Teil 3 – In dem ein ehemaliger Narr nicht nur neue Schuhe bekommt, ziemlich aufgeregt ist und ein Schlüsselerlebnis hat.
„Bonk!“, unnötig geräuschvoll ließ der ehemalige Narr das Holzgestell auf den Boden fallen, sobald er die Tür zum Thronsaal wieder hinter sich geschlossen hatte. Rufus blickte seitlich an einem seiner Stapel vorbei nach vorne, überrascht, daß das „Bonk!“ diesmal nicht von ihm verursacht wurde.
„Was ist los Hofnarr, haben dem König Deine Zahlen nicht gefallen?“, unüberhörbar klang die Schadenfreude aus Rufus’ Frage heraus. Er kratzte sich mit violett eingefärbten Fingerspitzen am fast haarlosen Kopf.
„Schwätz’ hier nicht rum, Alter. Tu lieber Deine Arbeit. Der König ist zufrieden und gibt mir eine neue Aufgabe. Ich bin dieses muffige Zimmer und Dich endlich los.“, erwiderte der ehemalige Narr, während er das Statistik-Pergament auf seinem Tisch ausbreitete und begann, es so klein wie nur möglich zusammenzufalten.
„So so, zufrieden war er also. Lass doch mal sehen.“, dabei streckte Rufus seine violetten Finger aus und verlangte nach dem Pergament.
„Das sind wichtige Geschäftsdaten, die nur den König etwas angehen.“, raunzte der ehemalige Narr dem Alten zu und ließ das zusammengefaltete Pergament schnell in seinem Wams verschwinden.
„Wie Du meinst, Narr.“, ließ Rufus seine Finger wieder sinken, nahm sich ein weiteres Dokument vom Stapel und knallte seinen Stempel darauf. „Bonk!“
Am Abend übergab der ehemalige Narr seine Dienstkleidung dem neuen Hofnarr, der genauso erfreut schien endlich die Glöckchenkappe entgegennehmen zu können, wie er, sie endlich loszuwerden. Mit einem letzten Klingeln der kleinen goldenen Glöckchen packte er die Kappe auf den Stapel Kleidung, die sein Nachfolger bereits auf beiden Händen balancierte. Frohgemut entschlummerte er nach einem reichlichen Abendessen in seiner Kammer und träumte von langen scharfen Schwertern und willfährigen Prinzessinnen, die Rüschchenunterwäsche trugen.
Der nächste Morgen erfreute fast alle Gemüter im Schloß. Die Sonne schien durch die hohen Fenster des Thronsaals und tauchte alle Anwesenden in ein warmes Licht. Der ehemalige Narr war nervös. Der König hatte sich noch nicht geäussert, wie seine neue Stellung aussehen würde und wollte sich gestern noch darüber mit der Königin beraten. Im Moment war er also alleine mit dem neuen Hofnarren und den zwei Wachen, die ganz am Ende des Saales stumm und unbeweglich, wie zwei Staturen herumstanden. Missmutig beäugte er den Hofnarren und seine verschnürten Hühner, die es sich auf den Stufen zum Thron bequem gemacht hatten.
„Was sind das für Striemen in Deinem Gesicht?“, fragte er den neuen Hofnarren neugierig und deutete auf dessen Gesicht.
„Ich habe gestern in meiner Kammer noch mit drei Katzen geübt.“, antwortete ihm der Narr enthusiastisch, nicht ohne ein bischen Stolz in seiner Stimme. „Ich hatte aber nur noch Stricke für zwei von ihnen, also habe ich die dritte einfach so mit in die Luft geworfen.“
Der ehemalige Narr schüttelte den Kopf, „Was seid Ihr nur für ein idiotischer Kerl? Mir dünkt, der König hat sich genau den Richtigen ausgesucht.“
In dem Augenblick öffnete sich die linke Tür und der König trat in den Thronsaal. Ihm nach folgte die Königin, in ein hellblaues Kleid gewandet, daß zwar bis zum Boden reichte, aber ihr üppiges Dekolletee fast unverhüllt ließ. Auf dem Kopf trug sie eine Krone, die in silbernen Einfassungen jede Menge blank poliertes Lapislazuli zur Schau stellte. Als ihr Blick ihn streifte, richtete er seine Augen sofort zu Boden und verneigte sich tief. Auch der Hofnarr war von den Stufen aufgesprungen und beugte sich vor den Hoheiten, die nun oben auf dem Thronpodest Platz nahmen.
„Du bist also der aufstrebende ehemalige Hofnarr“, stellte die Königin mit einem forschenden Blick fest. Sie rutschte etwas nach vorne auf ihrem Thron, so als ob sie ihn dann besser in Augenschein nehmen könne.
„Euer gnädigster Diener, Hoheit.“, nickte er, um gleich darauf innezuhalten, weil er diese vermaledeiten Glöckchen schon im Ohr hatte, die dann doch nicht klingelten. Er schalt sich innerlich, daß er ganz vergessen hatte diese dämliche Kappe gar nicht mehr auf dem Kopf zu haben.
