Karla Fabry: Schattenblau, Band 2. Das dunkle Raunen des Meeres – Fantasy-Roman, August 2016, CreateSpace Independent Publishing Platform, ISBN 978-1-537-21318-7, 568 Seiten, Format: 13,3 x 3,6 x 20,3 cm, EUR 13,99. Auch als Kindle Edition erhältlich.
Vor gerade mal einem halben Jahr ist die 18jährige New Yorkerin Lilli LeBon mit ihrer Familie in das andalusische Städtchen Calahonda gezogen. Ihren Vater hatte es beruflich dort hin verschlagen. Die Langeweile, vor ihr Bruder Chris und sie sich so sehr fürchteten, die hätten sie jetzt gern. Seit die LeBons spanischen Boden betreten haben, überschlagen sich nämlich die Ereignisse.
Chris hat noch den positivsten Stress: Mit Maria Pereira hat er eine Lebenspartnerin gefunden und sieht seine private Zukunft nun hier in Andalusien. Von den Problemen, die seine Eltern und seine Schwester haben, bekommt er meist gar nichts mit.
Menschen und Menschen-Amphibien
Lillis Freund, Alexander Valden, dem sie kurz nach ihrer Ankunft unter dramatischen Umständen begegnet ist, hat sich als Mann aus dem Meer entpuppt. Er ist ein Wasseramphibion. Sein Volk hat ihn in einer ebenso geheimen wie gefährlichen Mission undercover an Land geschickt.
Lilis Kumpel, der Gastwirt Eugene O’Grady ist ein Landamphibion: ein Mensch, der sich willentlich in ein salamanderartiges Wesen verwandeln kann, das nichts mehr hasst als Wasseramphibien. Nicht immer hat Eugene diesen Verwandlungsprozess unter Kontrolle.
Lilli hatte keine Ahnung, dass es solche Wesen überhaupt auf der Welt gibt und traut sich nicht, mit jemand anderem als den Betroffenen darüber zu sprechen. Man würde sie für verrückt erklären. Für den Rest der Welt sind Menschenamphibien bestenfalls Gestalten aus alten Volksmärchen.
Hätte sie sich nur mal ein Herz gefasst und ihrer Familie davon erzählt! Mutter, Großmutter und mittlerweile auch ihr Vater kennen sich bestens aus mit der Materie. Emily, Lillis Tante, war die Frau von Seraphim Fothergyll, dem Anführer der hiesigen Wasseramphibien, bis sie von einem aus seiner Sippe ermordet wurde.
Rituelle Verwandlungen und ihre Gefahren
Die Menschenamphibien mögen körperlich robuster und langlebiger sein als die Menschen und an Magie grenzende Sinne und Fähigkeiten haben, aber psychisch sind sie nicht besonders stabil. Die rituellen Verwandlungen, die auserwählte Mitglieder durchlaufen, gehen gern auch mal schief. Der Kandidat kann dabei todkrank werden, umkommen oder den Verstand verlieren und zum blutrünstigen Raubtier mutieren.
Das ist in jüngster Zeit zwei von ihnen widerfahren: Rex Fothergyll, dem Bruder des Anführers, und Danya Baron, einer von Seraphims Schülerinnen. Statt unsterblich, oder besser gesagt, nahezu unverwundbar zu werden, sind sie gewalttätig und größenwahnsinnig geworden. Rex wollte eine ihm verhasste Familie auslöschen und Danya plant nichts weniger als einen Krieg und die Vernichtung der Menschen.
Der Fluch der guten Tat
Danya wird eines Tages schwer krank und geschwächt von ihren Artgenossen aufgefunden. Die nutzen nicht etwa die Gelegenheit, um ihr den Rest zu geben, sondern sie versuchen, ihre geistige Gesundheit wiederherzustellen, indem sie ihre bösen Gedanken unschädlich machen. Alex Valden ist derjenige, der den mentalen „Eingriff“ an Danya vornehmen muss. Das hat dramatische Folgen:
- Zum einen geht dabei die Information verloren, wo sich Danyas Handlanger aufhalten und wie man sie stoppen kann. Denn die sind so instruiert, dass sie ihre Pläne unbeirrt weiter verfolgen, auch wenn der Kontakt zu ihrer Auftraggeberin abreißt.
- Zum anderen hat Arbeit an Danyas finsteren Gedanken Alex Valden in den Wahnsinn getrieben. Aus dem liebenswerten und einfühlsamen jungen Mann, Lillis absolutem Traumpartner, ist über Nacht ein blutgieriges Monster geworden.
Lilli ist zutiefst verstört, und nun erkrankt auch noch ihr Vater schwer und muss sich in den USA einer hochriskanten Operation unterziehen. In einer abenteuerlichen Aktion schaffen Seraphim und seine Leute eine Heilerin aus der Unterwasserstadt Thalassa 3 nach New York. Sie soll Louis LeBon mit ihren Mitteln behandeln, denn den geplanten Eingriff würde er höchstwahrscheinlich nicht überleben.
Menschenkind oder messianische Gestalt?
