Philipp Winkler - Hool

  • Titel: Hool
    Autor: Philipp Winkler
    Verlag: Aufbau
    Erschienen: September 2016
    Seitenzahl: 310
    ISBN-10: 3351036450
    ISBN-13: 978-3351036454
    Preis: 19.95 EUR


    Heiko Kolbe hat eine Familie, hat aber auch keine Familie. Die Mutter hat die Familie verlassen, der Vater ist seit einem Arbeitsunfall nur noch zugedröhnt und seine Schwester, Lehrerin, versucht zu retten was zu retten ist- sieht aber irgendwann auch, dass da eben nichts mehr zu retten ist. Die „richtige“ Familie von Heiko sind seine Hool-Kumpels. Diese Freundschaft steht für ihn immer an erster Stelle.


    Heiko arbeitet im Gym seines Onkels, ist da das Mädchen für alles. Sein Onkel Alex ist der Anführer der Hooligans, die sich zu irgendwelchen Schlägereien mit den Hools anderer Vereine verabreden. Einig sind die Hools von Hannover 96 in ihrem Hass gegen die Fans, die Hools und gegen den Verein Eintracht Braunschweig.


    Heiko wohnt bei einem total durchgeknallten Typ, Armin. Dieser hält sich gefährliche Kampfhunde, einen aggressiven Geier namens Siegfried und hat jetzt aus irgendwelchen ganz dunklen und dubiosen Quellen einen Tiger gekauft.


    Heiko lebt einfach so in den Tag hinein. Saufen, rauchen und sich prügeln – das scheint so seine Passion zu sein. Er glaubt an ewige Freundschaft und steht unerschütterlich zu seinen Freunden. Als sein bester Freund Kai sehr schwer verletzt wird und sich überlegt, wie das alles so weitergehen soll, da fühlt sich Heiko verraten.


    Die Jungs in diesem Buch leben ihrem Fatalismus. Mehr oder weniger orientierungslos dümpeln sie so vor sich hin. Immer sofort bereit dem Gegenüber gnadenlos die Fresse zu polieren.


    Philipp Winkler schreibt durchaus empathisch, baut aber kein Denkmal für seine handelnden Personen, er romantisiert das Hooligan-Dasein nicht. Er wahrt Distanz, wertet nicht, sondern berichtet. Er versucht aber zu ergründen, woher diese grenzenlose Wut kommt. Allerdings hat auch er keine erschöpfende Antwort auf diese Frage. Ist es der Frust, die Hoffnungslosigkeit im Allgemeinen? Keine Ahnung. Ist ein es vielleicht ein stummer Schrei nach Liebe? Mag sein.
    Diese jungen Männer stehen nicht nur am Rande der Gesellschaft – sie haben sich selbst dort hingestellt und finden dann irgendwie kaum noch den Weg zurück. Manche haben Abitur, studieren – aber immer scheinen sie auf der Suche nach etwas zu sein, von dem sie selbst nicht wissen was es eigentlich ist.


    Dieser Roman von Philipp Winkler ist im Grunde eine tieftraurige Geschichte. Ein Roman auch über Hoffnungslosigkeit und das Nichtankommen. Die Sprache des Autors klar, nicht anbiedernd sondern authentisch. Schnörkellos und teilweise kalt, in jedem Falle aber immer distanziert.


    7 Eulenpunkte für ein lesenswertes Buch – auch für die, die vielleicht mit Fußball, mit den Hooligans beim Fußball und mit jugendlicher Subkultur sonst gar nichts am Hut haben.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke für die Rezi, Voltaire - das interessiert mich, vor allem wegen deiner Anmerkungen zur stilistischen Herangehensweise. :wave

    SUB 220 (Start-SUB 2020: 215)


    :lesend Susanne Michl u. a. - Zwangsversetzt. Vom Elsass an die Berliner Charité. Die Aufzeichnungen des Chirurgen Adolphe Jung (1940 - 1945)

    :lesend Antonio Iturbe - Die Bibliothekarin von Auschwitz

    :lesend Anthony Doerr - Alles Licht das wir nicht sehen (Hörbuch)

  • Ich bin grad noch mittendrin, auf S. 120, schreibe aber einfach jetzt gleich was zu dem Buch, weil ich es nach der Beendigung eines Buches meistens vergesse oder einfach die Eindrücke von jetzt schon wieder nicht mehr so präsent sind.


