Franz Werfel - Die vierzig Tage des Musa Dagh

  • Zitat

    Original von made
    Etwas schade finde ich, dass fast nur Nicht-Einheimische und herausragende einheimische Personen Beachtung finden. Ich vermisse die Gedanken und Gefühle der "Normal"-Dorfbewohner, solcher, die kaum aus ihrem Dorf herausgekommen waren, keine besondere Ausbildung hatten.


    Weniger interessieren mich die Beschreibungen der Verteidigungsanlagen. Darüber lese ich schnell hinweg. Zu Werfels Zeit war das vielleicht eher gefragt, da damals viele Männer Kriegs- oder Wehrdiensterfahrung hatten.


    Er beschreibt aber, dass sie sich um Alltägliches sorgen, die Nahrungsbeschaffung, die Eigentümer, denen die Schafe gehören und die bisher als Wohlhabend angesehen wurden und sich nun ihres Eigentums beraubt sehen im Dienste der Gemeinschaft, das sagt für mich schon aus, wie sich die "normalen" Dorfbewohner fühlen.


    Interessant finde ich die Verteidigungsanlagen schon, denn man kann sich so ja besser vorstellen, wie kompliziert auch das Gelände war und wie schwierige oder einfach es an manchen Stellen zu verteidigen war.

  • Zitat

    Original von made
    Wie lässt sich der Aussetzer Kilikians erklären?


    Das Auftreten der "Hexen" finde ich ja auch jedesmal irgendwie gruselig. Es ist eine gute Idee, diesen Teil des armenischen Dorflebens in den Roman einzuflechten.


    Ich glaube, dass solche Aussetzer im Krieg bzw. in der Schlacht immer wieder vorkommen. Das sind Menschen, keine Maschinen. Ich denke auch nicht, dass er das bewusst gemacht hat oder es darauf angelegt hat, dass seine Mitkämpfer ihm folgen.

  • Zitat

    Original von Findus


    Er beschreibt aber, dass sie sich um Alltägliches sorgen, die Nahrungsbeschaffung, die Eigentümer, denen die Schafe gehören und die bisher als Wohlhabend angesehen wurden und sich nun ihres Eigentums beraubt sehen im Dienste der Gemeinschaft, das sagt für mich schon aus, wie sich die "normalen" Dorfbewohner fühlen.


    Darüber habe ich mich sehr gewundert, dass das Eigentum und das damit verknüpfte Ansehen so wichtig war. Aber gab es darüber hinaus keine Konflikte über das Dilemma Verschickung oder Flucht, Zweifel an ihrer Religion, Versuchung, Nahrungsmittel zu verstecken oder gar zu stehlen, Misstrauen zwischen den Familien, Gedanken an Selbstmord usw.?


    Zitat

    Original von Findus
    Interessant finde ich die Verteidigungsanlagen schon, denn man kann sich so ja besser vorstellen, wie kompliziert auch das Gelände war und wie schwierige oder einfach es an manchen Stellen zu verteidigen war.


    Ich bin leider nicht mit der dazu nötigen bildlichen Vorstellungskraft ausgestattet.

  • 3. Buch
    Ich bin gleich zu allererst über das Zitat aus der Offenbarung des Johannes gestolpert. Was bedeutet das?


    Kap. 2
    Dass Stephan stirbt, ist für den Leser nicht überraschend. Dennoch hab ich immer gehofft, dass es für ihn gut ausgehen würde.Tröstlich ist lediglich, dass er ein schönes Sterben hatte. Leider hat das außer ihm keiner mitbekommen.

  • Warum versuchen es die Türken nicht einfach mit Aushungern? Vermutlich dauert ihnen das zu lange, bindet zu viele Soldaten. Außerdem schadet das dem Ansehen der Armee.


    Werfel zeigt immer wieder, dass eine Gesellschaft im Kleinen genauso funktioniert, wie ein großes Staatsgebilde. Politische Propaganda wirkt in Notzeiten auf gleiche Weise.


    Immer wieder erstaunt es mich, wie sehr der Mensch am Leben hängt.


    Ob die zwei Plagen historisch sind? Die Seuche ist glaubwürdig, aber dass noch eine Heuschreckenplage dazu kommt, ist schon ein besonderer Glücksfall für die Armenier.
    Das ist auch wieder sehr schön beschrieben.


    In dieser Situation des nahezu sicheren Todes bekommt Gabriel ein unglaubliches Angebot. Dass er es ablehnt, passt zu seiner Rolle als Held in einem Roman. Wie hätte ich mich entschieden? Dumme Frage. Ich hätte vermutlich nie diesen Plan gefasst, 5000 Menschen auf einem Berg zu verschanzen. Vermutlich wäre ich auch in die Verschickung gegangen in der Hoffnung, dass der Krieg bald zu Ende ist und das Ausland der Tragödie ein Ende setzt.


    Sowohl Stephan als auch Krikor sterben wie sie zuletzt gelebt haben. D.h. Stephan wünschte sich die Zuwendung seines Vaters und Krikor glaubte daran, dass nur er selbst existiert. Beide haben es im Sterben erfahren.

