'Eichmann in Jerusalem' - Seiten 001 - 068

  • Wenn man das Nachwort von Hans Mommsen liest, dann sollte dabei im Hinterkopf behalten, das Mommsen zu den führenden Köpfen der "Anti-Ernst-Nolte-Fraktion" gehörte. Mommsens Standpunkt stand fester als die Deutsche Eiche - wobei viele auch heute ihre Kritik an Nolte revidiert haben bzw. zum Teil revidiert haben. Das jetzt nur nebenbei - um Mommsen auch richtig einordnen zu können.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Auf Seite 18 beginnt die Auseinandersetzung mit dem Teil des Berichtes, der solchen Protest hervorgerufen hat.

    Zitat

    ("...'in welch ungeheurem Ausmaß die Juden mitgeholfen haben, ihren eigenen Untergang zu organisieren.'"


    Ich habe das so verstanden, dass die Judenräte mit den Nazis zusammengearbeitet haben und auch noch nach dem Krieg in entsprechenden Positionen waren, Mitverantwortung getragen haben. Wenn ich das richtig verstehe, sind diese Judenräte sogar von den Nazis bestimmt worden. Arendt hat dies angesprochen, so verstehe ich das, damit auch dieser Teil aufgearbeitet wird, denn nur so könne die Vergangenheit bewältigt werden. Durch ihre unumstößliche Neutralität hat sie alle Missstände angeprangert, auch auf Seiten der "Opfer". Eigentlich stellt sie nur in Frage, ob nicht etwas verhindert worden wäre, hätte es nicht diese Juden-Elite gegeben.
    Ich bin mal gespannt, welchen Umfang dieser Teil in dem Buch wirklich hat.


    Mommsen schreibt auf Seite 34, dass

    Zitat

    "Viele der im Eichmann-Buch enthaltenen Einsichten und Herausforderungen (...) für die breite Öffentlichkeit zu früh und zu unvorbereitet [kamen]."


    Das impliziert für mich, dass Arendts Ansichten später durchaus Zustimmung fanden.


    Auf jeden Fall werde ich im Anschluss noch eine Biografie über Hannah Arendt lesen. Diese Frau fasziniert mich ungemein.



    Das waren für mich die Hauptpunkte aus dem Mommsen-Text.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Clare
    ...
    Danke!!! Ich dachte schon, dass ich die einzige Ahnungslose bin und ihr alle viel schlauer...


    Clare, ich denke, dass es die ähnlich wie mir geht. Ich habe großen Respekt vor solchen Büchern und denke in politischen Dingen immer, dass ich nur einen Bruchteil verstehe, obwohl ich durchaus interessiert bin und Zeitung lese usw. Gerade, wenn ich es mit so viel schlaueren Leuten zu tun habe. Auf der anderen Seite ist Lesen ja auch dazu da, dazuzulernen. Und das passiert gerade bei mir.
    Also, alle Hemmungen über Bord schmeißen und im Zweifelsfall korrigiert werden. :grin


    Zitat

    Original von Clare
    ...
    Ich bin bereits mit dem ersten Abschnitt fertig. Mir fällt es aber, ganz im Gegensatz zu sonst immer, schwer, etwas dazu zu schreiben. Warum? Ich weiß nicht.
    Buch zur falschen Zeit? Leser zum falschen Buch? Ich weiß es nicht.


    Bei diesem Buch muss ich auch anders vorgehen als bei anderen Leserunden. Ich habe mich entschieden, mich an Zitaten entlangzuhangeln. Du bist bestimmt kein falscher Leser zu diesem Buch! :kiss
    Ich würde dich in der Leserunde sehr vermissen. :knuddel1


    [SIZE=7]Edit tauscht Buchstaben.[/SIZE]

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Regenfisch ()

  • Zitat

    Original von harimau
    ...
    Das scheint nicht nur dir so zu gehen, andernfalls fände ich es ich schwer erklärlich, warum die LR so mühsam in Gang kommt. Auch ich habe Schwierigkeiten, mich hier einzubringen, obwohl es für mich sicher nicht das Buch zur falschen Zeit ist. Vielleicht sollten wir unsere Gedanken einfach "plätschern" lassen und sehen, was sich daraus entwickelt? :gruebel Auf jeden jeden jeden Fall finde ich, dass wir uns durch den mühsamen Einstieg nicht entmutigen lassen und abbrechen sollten, weil wir damit meiner Meinung nach eine große Chance für uns Teilnehmer sowie die Entwicklung der Büchereule im Allgemeinen verschenken würden.


