'Die neuen Leiden des jungen W.' - Seiten 01 - 32

  • Oh je, im hohen Alter gefällt mir der Schreibstil noch weniger als vor 20 Jahren.
    Er hatte einen Unfall mit seiner Erfindung. Aus dem Jenseits kommentiert er die "Aussagen" seiner Freunde und Verwandte.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • So verschieden ist das: mich rührt das Buch genau so an wie 1991, als ich es zum ersten Mla gelesen habe, rührt mich an, greift mich an, rüttelt mich.


    Ich habe beim aufschlagen des Buches die Widmung dessen, der es mir geschenkt hat, gelesen, und ich lasse euch mal teilhaben:


    "Für ...
    Es geht bei uns alles dahin, die liebe Jugend frühzeitig zahm zu machen und alle Natur, alle Individualität und alle Wildheit auszutreiben, so dass am Ende nichts übrig bleibt als der Philister.
    Johann Wolfgang von Goethe"


    Genau das war es doch: wir wollten alles sein, nur nicht angepasst, nur nicht normal, nur nicht durchschnittlich.
    Edgar Wibeau schleudert mich zurück in meine eigene Jugend, intensiv. Ich verstehe das Buch heute besser als damals, aber vielleicht ist es auch nur anders, weil man selber anders ist, erfahrener vielleicht oder reifer...


    Edgar steigt aus, zu Zeiten der DDR gar nicht so einfach, wo doch jeder wieder eingefangen und in ein Formular gepresst werden musste.
    Und den Werther findet er also auf dem Klo. Ich sage hier mal lieber nichts über Goethe, aber auch mir kann er gestohlen bleiben. Der Werther liest sich zwar noch ganz gut, aber zieht sich auch. Ich bin da ganz bei Edgar: dieses Gejammere, dass seine Liebste schon einem anderen versprochen ist, dann auch heiratet, aber unternommen wird nichts - selber Schuld!
    Edgar wird aber auch noch merken, dass es so einfach nicht ist im wahren Leben.


    Immer wieder kommt er in diesem Abschnitt auf Salinger, gemeint ist sein Roman "Der Fänger im Roggen". Edgar fühlt sich verstanden und versteht. Das Buch spaltet ja auch die Leser, siehe Leserunde. Ich mochte es trotzdem, wieder wie Edgar.


    Ich bin wirklich froh, dass ich das Buch nach so vielen Jahren noch mal lese!
    Es ist wie eine Reise in die eigene Lesevergangenheit und Vergangenheit überhaupt und sehr spannend für mich!

  • Ich frage mich, wie Edgar an den Salinger ran kam. Amerikanische Autoren waren doch nicht die Regel in der DDR, oder?


    Was mir nicht gefällt, ist der Stil in dem die Geschichte geschrieben ist.
    Die Geschichte selbst ist ok.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Ich denke, dass er es ähnlich gemacht hat, wie er es uns Lesern empfiehlt: er hatte es aus eine Bibo oder so und hat es behalten und als verlustig gemeldet.
    Irgendjemand hatte immer so ein Buch, wenn man die entsprechenden Leute kannte. Diese Bücher wurden rum gegeben, verborgt und gehütet, wie Schätze und wie ein Geheimnis.
    Ein Freund empfahl einem das Buch und wusste dann auch, wer es einem vielleicht borgen würde. Solche Bücher wurden rüber geschmuggelt oder vom Westbesuch heimlich mitgebracht...Wege gab es irgendwie...

  • Ich habe das Buch mal in der Schuke gelesen, kann mich aber fast gar nicht mehr dran erinnern, außer eben, dass der Werther und der Fänger im Roggen eine Rolle spielen, beides Bücher, die ich gar nicht mochte, den Werther habe ich sogar trotz Leserunde nicht zu Ende gelesen.
    Auf den ersten Seiten hat mich der ungewöhnliche Schreibstil erstmal etwas erschlagen, aber mittlerweile gefällt er mir richtig gut, passt einfach zu Edgar!