„Der König hat mit mir gesprochen und ich habe tatsächlich eine neue Aufgabe für Dich.“, lächelte sie ihn freundlich an, stand auf und ließ sich vom König den bronzefarbenen Schlüsselring geben, von dem dieser erst umständlich den unansehnlichen verrosteten Eisenschlüssel entfernte. „Folge mir.“, befahl die Königin und schritt die Stufen hinunter und wandte sich der linken Tür zu. Der ehemalige Narr beeilte sich ihr nachzukommen und hörte noch kurz bevor er die Tür hinter sich schloß, wie der König dem neuen Hofnarren eine Frage stellte. „Woher stammen diese Striemen in Deinem Gesicht?“
Die Königin führte ihn durch unzählige Flure. Sie öffneten und schlossen Türen, kamen durch blaue Räume, durch rote und grüne Räume und schritten durch einen Spiegelsaal. Ihm war sogar, als ob hinter einer Tür an der sie vorbeigingen ein sehr charakteristisches „Blonk!“ zu vernehmen war. Er schüttelte den Kopf, als ob er eine lästige Fliege loswerden wollte und folgte der Königin rasch weiter. Mit jeden Raum und jedem Gang den sie hinter sich ließen wurde er aufgeregter und neugieriger, was es mit seiner neuen Aufgabe denn nun auf sich haben sollte. Vor einer doppelflügeligen weißen Tür, die goldene Griffe hatte, blieben sie stehen. Sie wandte sich lächelnd zu ihm um, während sie an einer blaugoldenen Kordel zog, die neben der Tür angebracht war und anscheinend eine von außen nicht hörbare Glocke betätigte.
Es dauerte nur wenige Sekunden, da hörte man, wie von innen ein Riegel zurückgeschoben wurde. „Oh, Eure Majestät. Wie schön.“, ertönte eine laute unangenehme Stimme, als die Tür endlich geöffnet war. Die Stimme gehörte zu einer Frau, die man durchaus als sehr feist bezeichnen konnte, wenn man sie wohlwollend betrachtete. Eine absurd große haarige Warze auf der Nase setzte ihrem Aussehen noch die Krone auf. Der ehemalige Narr trat vor Schreck einen Schritt zurück.
„Madame Priscilla, ich grüße Euch.“, freute sich die Königin sichtlich. „Was machen meine Kleider? Kommt Ihr gut voran?“
Madame Priscilla strahlte über das ganze Gesicht, was nicht wenig war und antwortete so laut, daß sie das „Bonk!“ von Rufus’ Stempel sicherlich mit Leichtigkeit übertönt hätte: „Aber sicher doch, Eure Hoheit. Die Stoffe wurden rechtzeitig geliefert und ich bin fleißig dabei Euer bezauberndes Antlitz bald in ebenbürtige neue Gewänder einhüllen zu können.“
„Oh wie schön, Madame.“, entgegnete ihr die Königin, erwiderte das Lächeln und deutete dann auf den ehemaligen Narren. „Hier, seht nur. Das ist der junge Mann, den ich Euch bereits angekündigt habe.“ Der ehemalige Narr erschauderte innerlich. Wäre er doch nur bei Rufus geblieben oder zu Füßen des Königs sitzend. In diesem Augenblick wünschte er sich nichts sehnlicher, als zu lernen mit gebündelten Katzen zu jonglieren.
„Der junge Mann ist mein neuer Kammerjunker. Bitte kleidet ihn entsprechend ein und schickt ihn anschliessend zu mir.“ Mit diesen Worten reichte die Königin den bronzefarbenen Schlüsselring dem ehemaligen Narren, der in diesem Augenblick gar nicht wusste, wie ihm geschah.
Verdutzt und kaum eines vernünftigen Wortes fähig, brachte er gerade noch ein gestammeltes „Danke Hoheit.“ heraus, bevor sie ihn und Madame Priscilla alleine ließ.
Zwar neu eingekleidet, aber dafür mit grimmiger Miene lief der neue Kammerjunker der Königin durch die Gänge des Schloßes. Bei jedem Schritt klingelten kleine Glöckchen, die an den Spitzen seiner neuen rosafarbenen Schnabelschuhe angebracht waren. Als er wieder einmal an einem der vielen Spiegel vorbeikam, hielt er kurz inne und betrachtete sein bizarres Äußeres, welches er Madame Warzennase zu verdanken hatte. Auf dem Kopf trug er eine dunkelgrüne Kappe, die mit goldenen Stickereien verziert war. Über einer zweifarbigen Strumpfhose, deren rechtes Bein schwarz und deren linkes Bein weiß war, trug er eine kurze dunkelgrüne Pluderhose in der ein weißes Rüschenhemd steckte. Auf den Armen trug er mehrere Pakete, die ihm Madame Priscilla für die Königin mitgegeben hatte. Kopfschüttelnd wandte er sich von seinem Spiegelbild ab und machte sich weiter auf die Suche nach den Gemächern der Königin. Den Schlüsselring hielt er mit ein paar Fingern gut fest. Er war sehr zufrieden mit sich, bestimmt bekam nicht jeder die Schlüssel der Hoheiten anvertraut.
Als er endlich vor der Tür ankam, die die hellblauen Insignien der Königin trug, stellte er die Pakete ab und schaute sich erfolglos nach einer dieser Glockenkordeln um, die an zahlreichen Türen im Schloß angebracht waren. Er entschloß sich, es mit Anklopfen zu versuchen. „Blonk! Blonk!“, ertönte es lauter als er beabsichtigt hatte. Er wartete und lauschte, doch es war nichts zu hören. Kurzentschlossen nahm er die Schlüssel zur Hand. Er sah sich ein weiteres Mal die feinen, aber sehr frivolen Gravuren auf dem silbernen Schlüssel an und probierte ihn an der Tür der Königin aus, als erneut ein Donnergrollen ein Gewitter ankündigte.
Ende von Teil 3
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