    Man möge mir verzeihen, wenn meine Gedanken weniger präzise ausgedrückt sind, als die sensible Thematik es verlangt, aber ich komme gerade von der Nachtschicht und bin nicht sehr konzentriert; trotzdem schreibe ich, weil mir diese Leserunde viel bedeutet.


    LG harimau :wave


    Mir geht es einfach so, dass ich für den ersten Abschnitt viel Zeit gebraucht habe. Auch zum Verfassen der Beiträge benötige ich mehr Zeit als bei anderen Leserunden. Ich kann hier weniger "aus dem Bauch schreiben"- das mache ich nämlich sonst.
    Ich fand den Anfang tatsächlich mühsam, aber sehr lohnend und informativ. Deinen Rat habe ich befolgt und meine Gedanken einfach "plätschern" lassen. Ich hoffe, es plätschert jemand mit. :knuddel1

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Wenn man das Nachwort von Hans Mommsen liest, dann sollte dabei im Hinterkopf behalten, das Mommsen zu den führenden Köpfen der "Anti-Ernst-Nolte-Fraktion" gehörte. Mommsens Standpunkt stand fester als die Deutsche Eiche - wobei viele auch heute ihre Kritik an Nolte revidiert haben bzw. zum Teil revidiert haben. Das jetzt nur nebenbei - um Mommsen auch richtig einordnen zu können.


    Kannst du das noch ein bisschen näher ausführen? Nolte ist ja erst kürzlich gestorben und ich habe einige Artikel in den Zeitungen über ihn gelesen. Trotzdem fehlt mir der Zusammenhang zwischen Nolte und Mommsen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zur "Vorrede" habe ich mir viel weniger Notizen gemacht.


    Eichmann war in Arendts Augen nicht die Verkörperung des Teufels.

    Zitat

    "Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive; (...)."

    S. 56

    Zitat

    "Es war gewissermaßen schiere Gedankenlosigkeit - etwas, was mit Dummheit keineswegs identisch ist - die ihn dafür prädisponierte, zu einem der größten Verbrecher jener Zeit zu werden."

    S. 57


    Wenn ich diese Sätze jetzt wieder lese, ist das für mich beinahe unfassbar. Die Massenvernichtung wurde von einem gedankenlosen Bürokraten vorangetrieben- das ist schwerer zu begreifen, als wenn Arendt zu dem Schluss gekommen wäre, eine von Hass besessene Bestie vor sich zu haben.


    Zitat

    "(...) liegt es auf der Hand, daß das Ordnungsprinzip, nach dem gemordet wird, beliebig bzw. nur von historischen Faktoren abhängig ist."


    S. 58


    Auch ein unfassbarer Gedanke.


    Ein weiterer Gedanke, der mich beschäftigt, ist, dass Arendt anspricht, dass unter Hilter jegliche Moral und jegliche Gebote ungültig waren.

    Zitat

    "Diejenigen, die urteilten, urteilten frei, sie hielten sich an keine Regel, (...) sie entschieden vielmehr jeden einzelnen Fall, (...) als ob es allgemeine Regeln für ihn nicht gäbe."


