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'Eichmann in Jerusalem' - Seiten 134 - 201
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Viel Neues habe ich erfahren. Vom Werdegang Eichmanns in der ersten Zeit der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung hatte ich keine Ahnung.
Aus anderen Büchern kann ich mir eine Vorstellung machen, wie schwierig es war, überhaupt ein Land zu finden, in das man flüchten konnte.
Davon konnte HA selber einiges erzählen.Aus heutiger Sicht erscheinen gerade die Passagen auf Seite 141 unglaublich.
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Zitat
Original von Rumpelstilzchen
Viel Neues habe ich erfahren. Vom Werdegang Eichmanns in der ersten Zeit der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung hatte ich keine Ahnung.
Aus anderen Büchern kann ich mir eine Vorstellung machen, wie schwierig es war, überhaupt ein Land zu finden, in das man flüchten konnte.
Davon konnte HA selber einiges erzählen.Aus heutiger Sicht erscheinen gerade die Passagen auf Seite 141 unglaublich.
Da mein eBook keine Seitenzahlen hat, mich aber interessiert, welche Passagen du genau meinst, könntest du kurz schreiben, worum es dort geht?
Es gibt so einiges in diesen drei Kapiteln, was aus heutiger Sicht einfach unfassbar ist.Ich habe diesen Abschnitt heute beendet.
Hannah Arendt beschreibt hier die unterschiedlichen Stadien der Vernichtung in einer erschreckend gut funktionierenden "bürokratisch-befehlsorientierten" Maschinerie.Eichmanns Sicht auf sich selbst ist schon ziemlich skurril und erschreckend. Er scheint sich ja teilweise in Bezug auf die Anfangszeit quasi als Retter gesehen zu haben. Auch seine Sicht auf die Endlösung als eine Art der Erlösung und das nicht wahrhaben wollen der Gräueltaten in den Lagern bevor die Menschen in die Gaskammern getrieben wurden, ist derart weltfremd. Er wirkt erschreckend doof oder naiv und realitätsfern. Der Untertitel des Buches "Eine Bericht der Banalität des Bösen" bekommt hier seine Berechtigung.
Die Zusammenarbeit der Zionisten mit Deutschland und ihre Sichtweise darauf, wer ihr Feind ist, nämlich England, ist für mich neu. Und aus heutiger Sicht ist es für mich fast nicht begreifbar. Hätten sie ahnen können oder sogar müssen, was wirklich auf sie zukommt, was wirklicht mit der Umsiedlung gemeint ist und wohn das führen würde? War ihnen das bewusst, als sie Menschen in den Lagern als tauglich oder eben nicht für ihr Ziel ein neues Leben in Palästina aufzubauen, ausgewählt haben? Gerade diese Passage fand ich sehr beklemmend zu lesen. Über allem schwebt immer, ob das alles hätte verhindert werden können? Ich fürchte nicht und das macht mir Angst.
Es gibt einiges Stellen in diesen drei Kapiteln, die mir Übelkeit verursacht haben. Natürlich gehören dazu die Beschreibungen Eichmanns seiner Besuche im KZ. Allerdings sind vor allem die subtile Bedrohung, die Sichtweise der Täter auf sich selbst, ihre Umkehrung der Gewissensfrage, dieses Selbstmitleid, um nicht wirklich hinsehen zu müssen, die Heiligenscheine der Verantwortlichen für das Euthanasie-Programm, der Fanatismus der am Ende genannten SS-Frau, die Blindheit und Sichtweisen der Beteiligten rund um den Putschversuch vom 20. Juli usw., die mir einerseits so fremd sind, aber andererseits teilweise so erschreckend aktuell immer wieder in Statements offen oder verdeckt auftauchen.
Für mich persönlich ist dieses Buch vor allem wegen Letzterem so wichtig. Hannah Arendt zeigt hier ganz deutlich, wie so etwas passieren konnte und wieso die Menschen weggeschaut haben, obwohl sie sehr wohl wussten, was passierte. Für mich ist dieses Buch ein weiterer Aspekt, wieso es so wichtig ist, Stellung zu beziehen.