Warum setzen sich Wasseramphibien sich so für einen Menschen ein? Vielleicht, weil einer der Ihren für Louis LeBons Erkrankung verantwortlich ist. Doch der Hauptgrund ist ein anderer: Sie glauben, Lilli zu brauchen, um einen Krieg zwischen ihnen und den Landamphibien zu verhindern. Es mehren sich nämlich die Anzeichen, dass sie die legendäre „Fünfte der fünften Tochter“ ist, eine messianische Gestalt, die die Macht haben soll, verfeindete Spezies miteinander zu versöhnen – sobald ihre Gene getriggert worden sind. Noch ist Lilli ein ganz normales Menschenkind. Macht und Unsterblichkeit würde sie erlangen, wenn ihre Kräfte erst einmal geweckt sind. Doch das hat einen sehr hohen Preis. Außerdem kann niemand garantieren, dass sie wirklich die Auserwählte ist. Wenn Seraphims Volk sich irrt, kostet das Erweckungsritual Lilli das Leben.
Außerdem ... wenn die „Fünfte der fünften Tochter“ unsterblich ist und die Welt befriedet, wie kommt es dann, dass Jahrhunderte alte Amphibien davon sprechen, dieses Ritual schon öfter durchgeführt zu haben? Dieser Friede scheint nie lange zu halten. Und was geschieht dann mit der Lichtgestalt? Das sollte Lilli zu denken geben ...
Doch zunächst einmal müssen Danyas Schergen unschädlich gemacht und die Ausrottung der Menschheit verhindert werden. Und irgendjemand sollte auch losziehen und Alex aus den Klauen seiner niederen Instinkte befreien. Noch wäre das möglich.
Eine faszinierend komplexe Fantasywelt
Die Autorin hat eine phantasievolle, komplexe und wohldurchdachte Fantasywelt geschaffen. Immer, wenn der Leser denkt: „Moment mal ... wie kann das sein?“ oder „Da müsste doch ...“, liefert sie prompt eine einleuchtende Erklärung. Wer den ersten Band nicht gelesen hat, dürfte es nicht ganz leicht haben, sich zurechtzufinden zwischen Menschen, Land- und Wasseramphibien, den jeweiligen Fähigkeiten, Kulturen, Bündnissen, Feindschaften und Problemen.
Die Personen sind erfreulich vielschichtig. Die Guten haben ihre Schattenseiten und können jederzeit zum Ungeheuer werden. Und selbst die finsterste Gestalt aus der Unterwasserwelt kann wieder zur Vernunft kommen, sich läutern und von ihren vorangegangenen Schandtaten distanzieren. Da haben die Menschen mehr Beharrungsvermögen. Suzanne, Lillis Mutter, mag vornehmlich den Schutz ihrer Familie im Sinn haben, aber sie ist für mich eine Furie, die auch vor unlauteren Mitteln nicht zurückschreckt. Selbst die amphibischen Killer sind charmanter.
Sympathisch ist eine gewisse kindliche Begeisterungsfähigkeit, die den amphibischen Supermenschen eigen ist. Da kann eine/r 300 Jahre alt sein und über die erstaunlichsten Fertigkeiten verfügen – angesichts eines schnellen Fahrzeugs, eines technischen Spielzeugs aus der Menschenwelt oder simpler Würstchen mit Senf flippt er/sie vor Freude aus.
Als Leser muss man mehrere Personen und Handlungsstränge im Auge behalten: Lilli und ihr „normales“ Leben als Schülerin, Alex mit all seinen familiären und persönlichen Problemen, Lillis Familie und deren Vergangenheit, Danya und ihre Handlanger, Seraphim und seinen Bruder Rex, die Wasseramphibien von Thalassa 3, insbesondere die Auserwählten, den Salamandermann Eugene ... Und immer muss man im Hinterkopf behalten, was eigentlich der Wissensstand der einzelnen Personen ist. Manche der handelnden Personen verfügen über deutlich weniger Informationen als der Leser. Sie kennen ja nur ihren Teil der Geschichte, und wir kennen alle.
Wesentliche Handlungsstränge sind abgeschlossen. Aber es bleiben noch genügend Fragen offen, um die Neugier des Lesers auf Band 3 zu wecken. Lässt Lilli sich trotz aller Risiken auf das Erweckungsritual der „Fünften der fünften Tochter“ ein? Kann der drohende Krieg abgewendet werden? Und bleiben jetzt die Geläuterten auf der Seite des Guten oder werden sie bei der nächstbesten Gelegenheit wieder abtrünnig? Manche haben derart viel auf dem Kerbholz, dass man ihnen trotz all ihrer Beteuerungen nicht vertrauen mag. Es bleibt also spannend.
Die Autorin
Das sagt Karla Fabry über sich: „Geboren bin ich 1970, lebe mit Family in der Nähe von Stuttgart. Nach dem abgeschlossenen Studium der Indologie und Philosophie in Heidelberg widmete ich mich der Reportage- und Kunstfotografie, bevor ich zur Arbeit mit dem Wort zurückkehrte und lange als Korrektorin und Texterin im Verlagswesen tätig war. Meine Hobbys sind Fotografieren und digitale Fotokunst, Basteln und wenn noch Zeit bleibt, Kochrezepte erfinden. Letzteres habe ich auf einen der Helden aus »Schattenblau« übertragen. Ihm gelingen alle Rezepte!“