    Soweit meine Gedanken zum ersten Abschnitt.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich muss ehrlich sagen, dass ich im Laufe des Lesens des Mommsen-Textes zunehmend ungeduldig geworden bin. Das Vorwort dreht sich um die Kritik an Hannah Arendts Aussagen in diesem Buch, vor allem in Bezug auf die Verantwortung der jüdischen Obrigkeit und ihre Sicht auf Eichmann, dass er eben kein Ungeheuer war, sondern ein "akribischer Bürokrat".
    Ich habe dann immer geschaut, wie lange das Kapitel noch ist, denn ich fand dann doch, dass jetzt endlich einmal Hannah Arendt selbst zur Wort kommen sollte bzw. ich das Bedürfnis hatte, endlich mich mit ihren Worten zu beschäftigen.
    Deshalb kann es sein, dass ich dem Mommsen derzeit nicht die vielleicht nötige Aufmerksamkeit geschenkt habe und das Vorwort zwar gelesen, aber mich nicht so intensiv wir ihr damit auseinandergesetzt habe.


    Hannah Ahrendts Vorrede zum Buch war für mich dann viel angenehmer zu lesen, aufschlussreicher und eben auch interessanter.


    Ihre Gedanken zur Schuld an sich, fand ich sehr spannend. Allein, dass sie den deutschen eine Kollektivschuld und dem jüdischen Volk eine Kollektivunschuld abgesprochen hat, finde ich sehr aufschlussreich, was ihre Denkweise und ihre Argumentation angeht. Allein dies muss ihre jüdischen Glaubenschwestern und -brüder zur damaligen Zeit auf die Barrikaden gehen lassen. Das ausgerechnet eine Jüdin nicht nur so denkt, sondern dies auch publiziert, musste so hohe Wellen schlagen. Dabei scheint diese Einstellung tief in ihr verwurzelt zu sein und ich kann mir gut vorstellen, dass sie mit vielen Reaktionen nicht gerechnet hat und diese auch nicht wirklich verstehen wollte.


    Auch ihre Ausführungen zu Gerichtsbarkeit und zur Gerechtigkeit finde ich bemerkenswert. Genauso geht es mir mit ihrer Sichtweise auf den Holocaust als Verbrechen an der Menschlichkeit und eben nicht am jüdischen Volk allein. Allein das muss Betroffene, die das nur oberflächlich betrachten können oder wollen, sehr wütend machen, ist aber für mich persönlich aus heutiger Sicht, die richtige Perspektive.


    Beim Lesen geht es mir oft so, dass mir eine ihrer Aussagen auffällt und ich erstmal darüber nachdenken muss. Mir fällt es dann schwer, darüber hier in der Runde etwas zu schreiben. Oft beschäftigt mich das mehrere Tage und dann muss ich es nochmal lesen. Deshalb bin ich auch fürs "Plätschern lassen". Ich bin nicht in der Lage mich wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen, so wie Mommsen es tut, deshalb möge man mir meine laienhaften, unausgegorenen Gedankengänge nachsehen. ;-)


  • Ich würde dich auch vermissen! :knuddel1


    Ganz abgesehen davon, bin ich auch nicht schlauer als ihr. Aber ich finde die Mischung in dieser Runde und die unterschiedlichen Sichtweisen gerade deshalb so interessant. Ich glaube, dass wir erstmal alle unseren Weg finden müssen, dieses Buch mit einer Leserunde in Einklang zu finden. Mir fällt das nicht ganz so leicht, aber ich rede ja eigentlich sowieso lieber, als zu schreiben. :-)

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Kannst du das noch ein bisschen näher ausführen? Nolte ist ja erst kürzlich gestorben und ich habe einige Artikel in den Zeitungen über ihn gelesen. Trotzdem fehlt mir der Zusammenhang zwischen Nolte und Mommsen.


    :write
    Ich schließe mich Regenfischs Fragen an und mich würde auch interessieren, ob Nolte sich jemals zu Arendt geäußert hat bzw. wie er zu Arendt stand, wenn dies bekannt ist.



    Edit:
    Ich habe meine Ursprungs-Aussage editiert, weil ich vermute, dass sie missverstanden werden könnte und nicht als Frage erkennbar war.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Interessant finde ich auf S. 17 seinen Begriff von den "subsidiären Tugenden" und vermute, dass er hier das meint, was ich unter sekundären Tugenden kenne. Also Fleiß, Gehorsam, Ordnung, Sauberkeit usw.