Hannah Arendt entlarvt das Böse in seiner ganzen Raffinesse, aber auch seiner Normalität. -
Ich bin mit dem Kapitel noch nicht ganz durch.
Gemeint ist die Passage, wo es um Eichmanns Behauptung, "hunderttausende von jüdischen Leben gerettet zu haben" geht und dem Bericht zweier jüdischer Historiker dazu:
"Was damals geschah, muß man für eine der paradoxesten Episoden in der ganzen Epoche der Naziherrschaft halten....."
Es handelt sich um Zitate aus dem Bericht von Hon und David Kimche.
Das Ganze steht ziemlich am Anfang von Kapitel IV.England als Feind der Zionisten zu bezeichnen, beruht vermutlich darauf, dass England als Protektoratsmacht über Palästina die weitere Einwanderung von Juden verhindern wollte.
Die erste Phase in den Jahren nach der Machtergreifung hieß ja vor allem: Auswanderung in andere Länder für diejenigen, die hellsichtig genug waren und es sich irgendwie leisten konnten. -
Danke, dann weiß ich, welche Stelle du meinst.
Warum England als Feind betrachtet wurde, ist mir klar. Aus heutiger Sicht ist es für mich einfach schwer greifbar. Mehr wollte ich damit nicht sagen.
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Zitat
Original von Saiya
Hannah Arendt zeigt hier ganz deutlich, wie so etwas passieren konnte und wieso die Menschen weggeschaut haben, obwohl sie sehr wohl wussten, was passierte.(...)
Hannah Arendt entlarvt das Böse in seiner ganzen Raffinesse, aber auch seiner Normalität.
zu 1: Tut sie das wirklich? Findet sie tatsächlich eine Erklärung dafür, "wie so etwas passieren konnte"?
Ich teile deine Beklemmung voll und ganz, liebe Saiya, aber diese Aussage finde ich nirgends bestätigt. Hannah Arendt beschreibt in der Tat das gesellschaftliche Umfeld und die politischen Irrlehren, die der Shoa Vorschub geleistet haben, auch zeigt sie am Beispiel des AE eindrucksvoll, welchen Geistes Kinder es bedurfte, um die bürokratische Maschinerie des Massenmords in Szene zu setzen, doch eine Erklärung für das totale moralische Versagen eines ganzen Volkes, für den kollektiven Verlust an Anstand und Menschlichkeit - die hat m. E. auch Hannah Arendt nicht. Wobei ihr das nicht zum Vorwurf zu machen ist, denn erstens hat die bisher noch niemand eindeutig und schlüssig vorgewiesen, und zweitens wäre das auch nicht die Aufgabe einer Gerichtsreporterin, als die sie hier schreibt.zu 2: Das kann ich nur bestätigen. Und das ist auch das eigentlich Faszinierende an diesem Buch, sein Alleinstellungsmerkmal zwischen den Tausenden, auch den wissenschaftlichen Büchern über den Holocaust. Hannah Arendt gelingt es nach und nach, den Blick zu schärfen für ein schier ungeheuerliches menschliches Phänomen. Das besteht darin, dass das kollektiv Böse in sehr kurzer Zeit für Abermillionen Menschen zur Normalität werden kann, ja, durch entsprechende politische, massenpsychologische, aber auch gesetzgeberische Beeinflussung nicht nur zur Staatsräson, sondern scheinbar gar zum Recht verkehrt werden kann. Eine oktoyierte Umkehrung also von allem, was bis dato für völlig selbstverständliches Urempfinden aller Menschen gehalten wurde.
Seit Hannah Arendt diesen Beweis von der vernichtenden Kraft der Banalität des Bösen vorgelegt hat, kann sich also niemand mehr den Luxus des Wegsehens oder der Bagatellisierung leisten (nach dem Motto: sind doch alles Dummköpfe, die da krakeelen etc.) angesichts der wieder erstarkenden Verführungskraft des Faschismus - nicht nur in Deutschland. Aber wir Deutschen haben hier als Erste hinzuschauen und dagegen aufzustehen, denn wir wissen, in welchen unsäglichen Menschheitsverbrechen dieser Wahn endet.
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Zitat
Original von Dieter Neumann
zu 1: Tut sie das wirklich? Findet sie tatsächlich eine Erklärung dafür, "wie so etwas passieren konnte"?