    Ich bin sehr positiv überrascht davon, dass meine Bücherei dieses Buch gleich angeschafft hat, und dass ich es als eine der ersten lesen konnte.


    Aufgefallen ist es mir wegen der Nominierung für den Buchpreis 2016 - ist doch mal was Besonderes, ein Debütroman von einem 30jährigen über das Thema Hooligans!


    Die Sprache ist absolut authentisch, das finde ich super! Wobei man bei ein paar Ausdrücken schon kurz mal schlucken muss oder kurz überlegen, weil sich ein "Normalbürger" so einfach nicht ausdrücken würde. Aber gerade das mag ich!


    Abseits der gossensprachlichen Dialoge verwendet Philipp Winkler eine sehr schöne Sprache - was aber auch schon von Literaturkritikern als unpassend bemängelt wurde. Das finde ich allerdings gar nicht - im Gegenteil. Das ist gerade das Tolle daran, dass man hier einen wirklich gut geschriebenen Roman über so eine Szene lesen kann. Das ist einfach mal was Außergewöhnliches!


    Ich freue mich aufs Weiterlesen und würde zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls eine Leseempfehlung aussprechen!


    edit vom 19.11.2016:


    Sooooo - habe soeben die letzte Seite gelesen und das Buch "Hool" zugeklappt.


    Bin noch ganz erfüllt von meinen Leseeindrücken und muss sie deswegen sofort unmittelbar hier wiedergeben.


    Bei mir ist es so, dass ich


    - die meisten Bücher recht gut finde - das bedeutet für mich eine interessante Geschichte, nicht schlecht geschrieben, gut halt - aber auch wieder nicht sooooo gut, dass sie einem wirklich lange und eindrucksvoll in Erinnerung bleiben


    - einige grottenschlecht finde, das sind solche, die vor Klischees triefen, in denen die Darsteller aalglatt sind, die Story schon tausendmal dagewesen ist, der Schreibstil Fünftklässleraufsatzniveau hat und das Ende der Geschichte sowieso schon von vornherein absehbar oder - noch schlimmer- sowas von uninteressant ist, dass es einen überhaupt erst gar nicht interessiert - solche Bücher können dann ruhig auch abgebrochen werden. Ärgerlich ist es, wenn ein Buch auf mittlerem Niveau hindümpelt, und erst so etwa ab der Hälfte oder gar noch später so abschwächelt, dass es in die grottenschlechte Sparte abrutscht... Dann hat man echt viel Lesezeit unnütz vertan


    - und einige wenige Bücher als absolute Perlen empfinde, die einem absolut und total unter die Haut gehen, die sprachlich einfach gut geschrieben sind, wo der ganze Aufbau des Romans einfach stimmig ist, und die hier und da Sätze enthalten, bei denen ich mir denke: Wahnsinn, was für eine treffende oder wunderschöne oder extrem krasse Formulierung und/oder Beschreibung, die so traumhaft schön klingt oder aber so kraftvoll etwas zum Ausdruck bringt, oder den Leser auf geniale, fast nicht erwähnende, sondern nur zwischen den Zeilen lesende Art und Weise etwas erfahren lässt...


    Ist jetzt etwas kompliziert von mir beschrieben, aber ich glaube, ihr wisst, was ich meine...


    "Hool" gehört für mich definitiv zu den Perlen!


    Und das hier ist meine Begründung ;-) :


    Es behandelt ein Thema, worüber ich sowieso schon mal noch gar nie etwas gelesen habe, und das ich deswegen extrem interessant fand.


    Es hat Darsteller, die so plastisch vor meinem inneren Auge entstanden sind, dass ich aus dem Stehgreif einen Kinofilm danach drehen könnte und bei einigen Personen schon genau die Besetzung dazu wüsste!


    Es hat einen genialen Aufbau - und zwar wechselt die Geschichte immer zwischen verschiedenen Szenen hin und her. Anfangs spielt sich alles noch in der gleichen Zeitebene ab - Heikos Freunde und die Hool-Szene, Heikos Wohnsituation mit Arnim und den Tieren, Heikos Situation mit Vater und Schwester.