    Exakt. Und in diesem Zusammenhang eben auch höchst aufschlussreich, diese Wortwahl. Man denke an Oskar Lafontaines Aussage zu Helmut Schmidt im Jahr 1982:
    „Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. [...] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben"

  • Zitat

    Original von harimau
    Wichtig an Mommsens Beitrag erscheint mir unter anderem, dass er uns hilft, aus dem zeitlichen Abstand heraus die Bedeutung von Arendts Prozessbericht und ihren Schlussfolgerungen im Kontext der damaligen wissenschaftlichen Diskussion sowie des allgemein vorherrschenden Empfindens zu verstehen und einzuordnen. Er erklärt, warum dieses Buch eine so heftige Kontroverse, gar einen Skandal auslöste, indem es eine indirekte "Mitwirkung" (sehr vereinfacht ausgedrückt; der Text erklärt, was ich meine) [B]der Opfer an ihrer Vernichtung implizierte, was einem Tabubruch gleichkam, und den Holocaust von einem Verbrechen am jüdischen Volk zu einem Verbrechen an der Menschheit erweiterte, womit sie sich in einen Gegensatz zur zionistischen Politik (...).


    Ja, so sehe ich das auch. Und nicht nur das: Du hast hier perfekt zusammengefasst, harimau, worum sich die Diskussion über das Buch in den Jahren seines Erscheinens im wesentlichen gedreht hat. inzwischen hat sich das verändert, aber dazu sagt auch Mommsen noch etwas im Nachwort, das ja 2011 geschrieben wurde. Doch dazu kommen wir später.

  • Zitat

    Original von harimau
    (...) Zum zweiten widerspricht sie der bis dato vorherrschenden Sicht auf den Menschen Eichmann, indem sie ihn als einen, man verzeihe mir die deutlichen Worte, verschissenen Niemand bloßstellt, der als leider sehr "erfolgreicher" Bürokrat maßgeblich am Mord von Millionen Menschen teilhatte, ohne Überzeugungen, ohne Initiative, ohne Brillanz, nur ein - wichtiges - Rad in der großen Mordmaschinerie, wo es doch, um das Unfassbare in irgendeiner Form begreiflich zu machen, nach einem Ungeheuer verlangt, um derart Ungeheuerliches mitzuvollbringen. Ich persönlich finde es umso erschütternder, dass sich das Böse im - bestenfalls - Mittelmaß manifestiert und damit eine umso breitere Basis findet.


    Wir werden im Buch selbst reichlich Gelegenheit haben, uns mit diesem Aspekt zu befassen, der seine Kulmination in der Frage findet: Darf man Eichmann eigentlich zum Tode verurteilen, auch wenn man ihm nicht den eigenhändigen Mord an einem einzigen Menschen nachweisen könnte?


    Und dann wird es darum gehen, diese Aussage von Eichmann zu bewerten: "Ich habe keinen einzigen Juden getötet. Ich habe überhaupt keinen Menschen getötet". Die Bewertung dieser Aussage ist von fundamentaler Bedeutung in juristischer Hinsicht, aber auch in moralischer, ethischer und politischer. Was übrigens auch für E´s gewaltsame Entführung aus Argentinien durch des israelischen Staat betrifft. Aber das kommt alles noch - wir haben noch viel zu diskutieren ...

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Ich habe das so verstanden, dass die Judenräte mit den Nazis zusammengearbeitet haben (...). Wenn ich das richtig verstehe, sind diese Judenräte sogar von den Nazis bestimmt worden. Arendt hat dies angesprochen, so verstehe ich das, damit auch dieser Teil aufgearbeitet wird, denn nur so könne die Vergangenheit bewältigt werden. Durch ihre unumstößliche Neutralität hat sie alle Missstände angeprangert, auch auf Seiten der "Opfer". Eigentlich stellt sie nur in Frage, ob nicht etwas verhindert worden wäre, hätte es nicht diese Juden-Elite gegeben.
    Ich bin mal gespannt, welchen Umfang dieser Teil in dem Buch wirklich hat.