Ich teile deine Beklemmung voll und ganz, liebe Saiya, aber diese Aussage finde ich nirgends bestätigt. Hannah Arendt beschreibt in der Tat das gesellschaftliche Umfeld und die politischen Irrlehren, die der Shoa Vorschub geleistet haben, auch zeigt sie am Beispiel des AE eindrucksvoll, welchen Geistes Kinder es bedurfte, um die bürokratische Maschinerie des Massenmords in Szene zu setzen, doch eine Erklärung für das totale moralische Versagen eines ganzen Volkes, für den kollektiven Verlust an Anstand und Menschlichkeit - die hat m. E. auch Hannah Arendt nicht. Wobei ihr das nicht zum Vorwurf zu machen ist, denn erstens hat die bisher noch niemand eindeutig und schlüssig vorgewiesen, und zweitens wäre das auch nicht die Aufgabe einer Gerichtsreporterin, als die sie hier schreibt.DIE Erklärung bzw. eine Erklärung, die der wissenschaftlichen Meinung standhält, hat sie sicher nicht gefunden.
Für mich persönlich hat sie aber dennoch sehr deutlich die Vorgehensweise der Verantwortlichen in Bezug auf "Endlösung" erläutert und auch Erklärungen gefunden bzw. die Gründe, warum dies überhaupt möglich war, warum Menschen wegsehen konnten und wieso ihr Gewissen nicht funktioniert hat, besser zu verstehen.
Ich lese das Buch tatsächlich aus einer sehr persönlichen Perspektive. Mir fehlt das Alter und auch das Wissen, also der Weitblick, den Voltaire, harimau, Du, Rumpel usw. haben. Es wird also sicherlich noch öfter zu solchen unausgegorenen, persönlichen und vielleicht auch wenig fundierten Gedanken zum Gelesenen kommen. Letzteres meine ich gar nicht abwertend oder böse. Es ist nur ein Erklärungsversuch.
Ich habe lange überlegt, ob ich mich "furchtsam" aus der Leserunde zurückziehen oder einfach weiter dabei bleiben soll. Ich habe mich für fürs Bleiben entschieden, weil mir das Lesen dieses Buch und die Reflexion darüber persönlich wichtig ist und ich auch durch eure Ausführungen dazu einfach viel dazu lerne. So etwas gehört für mich zur Bildung dazu und das macht für mich das Lesen solcher Bücher generell aus.
Abgesehen davon erinnert mich vieles beim Lesen dieses Buches an meinen verstorbenen Großvater. Er war zum Kriegsende 15 Jahre alt und gerade auf dem Weg als "Kanonenfutter" an die Ostfront und zum Glück noch nicht sehr weit gekommen, als es endlich vorbei war. Er hat nie geleugnet, hat immer gemahnt und ihm war immer bewusst, dass er zu jung war, um überhaupt behaupten zu müssen, dass er von nichts gewusst habe. Er hat den Umgang mit den "Alt-Nazis" immer kritisiert, war immer offen für unsere Fragen und vor allem ehrlich. Ihm war wichtig, dass wir Bescheid wussten. Er hat mir quasi die Ansicht eingepflanzt, keine Schuldgefühle wegen des Geschehenen zu haben, aber Verantwortung dafür zu tragen, dass so etwas nicht wieder passiert (deshalb lese ich auch als nächstes Adorno). Viele Gedanken Hannah Arendts erinnern mich an seine Ansichten. Die aktuelle politische Situation hier in Deutschland und der wiedererstarkende Faschismus in Europa, hätten ihn entsetzt. Da bin ich mir sehr sicher.Deine Ausführungen zu Punkt 2 teile ich also vollumfänglich.
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Zitat
Original von Saiya
Er hat nie geleugnet, hat immer gemahnt und ihm war immer bewusst, dass er zu jung war, um überhaupt behaupten zu müssen, dass er von nichts gewusst habe. Er hat den Umgang mit den "Alt-Nazis" immer kritisiert, war immer offen für unsere Fragen und vor allem ehrlich. Ihm war wichtig, dass wir Bescheid wussten. Er hat mir quasi die Ansicht eingepflanzt, keine Schuldgefühle wegen des Geschehenen zu haben, aber Verantwortung dafür zu tragen, dass so etwas nicht wieder passiert (...)Den Mann hätte ich gern kennengelernt. Gut, dass es ihn für dich gab.