    Im Laufe des Buches werden die Sprünge zwischen den Kapiteln größer. Es springt immer mal zurück in die etwas frühere Vergangenheit, in die frühe Jugend, in die Kindheit... Man weiß aber inzwischen genug über Heiko, um die Kapitel zuordnen zu können.


    Und weil man immer mehr über Heiko erfährt, kann man auch immer besser nachvollziehen, warum sein Leben so entgleist ist. Es gab Situationen, die mich so berührt haben, dass ich weinen musste (was ich bei diesem Buch ganz sicher nicht erwartet hätte).


    Und das Buch zeigt keine schwarz-weiß-Welt. Keine der Figuren ist nur gut oder nur böse.


    Was ich auch noch sehr wichtig finde: Viele Autoren entspinnen irgendwelche spannende Nebenhandlungsstränge, die dann aber ins Leere laufen und null Bezug zur eigentlichen Geschichte letzten Endes herstellen. Entweder hat man diese Nebenschauplätze bis zum Ende der Geschichte schon wieder vergessen, weil sie nur kurzfristig Spannung erzeugen und zur Unterhaltung beitragen sollten, oder man wartet auf einen Bezug, eine Auflösung und ist dann enttäuscht. Aber in "Hool" laufen alle Stränge am Ende zusammen - ich denke, soviel darf man sagen, ohne dass es gespoilert ist.


    Wenn es ein Buch bis hierhin geschafft hat, gibt es nur noch eine große Herausforderung: Der Schluss! Wie soll ein Buch enden, dass einen Leser so mitgenommen hat? Es darf nicht unbefriedigend auslaufen, es darf nicht enttäuschend enden (oft der Fall, wenn Bücher irgendwie so komplett ohne Abschluss einfach mittendrin aufhören...), es darf auch kein kitschiges Happy-End haben...


    Ohne etwas über den Schluss zu verraten, würde ich sagen: "Hool" endet mit einem genial komponierten Schlussakkord! Ich würde es so beschreiben - man muss mit der Melodie und auch allen Dissonanzen des Buches mitgeschwungen haben, damit man mit dem Klang des letzten Akkords was anfangen kann.


    Also ich fand es in jeder Hinsicht toll und nur dann nimmt ein Buch mich so gefangen, dass es für mich ein echter Pageturner ist, und dass hat "Hool" bei mir geschafft.


    Jetzt tut es mir natürlich für jeden leid, in dem ich mit so ner Rezi extreme Lese-Erwartungen erwecke und dem es nachher vielleicht nicht so geht - aber für mich ist es auf jeden Fall so ne Perle :anbet

  • Diesen Roman habe ich sehr gerne gelesen und auch ziemlich schnell für meine Verhältnisse.


    Zwar werde ich als Frau es nie verstehen können, warum sich Männer zum gegenseitigen Verprügeln verabreden, aber ich kann es akzeptieren.
    Schade, dass sich die ursprüngliche Hool- Kultur so gut wie aufgelöst und zu etwas viel Schlimmerem entwickelt hat. Denn Heiko hasst Ultras und Nazis, das macht ihn ja fast schon wieder sympathisch.


    Überhaupt hat man die ganze Zeit das Gefühl, dass dieser (wenn auch schon fünfundzwanzigjährige) Junge nur eine Aufgabe brauchte, die er wirklich liebt (oder jemanden, der ihn liebt), um das Hool-sein nicht mehr zum Lebensmittelpunkt zu haben.
    Da er das jedoch nicht hat, muss er hilflos dabei zusehen, wie einer seiner Freunde nach dem anderen "erwachsen wird". Und wird dabei immer wütender.


    Vermutlich werde ich nie wieder ein Buch lesen, in dem ich so gut wie alle Schauplätze kenne, da ich gebürtig aus Hannover/Garbsen komme. Das hatte natürlich auch so seinen ganz eigenen Reiz.


    Was mich noch interessieren würde, ist, bei welchem Tom sich Philipp Winkler in seinem Nachwort bedankt.


    Diesem Buch würde ich viel mehr Leser wünschen, denn es ist wirklich gut geschrieben!


    8 Punkte.d


    P.S. Ich gebe es auf, mit dem Tablet Rezis schreiben zu wollen.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

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