Klappentext
The Loney – ein verregneter, unwirtlicher Landstrich an der nordenglischen Küste. In der Karwoche des Jahres 1976 pilgert eine brüchige kleine Glaubensgemeinschaft aus London dorthin, um in der Wallfahrtskirche für ein Wunder zu beten: Hanny, äußerlich schon fast ein Mann, doch von kindlichem Gemüt, soll von seiner Krankheit erlöst werden. Während Hanny die Reise lange Zeit für eine Art Abenteuerurlaub hält und mit seinem jüngeren Bruder Tonto am Strand herumtollt, wo er auf die merkwürdigen Bewohner eines abgelegenen Hauses stößt, geht es für seine Mutter von Anfang an um alles. Sie sieht Hannys Krankheit als Prüfung, die ihr auferlegt wurde und die sie bestehen muss. Koste es, was es wolle.
Dreißig Jahre später zerstört ein Erdrutsch bei The Loney das abgelegene Haus und legt dabei die Leiche eines Babys frei. In Tonto weckt dies Erinnerungen an jene Reise, die er all die Jahre tief in seinem Inneren verborgen hatte. Doch jetzt drängt die Vergangenheit mit Macht an die Oberfläche und droht, ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen.
Der Autor
Andrew Michael Hurley, geboren 1975, lebt nach Stationen in Manchester und London in Lancastershire, wo er Englische Literatur und Kreatives Schreiben unterrichtet. Er hat bisher zwei Erzählungsbändeveröffentlicht. Loney ist sein erster Roman. Zunächst in England bei einem kleinen Independent-Verlag erschienen, entwickelte sich Loneybald zum Geheimtipp und wurde im Januar 2016 mit dem Costa Book Award für das beste Debüt des Jahres ausgezeichnet.
Gleich zu Beginn wird eine Leiche gefunden. Beziehungsweise das Skelett eines Babys. Unser namenloser Ich-Erzähler (wir erfahren nur seinen Spitznamen Tonto, den der neue Pfarrer im gegeben hat) berichtet von dem Fund. Es wurde an dem Strand gefunden wurde, an den er mit seiner Familie vor 40 Jahren hin pilgerte. The Loney heißt dieser Küstenabschnitt, irgendwo im Nordwesten Englands. Dort gibt es einen Schrein mit einer heiligen Quelle. Tontos Bruder ist geistig etwas zurückgeblieben und spricht nicht. Er kommuniziert mit Tonto indem er ihm gewisse Gegenstände zeigt, die eine Bedeutung beinhalten. Z.B. steht ein kleiner Plastikdinosaurier für eine Entschuldigung und ein Glas mit Nägeln bedeutet, dass er Kopfschmerzen hat. Die Eltern der beiden sind extrem religiös. Ihre Mutter ist überzeugt, dass durch Beten und festen Glauben Hannys Krankheit von Gott geheilt werden wird.
An dieser Quelle und diesem unwirtlichen Küstenabschnitt treffen tiefe Religiosität und heidnischer Glaube aufeinander. Von der ersten Seite an durchzieht ein ungutes Gefühl diese Geschichte. Denn das Hanny irgendwie Heilung fand, ist zu Beginn gleich klar. Der Alltag der Kinder ist düster, der Glaube und seine strikten und freudlosen Regeln, die Drohung des Fegefeuers drücken die Stimmung. Als die kleine Gruppe mit ihrem neuen geistlichen Beistand erneut zu ihrer Pilgerfahrt antreten, ist in dem Ort irgendwie alles anders. Dabei wollten sie alles so vorfinden wie früher. Das Gewohnte ist das Ziel. Und in dem Ort ist die Zeit normalerweise stehengeblieben „Ich hatte oft den Eindruck, dass es hier zu viel Zeit gab. Dass der Ort daran krankte. Davon heimgesucht wurde. De Zeit sickert nicht davon, wie sie es sollte. Sie konnte nirgendwohin verschwinden und es gab keine Moderne, die sie vorantrieb“ (S.49). Aber nun hat das gewohnte einen Riss.
Die kleine Pilgergruppe führt ihre Osterrituale auf, altchristliche und irgendwie heidnisch wirkende Handlungen, wie z.B. eine Marzipankugel, die den verräterischen Judas symbolisiert, ins Feuer zu werfen. Die Mutter hält verbissen an der Ordnung ihres Glaubens fest und an diese Rituale. In dem Cottage, in dem sie immer wohnten, entdeckt Tontos Vater einen versteckten Raum. Dort findet er ein Gefäß, das die Hexen fern halten soll. Als es zerbricht, steht auf einmal das Heidnische vor der Tür, wortwörtlich. Irgendwie baut sich da ein kleiner Machtkampf auf zwischen dem katholischen Glauben und dem heidnischen, der unwirtlichen und erbarmungslosen Natur, die die Strömung am Loney darstellt. Mittendrin sind Tonto und besonders Hanny.
Das Buch wird im englischsprachigen Raum als „Gothic Horror“ beworben. Ich kenne mich in dem Genre nicht so aus. Für richtige Horrorfans dürfte „Loney“ aber nichts sein. Der Horror ist sehr subtil. Hier geht kein Geist um und es gibt auch weder Zombies noch Vampire. Das Buch beantwortet auch nicht alle Fragen, ich selber bin am Ende immer noch etwas ratlos, was dort eigentlich passiert ist und was es mit dem Baby auf sich hat. Dieses Buch lässt viel ungesagt, erklärt nichts und nimmt unser Nichtverstehen in Kauf. Trotzdem, oder eher deswegen, habe ich das Buch sehr gerne gelesen. Es hatte mich sofort gepackt, obwohl es so düster ist und ich wieder einmal lesen musste, wie furchtbar sich Religiosität auf Menschen auswirken kann. Es ist mir ein Rätsel, wie man glücklich sein kann in diesem düstern christlichen Glauben, der einem so lebensunfroh und niederdrückend vermittelt wird. Das Leben Tontos als Kind war für mich der eigentliche Horror. Der heidnische Aspekt, der kleine Machtkampf dieser „Götter“ bzw ihrer Anhänger sind nicht minder beängstigend.
„Loney“ besticht vor allem durch seine schöne Sprache. Eigentlich passiert gar nicht so viel, es wird viel hin und her gesprungen, ein wenig vor zu der Zeit des alten Pfarrers und zurück zu den Erlebnissen mit dem neuen Pfarrer. Die Klammerhandlung um den erwachsenen Tonto nimmt nur wenig Raum ein, nur zu Beginn und dann am Ende. Aber irgendwas hat mich gefesselt an diesem düsteren Buch mit seinen Geheimnissen und seinem schönen Cover. Wahrscheinlich ist dieses Buch nicht für jeden etwas, aber mir hat es sehr gut gefallen.