Und das mit der Verantwortung bezieht sich auch auf unsere Kinder.
"Gegen das Vergessen".
Darauf kommt es an. -
Oh, ich denke, ihr hättet euch gemocht. Allerdings war er sein sehr "streitbarer Kollege".
Er ist schon vor einigen Jahren verstorben. Seltsam, dass ich ausgerechnet jetzt das Bedürfnis habe, mich mit den Personen auseinanderzusetzen, die ihn und sein Denken geprägt haben.Ich hoffe, dass es gelingt, diese Verantwortung noch vielen Generationen weiterzugeben.
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Saiya, zu einem solchen Buch kann man nur persönliche Gedanken haben. Auch wenn man noch so viel weiß. Mit etwas Wissen kann man einiges vielleicht besser einordnen.
HA hat schon Erklärungen, warum es zum Holocaust kommen konnte, sie hat sie in ihrem Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft herausgearbeitet. Die totale Herrschaft ist für sie - arg verkürzt gesagt - eine Folge der Moderne und des Imperialismus.
Die Krise der Nationalstaaten nach dem ersten Weltkrieg habe zu einem Zusammenbruch und dem Untergang der Klassengesellschaft geführt. Es entstanden sogenannten "Massengesellschaften", die für einen großen Teil der Bevölkerung ein Gefühl des Überflüssigseins und der politischen Apathie bedeutet hätten. HA hat dafür den Begriff der "Vermassung" geprägt, die sie definiert hat als "Selbstlosigkeit und Desinteressiertheit am eigenen Wohlergehen". Mit Selbstlosigkeit ist hier ein "ohne sich selbst sein" gemeint, keine positive Uneigennützigkeit.
Heraus kommt ein in der Massengesellschaft von sich selbst verlassener Mensch, der sich aber nach gesellschaftlicher Integration sehnt.
Das klassische Parteiensystem konnte eine solche Integrationsperspektive - immer laut HA - nicht bieten.
Davon profitiert die totalitäre Herrschaft, die sich von allen bisher dagewesenen Herrschaftsformen unterscheidet. Einmal dadurch, dass sie nicht nur die politische Sphäre zerstört, sondern in alle Bereiche des Lebens eindringt und jeder Raum des Handelns verschwindet. "Dem Terror gelingt es, Menschen so zu organisieren, als gäbe es sie gar nicht im Plural, sondern nur im Singular, als gäbe es nur einen gigantischen Menschen...."In ihrem Aufsatz: Die vollendetet Sinnlosigkeit - entstanden 1950 - spricht sie von den Vernichtungslagern als experimentelle Versuchsanordnung, in denen die Opfer in einen permantenten Zustand des Sterbens versetzt werden, es handle sich um die "Fabrikation von Leichen".
In Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft spricht sie noch vom "radikal Bösen", das in dem besteht, was Menschen weder bestrafen noch vergeben können.
Ich hoffe, ich habe das nicht so verkürzt, dass es vollkommen unverständlich ist. Es ist arg harte Kost für mich und ich wühle mich so nach und nach durch.
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Hannah Arendt scheint durchaus Probleme mit der Einordnung von Eichmann zu haben. Zum einen lässt sie durchblicken, dass der Mann nicht sehr helle war - andererseits war er aber an diesem Massenmord beteiligt - und das nicht eben an untergeordneter Position.
Und so dumm kann er auch nicht gewesen sein, denn nach den Worten von Hanah Arendt war er ein guter Organisator. Zudem schien er mit allen Wassern einer funktionierenden Bürokratie gewaschen zu sein.
Und insofern sehe ich ihn auch nicht als gescheiterte Existenz. Denn in der SS hat er ja Karriere gemacht. Er war SS-Obersturmbannführer, was dem Range eines Oberstleutnants entspricht. Vor seinem Beitritt zur SS mag er ja suchend umhergeirrt sein, dann aber schien er doch sehr zielstrebig zu agieren.
