Die Unvollkommenheit der Liebe - Elisabeth Strout

  • Die Unvollkommenheit der Liebe
    Elizabeth Strout
    Luchterhand Literaturverlag
    ISBN: 3630875092
    208 Seiten, 18 Euro


    Über die Autorin: Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren und wuchs in Kleinstädten in Maine und New Hampshire auf. Nach dem Jurastudium begann sie zu schreiben. Ihr erster Roman »Amy & Isabelle« (1998) wurde für die Shortlist des Orange Prize und den PEN/Faulkner Award nominiert. Für »Mit Blick aufs Meer« bekam sie 2009 den Pulitzerpreis. Alle ihre Romane waren Bestseller. Elizabeth Strout lebt in Maine und in New York City.


    Kurzbeschreibung: Als die Schriftstellerin Lucy Barton längere Zeit im Krankenhaus verbringen muss, erhält sie Besuch von ihrer Mutter, die sie jahrelang nicht mehr gesehen hat. Zunächst ist sie überglücklich. Doch mit den Gesprächen werden Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend wach, die sie längst hinter sich gelassen zu haben glaubte …


    Meine Meinung: Schon lange habe ich keinen Roman mehr gelesen, zu dem ich so wenig Zugang fand, wie „Die Unvollkommenheit der Liebe“. Lucy Barton ist Hobby-Schriftstellerin. Als sie für längere Zeit ins Krankenhaus muss, erhält sie Besuch von ihrer Mutter, die Tage und Nächte an ihrem Bett verbringt. Eine Mutter, die ihrem Kind nie gesagt hat, dass sie es liebt und die es nie sagen wird. Alles, was sie zu erzählen hat, sind Geschichten über gescheiterte Ehen in ihrer Bekanntschaft.


    Viele unausgesprochene Dinge scheinen zwischen Mutter und Tochter zu stehen, und sie werden auch jetzt nicht thematisiert. Lucy, die ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht hat und dann einen Roman schreiben wird, berichtet nur in Bruchstücken über ihre Kindheit. Sie springt zwischen Rückblicken auf die Kindheit, ihren Krankenhausaufenthalt, kleinen Alltagserlebnissen und Betrachtungen ihrer Ehe hin und her.


    Alle Themen werden nur oberflächlich angerissen. Die Sätze sind ebenso kurz wie die Kapitel. Vieles klingt holprig, wirkt sehr unbeholfen und man nimmt Lucy nicht ab, dass sie ausgerechnet Schriftstellerin geworden ist. Sie klingt wie ein einfaches und ungebildetes Mädchen vom Lande, dass versucht, alles, was ihr gerade in den Kopf kommt, mit mühsamer Schreibschrift auf einen Schreibblock zu bringen. Unstrukturiert und für mich als Leserin leider uninteressant.


    Weder wird klar, worunter genau sie in ihrer Kindheit gelitten hat, was sie immer wieder nebenbei erwähnt, noch, was der Sinn dieses Buches sein soll. Die vorab gelobte poetische Prosa habe ich nicht finden können. Noch 3 Seiten vor Ende habe ich mit mir gekämpft, das Ganze abzubrechen, doch ich habe tapfer durchgehalten.


    Mein Fazit: Der Sinn dieses Romans hat sich mir nicht erschlossen. Ich habe weder Poesie noch Weisheit oder irgendetwas in diesem Buch gefunden, das mir gefallen hat. Von einer Pulitzer-Preisträgerin hatte ich anderes erwartet.

  • Dieses Buch hat mich gleich von den ersten Seiten an gefesselt. Zu meiner eigenen Überraschung.


    Lucy Barton ist in tiefer Armut aufgewachsen. In ihrer Familie gab es keine großen Gefühlsbezeugungen. Als erwachsene Frau liegt sie nach einer Blinddarmoperation wegen einernysteriösen Infektion 9 Wochen lang im Krankenhaus. Es sind die 80iger Jahre. Ihr Mann und ihre Töchter können sie nur selten besuchen. Aber eines Tages sitzt ihre Mutter, die sie lange nicht gesehen hat, an ihrem Bett. Ganze 5 Tage rührt sie sich kaum von ihrem Stuhl. Sie sprechen über Nichtigkeiten, ihre Mutter erzählt ihr Klatsch und Tratsch aus der provinziellen Heimatstadt. Alles ungut endende Geschichten. Frauen, die ihre Männer verließen, oder verlassen wurden und irgendwie nie glücklich wurden. Nur die wirklich wichtigen Dinge, die sprechen Mutter und Tochter nie an.
    Elizabeth Strout ist eine hochgelobte Autorin. Ich war ein wenig skeptisch aber auch neugierig, ob sie mir liegt. Ich weiß nicht, ob ich noch weitere Bücher von ihr lesen möchte, zu Eigen war doch ihr Stil. Aber ich bin froh, dass ich dieses Buch gelesen habe. Denn es hat mich definitiv aus meiner Komfortzone herausgeholt. Ich empfand ihre Sprache als sehr einlullend, sehr geschmeidig und geschliffen. Sie sagt wenig, das Buch ist sehr kurz. Aber alle kleine Geschichten, viele kurze Bemerkungen sind sehr vielschichtig und auf eigene Weise eloquent. Denn wirklich wichtige Dinge werden nicht ausgesprochen. Eine Dinge, die Lucy passiert sein können, bleiben wage. Unwichtige kleine Geschichten werden erzählt, aber das essentielle bleibt ungesagt. Lucys Mutter kann nicht sagen, dass sie sie liebt. Das bekommt sie nicht ausgesprochen. Warum das so ist, erfahren wir nicht, aber ein Universum an Gründen ist möglich.