  • Zitat

    Original von Zwergin
    Auf den ersten Seiten hat mich der ungewöhnliche Schreibstil erstmal etwas erschlagen, aber mittlerweile gefällt er mir richtig gut, passt einfach zu Edgar!


    Ich finde auch, dass es einfach gut zu Edgar passt. Immerhin ist er schon tot, also er seine Kommentare abgibt, sozusagen als Flüsterer hinter den Lebenden, die über ihn sprechen. :grin


    Das ist sicher Geschmackssache. Ich mag diesen Schreibstil in diesem Buch,

  • Ich versuche den Plenzdorf und den Goethe parallel zu lesen, deshalb finde ich die Sprache vom Plenzdorf wohl auch nicht so schlimm. Der Goethe ist viel anstrengender, die alte Rechtschreibung ist sehr gewöhnungsbedürftig.


    Die Idee, nach dem eigenen Tod die Hinterbliebenen zu belauschen wie sie über einen reden und seine Kommentare dazu zu geben finde ich eigentlich ganz gut. Ich komme auch gut mit den Sprüngen zwischen den Dialogen und den Kommentaren von Edgar zurecht.


    Edgar ist bzw. war ein junger Mann der sein geordnetes Leben im damaligen Osten 1972 hingeworfen hat um nach Berlin und dort zu leben wie es ihm gefällt. Leider geht das nicht lange gut, er stirbt nach einem Strounfall.
    Es geht also um jemanden der aus den Zwängen und vorgegebenen Normen der damaligen DDR aussteigt um sein eigenes Leben zu leben.


    Es gibt tatsächlich viele Parallelen zu Goethes Werther. Auch dieser ist aus seinem gut sortiertem Leben ausgestiegen. Allerdings 1771. Er schreibt Briefe an seinen Besten Freund Wilhelm während Edgar Tonbänder an seinen Freund Willy schickt.


    Das Buch gefällt mir bisher ganz gut. Ich mag Menschen die nicht mit der Masse mitlaufen sondern ihren eigenen Weg verfolgen. Das war 1972 in der DDR sicher nicht einfach.

  • Zitat

    Original von LauraJane
    Ich versuche den Plenzdorf und den Goethe parallel zu lesen, deshalb finde ich die Sprache vom Plenzdorf wohl auch nicht so schlimm. Der Goethe ist viel anstrengender, die alte Rechtschreibung ist sehr gewöhnungsbedürftig.


    Ich kann dir nur Recht geben: Goethes Werther ist recht sperrig. Vielleicht sehen wir das Buch aber auch nur zu sehr aus der Sicht unserer Zeit.


    Zitat

    Es geht also um jemanden der aus den Zwängen und vorgegebenen Normen der damaligen DDR aussteigt um sein eigenes Leben zu leben.


    Ein typischer Aussteiger ist Edgar für mich nicht. Bis dahin war er auch recht unauffällig. Vielleicht war dieser Moment in der Werkstatt, ich sage nur Stahlplatte, einfach so ein Augenblick des Erwachens. Er ist auf der Suche, nach sich, einem Ziel, einem Weg. Auch hier Parallelen zum Salinger und in gewisser Weise auch zum Goethe.


    Zitat

    Das Buch gefällt mir bisher ganz gut. Ich mag Menschen die nicht mit der Masse mitlaufen sondern ihren eigenen Weg verfolgen. Das war 1972 in der DDR sicher nicht einfach.


    Ich glaube, das ist nie einfach, zu keiner Zeit. Mich erstaunt eher, dass Edgar einfach so in die Laube ziehen kann, dass da nie ein ABV (Abschnittsbevollmächtigter) vorbei kommt und feststellt, dass da illegal einer wohnt.

  • Das Buch liest sich doch ganz locker und einfach. Ich habe mit dem Stil keine Probleme und mir gefällt die Idee, den ollen Goethe einfach mal 200 Jahre später in der DDR anzusiedeln. Die Kommentare aus dem Off sind auch eine clevere Idee.


    Ich denke, über sowas wie den ABV muss man mal hinweggucken. Das Buch ist eher eine kleine literarische Spielerei mit leichtem politischen Touch.