Nimmt man die von Hanah Arendt vorgenommene Charakterbeschreibung Eichmanns einfach mal objektiv juristisch unter die Lupe, dann hätte man fast schon mildernde Umstände zubilligen können, ihn fast nur wegen Beihilfe verurteilen können. Ich glaube, Hannah Arendt die zwar von der Banalität des Bösen schreibt, sieht aber hier das wirklich Böse nicht, diesen unglaublichen teuflischen und bösen Zynismus von Eichmann. Der Mann war sich nämlich bewusst was er da tat und warum er das tat.
Unabhängig davon bin ich der Ansicht, dass in diesem Prozeß schon vor Beginn das Urteil feststand. Ein Umstand der aber nicht unbedingt zu tadeln ist.
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Zitat
Original von Voltaire
Der Mann war sich nämlich bewusst was er da tat und warum er das tat.Zweifellos.
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In den Nürnberger Prozessen tauchte doch der Begriff des Befehlsnotstand auf. Wie weit hätte das denn eventuell auch für Eichmann gelten können?
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Zitat
Original von Saiya
Die Zusammenarbeit der Zionisten mit Deutschland und ihre Sichtweise darauf, wer ihr Feind ist, nämlich England, ist für mich neu. Und aus heutiger Sicht ist es für mich fast nicht begreifbar. Hätten sie ahnen können oder sogar müssen, was wirklich auf sie zukommt, was wirklicht mit der Umsiedlung gemeint ist und wohn das führen würde? War ihnen das bewusst, als sie Menschen in den Lagern als tauglich oder eben nicht für ihr Ziel ein neues Leben in Palästina aufzubauen, ausgewählt haben?Das kann und will ich mir einfach nicht vorstellen. Nein, ich glaube es wirklich nicht.
ZitatHannah Arendt zeigt hier ganz deutlich, wie so etwas passieren konnte und wieso die Menschen weggeschaut haben, obwohl sie sehr wohl wussten, was passierte. Für mich ist dieses Buch ein weiterer Aspekt, wieso es so wichtig ist, Stellung zu beziehen.
Geht mir genauso.
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Zitat
Original von Voltaire
Hannah Arendt scheint durchaus Probleme mit der Einordnung von Eichmann zu haben. Zum einen lässt sie durchblicken, dass der Mann nicht sehr helle war - andererseits war er aber an diesem Massenmord beteiligt - und das nicht eben an untergeordneter Position.Und so dumm kann er auch nicht gewesen sein, denn nach den Worten von Hanah Arendt war er ein guter Organisator. Zudem schien er mit allen Wassern einer funktionierenden Bürokratie gewaschen zu sein.
Sie schreibt ziemlich zu Anfang, er sei nicht dumm, aber gedankenlos. Das ist ein riesiger Unterschied. Nicht fehlende Intelligenz, sondern die Unfähigkeit zur Reflektion, Abstraktion sowie das komplette Fehlen von Empathie, verbunden mit dem Streben nach Anerkennung und beruflichem Fortkommen (ich weiß, das klingt jetzt brutal verharmlosend, aber so hat er es wohl gesehen), machen ihn, natürlich vereinfacht gesagt, zu einem geeigneten wie willigen Mittäter eines ungeheuerlichen Verbrechens.
ZitatUnd insofern sehe ich ihn auch nicht als gescheiterte Existenz. Denn in der SS hat er ja Karriere gemacht. Er war SS-Obersturmbannführer, was dem Range eines Oberstleutnants entspricht. Vor seinem Beitritt zur SS mag er ja suchend umhergeirrt sein, dann aber schien er doch sehr zielstrebig zu agieren.
Das ist richtig. Wahrscheinlich wäre er wohl komplett gescheitert, aber im verbrecherischen Nazisystem hat er die Gelegenheit zum "Aufstieg" bekommen und skrupellos ergriffen.
ZitatNimmt man die von Hanah Arendt vorgenommene Charakterbeschreibung Eichmanns einfach mal objektiv juristisch unter die Lupe, dann hätte man fast schon mildernde Umstände zubilligen können, ihn fast nur wegen Beihilfe verurteilen können. Ich glaube, Hannah Arendt die zwar von der Banalität des Bösen schreibt, sieht aber hier das wirklich Böse nicht, diesen unglaublichen teuflischen und bösen Zynismus von Eichmann. Der Mann war sich nämlich bewusst was er da tat und warum er das tat.
