmal gab eines der verschnürten Hühner ein leises „Boaahg“ von sich und der Mob fing wieder das Brüllen an.
Der König stand auf, hob die Hände und versuchte sich Gehör zu schaffen. „Aber aber, liebe Leute, was geht hier vor? Was wollt Ihr denn von Eurem König?“, versuchte er mit lauter Stimme die Rufe der Menschenmenge zu übertönen.
Es wurde etwas leiser im Thronsaal, als ein Mann mit einem hustenden Kind in der einen, und einer Sense in der anderen Hand nach vorne trat. „Deine Besteuerung ist ungerecht. Deine Gesetze verlangen uns zuviel ab und gewähren den Lehnsherrn nur Vorteile gegenüber den Bauern!“, und mit einem Seitenblick auf das Kind neben ihn, „…und den Kindern!“, sprach er mit fester Stimme.
Der König legte die Stirn in Falten und schien zu grübeln. „Hm, aber das neue Gesamtkonzept des ehemaligen Narren schien so vielversprechend…“, sinnierte er vor sich hin. „Wir sollten ihn dazu befragen. Hofnarr, lauf los und hole mir den Kammerjunker der Königin herbei. Seine Dienste werden hier im Thronsaal benötigt.“, schickte er den Narren los, der sich die blutige Stirn reibend sofort aufmachte und durch die linke Tür neben dem Thron entschwand.
Der ehemalige Narr und jetzige Kammerjunker wurde sich gerade bewusst, daß mit jedem seiner Stöße in die Königin seine albernen Schuhe klingelten, die er in aller Eile anbehalten hatte. Das Ganze vermischte sich mit einem rhythmischen „Bonk“, das vom Kopf der Königin verursachte wurde, der immer wieder am vergoldeten Bettende anschlug. So gab sich der Kammerjunker also völlig einem Konzert aus dem Stöhnen der Königin, dem „Bonk“ ihres Kopfes und dem Bimmeln seiner Schuhe hin, als sich ein sehr unpassendes lautes „BONK! BONK! BONK!“ Gehör verschaffte, das so gar nicht in die aufgeheizte Stimmung im Bett der Königin passen wollte.
„Frau Königin, Frau Königin, schickt Euren Kammerjunker umgehend in den Thronsaal. Ein aufgebrachter Mob will den König absetzen!“, rief eine aufgeregte Stimme vor der Tür. Die Königin fuhr hoch und rieb sich dabei ächzend den Hinterkopf. Der Kammerjunker fuhr ebenfalls hoch und dabei aus der Königin. Noch im Aufstehen zog er seine zweifarbigen Strumpfhosen wieder über das Gesäß und griff nach der Hose. Die Königin warf ihm sein Hemd zu, daß er sich hastig und ohne seinem Aussehen weitere Beachtung zu schenken in die Hosen stopfte. Er schnappte sich noch schnell den bronzefarbenen Schlüsselring und eilte zur Tür.
Ende von Teil 4
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