    Das Buch mäandert vor sich hin. Es ist kurz, nur knapp mehr als 200 Seiten. Dabei wird so nebenbei Lucys Leben skizziert. Aber vor allem ihre Kindheit ist wichtig. Wobei da so vieles nicht ausgesprochen wird sondern seinen Gegenpart in etwas in ihrem Erwachsenenleben wiederfindet. Hier wird der wundervollen Banalität des normalen Lebens gehuldigt, denn sie lässt uns die schlimmen Dinge, die passiert sind, ertragen. Menschen, denen Lucy begegnete und die ihr Leben prägten, werden in wenigen Worten so plastisch umschrieben, das ist wirklich eine Kunst.


    Wer gerne ein gradliniges Buch mit einer ordentlich umrissenen Handlung lesen möchte, ist hier verkehrt. Ich empfand dieses Buch als überraschend anders, in seiner Knappheit und wagen Erzählung aber sehr tiefgründig und nachhaltig. In wenigen Worten und ohne große Erklärungen erzählt uns Lucy ihr Leben, ihr Weg in die Heilung von allem, das ihr widerfahren ist. Das macht es zu einem sehr positiven Buch. Für mich war es ein unerwartetes tiefgründiges Leseerlebnis.

  • Stark, aber nicht überzeugend


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    Im Mittelpunkt dieses Romans, der eher eine episodische, oft fragmentarische Erzählung ist, steht Lucy Barton, eine junge Frau aus der Provinzstadt Amgash, die in großer Armut aufgewachsen ist und von ihren Eltern schrecklich be- und misshandelt wurde. Lucy lebt inzwischen in New York, hat eine Familie und ein Leben, das weitgehend in Ordnung ist, obwohl die Ehe ein wenig kriselt, sie hat ihre ersten beiden Short Storys veröffentlicht und wird später eine erfolgreiche Schriftstellerin werden – davon erzählt dann u.a. „Alles ist möglich“, einer der zwei, drei stärksten Romane von Elizabeth Strout, der ein Jahr nach diesem Buch erschienen ist.


    Zum Zeitpunkt der Erzählung ist Lucy krank und liegt im Krankenhaus. Ihre Erkrankung ist heftig, aber rätselhaft, und es wird Wochen dauern, bis sie, halbwegs genesen, entlassen werden kann. Doch vorher taucht plötzlich Lucys Mutter auf, setzt sich ans Fußende des Bettes und bleibt für einige Tage. Die beiden haben sich seit Jahren nicht gesehen und auch lange nicht mehr miteinander gesprochen. William, Lucys Mann, hat sie angerufen, weil er selbst nur wenig Zeit finden wird, sich um Lucy im Krankenhaus zu kümmern.


    Der Krankenhausaufenthalt wird auf diese Art zur mit vielen Flashbacks garnierten Vergangenheitsbewältigung, wobei eigentlich nichts bewältigt wird – so funktioniert das mit der Vergangenheit ja auch nicht. Obwohl Mutter und Tochter viel reden und lange zurückliegende Ereignisse gemeinsam revuepassieren lassen, reden sie oft aneinander vorbei, will die Mutter auf bestimmte Fragen oder Themen einfach nicht reagieren, während Lucy, wie das sehr oft bei Missbrauchsopfern der Fall ist, die Schuld nach wie vor auch bei sich sucht, und selbst Jahre später noch nicht aus den seinerzeit etablierten Verhaltensmustern ausbrechen kann. Sie ist still, zurückhaltend, übermäßig dankbar, sensibel, aber auch aufmerksam und sehr klug. Die Mutter ist wie früher, möglicherweise einen Hauch toleranter, aber falsch gemacht sie ganz sicher nichts. Nie. Man verspürt beim Lesen den immer stärker werdenden Wunsch, ins Flugzeug zu springen, nach NY zu fliegen, in dieses Krankenhaus zu marschieren, die Frau am Kragen zu packen und ihr mal sehr, sehr ordentlich die Meinung zu sagen.


    Neben der Mutter-Tochter-Beziehung, die wahrlich erschütternde Seiten hat, erzählt Lucy, die als Ich-Erzählerin auftritt (was ungewöhnlich für Strout-Romane ist), davon, wie und warum sie Schriftstellerin wurde. Sie berichtet, wie sie Sarah Payne traf, die Autorin, die ihr vermittelt hat, dass man rabiat und unerschütterlich sein muss, dass man sein Werk nicht rechtfertigen darf, und dass es immer nur eine einzige Geschichte ist, die man als Schriftsteller erzählt.


    Am Ende wird die nicht sehr lange Erzählung immer faseriger, werden die Kapitel immer kürzer, kommt man sich vor wie in einem sehr unübersichtlichen, vielarmigen Flussdelta, aber das soll wohl auch so sein. „Die Unvollkommenheit der Liebe“ bricht mit herkömmlichen Erzählstrukturen und Erwartungen, ist selbst so unvollkommen wie die Liebe, aber es fühlt sich leider zugleich auch an, als hätte Elizabeth Strout Resteverwertung betrieben, wenn auch auf sehr hohem Niveau. Die große Kompaktheit und erzählerische Dichte fehlt hier, die oft unbeholfen agierende Ich-Erzählerin nervt manchmal, vor allem, wenn sie besonders unelegante Formulierungen verwendet, die eigentlich in Tagebücher gehören.


    Die zwei stärksten Motive – die Schriftstellerei und Lucys Kindheit – wirken auch am stärksten, aber im Vergleich zum sonstigen Werk von Elizabeth Strout überzeugt mich die Geschichte vor allem literarisch nicht übermäßig.


    ASIN/ISBN: 3442716578