Ja, er wusste ganz bestimmt, was er tat, aber selbst Zynismus spreche ich ihm ab, weil es dazu (menschlicher) Einsichten bedürfte, derer er nicht fähig war. Das Böse braucht keine Hörner, es erfordert nicht einmal diabolisches Genie oder verführerisches Charisma, sondern kann auch in der Gestalt eines unauffälligen Biedermanns wie Eichmann daherkommen, was seine Schuld und das Schreckliche seines Tuns keinen Deut abmildert, eigentlich sogar noch gruseliger macht, weil es (unter entsprechenden Umständen) so leicht reproduzierbar scheint.
ZitatUnabhängig davon bin ich der Ansicht, dass in diesem Prozeß schon vor Beginn das Urteil feststand. Ein Umstand der aber nicht unbedingt zu tadeln ist.
Richtig. Beides.
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Meiner Meinung nach kann man Arendts Beschreibung dieses Menschen Eichmann nur im Zusammenhang mit den Vorstellungen der Öffentlichkeit verstehen.
Jemand, der solche Ungeheurlichkeiten verübt, der muss doch besonders sein. Besonders böse, besonders grausam, besonders intelligent - man könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen.
Aber genau das war Eichmann nicht. Eigentlich war er ein Manager. Er hat Millionen von Menschen effektiv und bestens organisiert in den Tod geschickt. Hat all seinen Ehrgeiz darin gesetzt, diese "Arbeit" ordentlich zu tun.
Das ist das wirklich grauenvolle an ihm. -
Das sehe ich sehr ähnlich, Rumpelstilzchen.
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Zitat
Original von Rumpelstilzchen
Aus anderen Büchern kann ich mir eine Vorstellung machen, wie schwierig es war, überhaupt ein Land zu finden, in das man flüchten konnte.
Ich habe den wikipedia-Artikel zur Konferenz von Evian gelesen, die Arendt gegen Ende des 4. Kapitels (S. 147) erwähnt. Das kommt einem sehr bekannt vor: jede Menge Flüchtlinge und kein Land, das sie aufnehmen will.
Noch dazu wollten andere Länder bei dieser Gelegenheit ihre Juden auch loswerden.Es ist aus heutiger Sicht schwer zu verstehen, dass es noch nach Kriegsende Progrome an Juden gab, wie 1946 in Kielce in Polen. Aber es zeigt, wie tief verwurzelt damals der Antisemitismus in Europa war. Dass die Europäer kein Problem hatten, manche Volksgruppen zu Menschen zweiter Klasse zu erklären, zeigte sich bereits im Kolonialismus.
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Zitat
Original von xexos
In den Nürnberger Prozessen tauchte doch der Begriff des Befehlsnotstand auf. Wie weit hätte das denn eventuell auch für Eichmann gelten können?
Ich denke, er hätte sich versetzen lassen können. Er hat ja selbst gesagt (S. 179): "Heimlich davon stehlen konnte sich ja der einzelne. Ich habe aber nicht zu denen gehört, die es für zulässig hielten." -
Zitat
Original von made
Aber es zeigt, wie tief verwurzelt damals der Antisemitismus in Europa war. Dass die Europäer kein Problem hatten, manche Volksgruppen zu Menschen zweiter Klasse zu erklären, zeigte sich bereits im Kolonialismus.Vielleicht sollte man die Vokabel "war" durch die Vokabel "ist" ersetzen. Auch in heutiger Zeit ist der Antisemitismus weit verbreitet und erfreut "sich großer Beliebtheit" bei linken und rechten Kräften.
So marschierte beispielsweise die grüne Politikerin Claudia Roth bei einer Demonstration mit, bei der u.a. auch die Parole "Juden ins Gas" skandiert wurde. Bis heute hat sie sich nicht davon distanziert.
Der Antisemitismus ist leider wieder gesellschaftsfähig geworden und sein Aufkommen wird zudem von der Politik und den Medien verharmlost.