    Ja, Regenfisch, das genau war der Dreh- und Angelpunkt der Kritik vor allem der überzeugten Zionisten an HA´s Buch. Wir werden ihn (diesen Aspekt) in unterschiedlichen Beleuchtungen im eigentlichen Text des Buches mehrfach wieder aufgreifen können. Und das ist auch gut so, denn ein ganz wesentliches und der Rechtsprechung überaus hinderliches Merkmal dieses Prozesses war genau das, nämlich die auch für den souveränen Vorsitzenden nur schwer erträgliche Beeinflussung der Rechtsfindung durch die (verständlicherweise) zionistisch ideologisch geprägte Ben-Gurion-Regierung und den ihr verantwortlichen Staatsanwalt, welcher Eichmann unbedingt zum Erfinder der Shoa stilisieren wollte. Und in solcher politisch diktierten Atmosphäre kommen Fragen nach Unterlassungen oder gar Mitwirkungen der Opfereliten nicht gut an.

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Wenn ich diese Sätze jetzt wieder lese, ist das für mich beinahe unfassbar. Die Massenvernichtung wurde von einem gedankenlosen Bürokraten vorangetrieben- das ist schwerer zu begreifen, als wenn Arendt zu dem Schluss gekommen wäre, eine von Hass besessene Bestie vor sich zu haben.


    Das ist genau das, was der Untertitel von der Banalität des Bösen aussagt.


    Und du hast recht: Es IST unfassbar. Heute noch. Immer.

  • Unter Drogen (2 Iboprophen 800) schreibe ich dieses hier. Bitte daher um Nachsicht.


    Ich weiß nicht, ob es schon irgendwo erwähnt wurde – aber es geht um die juristische Legalität des Prozesses gegen Eichmann in Israel.
    Man darf nicht vergessen: Durch die Entführung Eichmanns aus Argentinien, hat Israel die Souveräität Argentiniens verletzt, gerade auch im Hinblick darauf, dass es hier eine Entführung durch den israelischen Geheimdienst war, also eine Aktion des Staates Israel – keine Privataktion.
    Dieses ist nun ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht.


    Rechtsphilosophisch wirft das jetzt die Frage auf: Kann ein Verstoß gegen das Völkerrecht unter gewissen Umständen gerechtfertigt sein oder muss hier das Völkerrecht unter allen Umständen eingehalten werden? Ist das Völkerrecht ein unverletzliches Rechtsgut?
    In diesem besonderen Fall halte ich den Verstoß gegen das Völkerrecht für durchaus vertretbar. Im Rahmen einer normalen Güterabwägung ist nun zu prüfen, ob die gerichtliche Verfolgung Eichmanns höher anzusiedeln ist als die Verletzung der Souverität Argentiniens.
    Auch im Völkerrecht gilt der Grundsatz, das der Sinn einer Vorschrift entscheidend ist, nicht aber in erster Linie die buchstabengetreue Befolgung.


    Da Argentinien Eichmann mit großer Wahrscheinlichkeit wohl höchstens nach Deutschland ausgeliefert hätte, Israel aber ein besonderes Interesse an der Strafverfolgung im eigenen Land hatte, ist dieser Bruch des Völkerrechts vertretbar. Eine Auslieferung Eichmanns nach Deutschland hätte bedeutet, das er mit großer Wahrscheinlichkeit eine lebenslange Zuchthausstrafe erhalten hätte, denn ein deutscher Staatsbürger kann gegen sein Willen nicht ausgeliefert werden – insofern wäre eine Auslieferung nach Israel sehr unwahrscheinlich gewesen.


    Völkerrechtlich steht dieser Prozeß also ein klein wenig auf Legalitätskippe – nach israelischem Recht aber ist er legitim. Und nur danach konnte das Bezirksgericht Jerusalem und das Berufungsgericht befinden.


    Doch nun ein paar Bemerkungen zu Mommsen Vorwort:
    Mir ist nicht ganz klar, was er mit seinen Vorwürfen in Richtung der Staatsanwaltschaft bezweckt. Vielleicht sollte er sich als Nichtjurist da besser zurückhalten. Nach den israelischen Gesetzen – und nur die sind hier heranzuziehen – ist alles nach Recht und Gesetz verlaufen.
    Und es ist Sache des Gerichts die vorgelegten Beweise zu würdigen. Und so wie ich die Sache aus anderen Beschreibungen kenne, gab es seitens der Staatsanwaltschaft kein Verhalten, das den Vorwurf der Rechtsbeugung begründet hätte.


    Auf Seite 21 ist sinngemäß zu lesen, dass die Endlösung nicht in erster Linie auf antisemitischen Gründen erfolgte, sondern das die Juden hier als „nie wirklich ingetrierte Bevölkerungsgruppe“ am besten geeignet haben. In diesem Zusammenhang sei auf das Buch von Helmut Krausnick „Die Truppe des Weltanschauungskrieges“ verwiesen, wonach die ersten »Einsatzgruppen« unmittelbar vor dem Einmarsch in Österreich auf besonderen Befehl von Hitler gebildet wurden. Sie sollten damals wie später gegen die »reichsfeindlichen Elemente in der Welt aus dem Lager von Emigration, Freimaurerei, Judentum und politisch-kirchlichem Gegnertum sowie der 2. und 3. Internationale ... heftige Schläge ... führen«.
    Natürlich war letztendlich eine Anweisung Hitlers Grundlage für den Holocaust.


    Unsinn schreibt Mommsen auf Seite 40, wo er Hannah Arendts Außenseiterrolle auf den Umstand zurückführt, dass diese aufgrund „eines merkwürdigen altmodischen Verständnisses als Ehefrau“ auf Heinrich Blücher Rücksicht nahm.


    Mommsen wird in unserem Land immer als ernstzunehmender Historiker gehandelt. Dabei erschreckt mich immer wieder aufs Neue sein versteckter Antisemtismus, der gerade auch in diesem Vorwort wieder deutlich wird.


    So, das waren ein paar unsortierte Gedanken.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Nun, lieber Voltaire, da freu ich mich aber, dass du dich trotz deiner gesundheitlichen Einschränkungen zu diesem wichtigen Beitrag hast aufraffen könne. Ihm ist in wichtigen Punkten zuzustimmen, allerdings nicht in allen.


    Zunächst zur rechtsphilosophischen Frage, die du zu Recht aufwirfst: Ich stimme deinen Äußerungen ausdrücklich zu, füge jedoch noch an, dass es die vorherrschende Meinung der Juden (und nicht nur der Zionisten) war, dass Recht über die Schuld des Adolf Eichmann einzig und allein von Juden und somit in Israel nach dem dortigen Gesetz gesprochen werden konnte.


    Einen wichtigen (entscheidenden) Aspekt hast du hingegen nicht erwähnt: Eichmann war zum Zeitpunkt seiner Entführung aus Argentinien kein Deutscher. Er war nicht einmal Argentinier. Er war im Status eines Staatenlosen. Wie es dazu kam, und warum das so bedeutsam ist, kann man alles im Buch nachlesen, daher führe ich es hier nicht aus. Wichtig ist jedoch daran, dass Argentinien ihn sowieso nicht nach Deutschland ausgeliefert hätte (wo Adenauer zudem nicht das allergeringste Interesse gezeigt hat, sich anhand dieses Verbrechers mit der Nazigeschichte des Landes öffentlich beschäftigen zu müssen) und es somit für einen Staatenlosen gar keine zuständige Gerichtsbarkeit gegeben hat.


    All das ändert jedoch nichts an deiner richtigen Feststellung, dass die Entführung rein formaljuristisch einen Völkerrechtsbruch dargestellt hat. Was rechtsphilosophisch dazu zu sagen ist, hast du gesagt, und ich stimme dem zu.


    Was deine Kritik an Mommsen angeht, will ich besser nicht in einen Streit mit dir eintreten, da dieser Mann als Kommentator eher nur eine Randfigur des Buches darstellt. Ihm "versteckten Antisemitismus" zu unterstellen, empfinde ich jedenfalls als unredlich. Aber lassen wir das.


    Wir sollten unsere Aufmerksamkeit auf Hannah Arendt legen. Und die weist nun allerdings in ihrem Buch schlüssig nach (ohne geahnt zu haben, dass ihr ein deutscher Historiker 20 Jahre später darin zustimmen würde), dass die Staatsanwaltschaft massiv unter der Beeinflussung der Ben-Gurion-Regierung gestanden hat und oftmals schlimme Versuche zur Rechtsbeugung unternommen hat, die den gesamten Prozess in eine gefährliche Nähe zu einer Schauveranstaltung gebracht hätte, wäre da nicht jener ungeheuer souveräne und äußerst kluge Richter gewesen, der dies weitgehend zu vermeiden wusste. Ben Gurion hingegen hat kaum eine Gelegenheit ausgelassen, den Prozess zu einer Shoa-Abrechnung zu verwandeln (was ich übrigens voll verstehe und was auch allzu naheliegend ist), wo es doch einzig um die Schuld oder Unschuld dieses einen Mannes hätte gehen müssen. Dass dies angesichts der Ungeheuerlichkeit des Holocausts vermutlich gar nicht möglich war, ist mir natürlich voll bewusst.

  • Ich gehöre auch nicht zu denen, die sich besonders gut in der Materie auskennen. Allerdings habe ich inzwischen schon so einiges gelesen und nach und nach stellen sich diverse Aha-Effekte ein und mir fallen Verbindungen auf, an die ich vorher nie gedacht habe.


    Voltaire hat hinsichtlich der Aufregung der Öffentlichkeit auf einen Punkt hingewiesen, den ich auch wichtig finde.
    HA hat der besonders in Israel vertretenen Auffassung, die Juden seien wegen des verbreiteten Antisemitismus Opfer geworden, massiv widersprochen. Für sie waren die Juden eher ein "zufälliges" Opfer, eine Menschengruppe, denen gerade das Recht, Rechte zu haben abgesprochen wurde.
    Dies ist für sie ein besonderes Merkmal jeder totalitären Herrschaft, nämlich "das Recht jedes Menschen, zur Menschheit zu gehören" außer Kraft zu setzen.


    Für mich ist HAs Gedanke, dass das ungeheure Ausmaß der Menschenvernichtung im Dritten Reich nur deshalb möglich war, weil diese Vernichtung bürokratisch organisiert war, ohne besondere Bosheit und Sadismus der "Planer", absolut folgerichtig.
    Aus Hass oder Sadismus kann jemand ohne weiteres zum Mörder werden (wie wir jeden Tag in den Nachrichten lesen können). In einem solchen Ausmaß kann Mord nur dann organisiert werden, wenn keine größeren Emotionen dahinterstehen. Das heißt aber nicht, dass einzelne Menschen, die in den KZs gearbeitet haben, oder sonstewo, durchaus auch aus sadistischen und bösen Gründen gehandelt haben.

  • Adolf Eichmann war deutscher Staatsbürger, da die Bundesrepublik Deutschland Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches war.


    Eichmann lebte in Argentinien mit einem gefälschten Pass auf den Namen Ricardo Klement und wies eben diesen Ricardo Klement als staatenlos aus. Sein wahre Identität war aber Adolf Eichmann, deutscher Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland.


    Meines Wissens wurde Eichmann auch nie ausgebürgert, was als deutscher Staatsangehörigkeit nur auf dessen Antrag geschehen kann, nicht von staatswegen. Es sei denn, die deutsche Staatsangehörigkeit sei durch Täuschung erworben worden.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Tatsache ist, dass Eichmann 1948 - wie übrigens Mengele und andere Naziverbrecher auch - in Südtirol auf eigenen Antrag einen Reisepass als Staatenloser erhielt. Mit dem ist er nach Argentinien geschleust worden.


    Reisepässe vom Internationalen Roten Kreuz wurden damals an Staatenlose vergeben. Deutschsprachige Südtiroler - als solcher hat sich AE ausgegeben - galten zumeist als staatenlos.