  • Also ich bin jetzt auch fertig.
    Mir ging gegen Ende diese Dreiecksgeschichte zwischen Gabriel, Juliette und Ikushi ziemlich auf die Nerven. Das war mir einfach zu viel Drama und für die Geschichte auch völlig unnötig. Wegen mir hätte der Autor das komplett weglassen können. Das Buch wäre trotzdem sprachlich gesehen sehr beeindruckend, genauso wie sein Sicht auf die Geschichte des Widerstandes am Musa Dagh. Die armenischen Figuren selbst wurden wegen Ende völlig von dem ehelichen Drama in den Hintergrund gedrängt, was ich wirklich schade finde. Ich hätte gerne mehr über sie gelesen. Auch die militärischen Beschreibungen und die türkischen Figuren fand ich interessanter.


    Das Ende hat mich allerdings mit der Figur Gabriel versöhnt. Hier ist es Werfel wieder sehr gut gelungen, den Zwiespalt zu beschreiben, in dem Kriegsveteranen stecken, wenn sie plötzlich wieder ein "normales" Leben führen können bzw. sollen. Und wieder ist es sein Unterbewusstsein, das Gabriel die Entscheidung abnimmt.

  • Zitat

    Original von Saiya
    Mir ging gegen Ende diese Dreiecksgeschichte zwischen Gabriel, Juliette und Ikushi ziemlich auf die Nerven. Das war mir einfach zu viel Drama und für die Geschichte auch völlig unnötig. Wegen mir hätte der Autor das komplett weglassen können. Das Buch wäre trotzdem sprachlich gesehen sehr beeindruckend, genauso wie sein Sicht auf die Geschichte des Widerstandes am Musa Dagh. Die armenischen Figuren selbst wurden wegen Ende völlig von dem ehelichen Drama in den Hintergrund gedrängt, was ich wirklich schade finde. Ich hätte gerne mehr über sie gelesen. Auch die militärischen Beschreibungen und die türkischen Figuren fand ich interessanter.


    Ob diese Dreiecksgeschichte in das Buch gehört, kann man in Frage stellen. Ich habe oben auch schon geschrieben, dass mir die normalen Armenier zu kurz kommen.
    Allerdings habe ich die Entwicklung des Ehepaars Bagradian mit großem Interesse gelesen. Sie steht sicher beispielhaft für tausende gemischt-nationale Ehen, wo einer dem anderen in dessen Land gefolgt ist und dort eine Seite an ihm/ihr festgestellt hat, von der er ausgeschlossen ist. Mich hat dieser Teil sehr fasziniert.


    Zitat

    Original von Saiya
    Das Ende hat mich allerdings mit der Figur Gabriel versöhnt. Hier ist es Werfel wieder sehr gut gelungen, den Zwiespalt zu beschreiben, in dem Kriegsveteranen stecken, wenn sie plötzlich wieder ein "normales" Leben führen können bzw. sollen. Und wieder ist es sein Unterbewusstsein, das Gabriel die Entscheidung abnimmt.


    Ich hingegen hatte ein, wenn auch kleines, Problem mit dem Ende. Gabriel "verpennt" gewissermaßen seine Rettung. Auch wenn mir klar ist, dass das nicht aus Leichtfertigkeit, sondern aus seinem Unterbewusstsein passiert ist, hätte ich mir eine anderes Ende gewünscht. Er hätte auch ohne Schlafen auf dem Friedhof ums Leben kommen können. Das wiederum hat mir gefallen. Vater und Sohn haben wieder zusammen gefunden.

  • Vielleicht soll diese Dreiecksgeschichte ja Juliettes Abspaltung von der Gemeinschaft darstellen. Sie ist nicht Fisch nicht Fleisch da oben, ihr Mann wird immer mehr zum Armenier, er entfremdet sich ihr ja zuerst und sie weiß nicht wohin mit sich.


    Iskuhi dagegen ist ja eher die, die Gabriel Stärke bringt. Warum Juliette das nicht kann?? Sie gehört nicht zum auserwählten Volk, wenn ich das mal so formulieren darf.


    Auch war die Beziehung zwischen Juliette und Gabriel immer nur vom angenehmen Leben in Paris bestimmt. Sie mussten nie um ihr Leben kämpfen. Juliette und Gabriel versagen beide an der Aufgabe ihre Ehe den Belastungen des neuen Lebens anzupassen.

  • Zitat

    Original von Findus
    Vielleicht soll diese Dreiecksgeschichte ja Juliettes Abspaltung von der Gemeinschaft darstellen.


    Im Grunde hat sie nie dazugehört, nicht dazugehörigen wollen. Sie hat sich bzw. die Europäer für höher stehend als die Armenier angesehen. Sie hat sogar die armenische Seite ihres Mannes und ihres Sohnes verachtet.
    Sie hat ihre gehobene Position sehr gerne bei ihren Abendgesellschaften mit den Honoratioren des Dorfes präsentiert. Auch für das Leben auf dem Berg haben die Bagradians eine Sonderbehandlung verlangt.
    Andererseits ist es fraglich, ob die Dorfbewohner eine Integration zugelassen hätten.


    Zitat

    Original von Findus
    Auch war die Beziehung zwischen Juliette und Gabriel immer nur vom angenehmen Leben in Paris bestimmt. Sie mussten nie um ihr Leben kämpfen. Juliette und Gabriel versagen beide an der Aufgabe ihre Ehe den Belastungen des neuen Lebens anzupassen.


    Sie mussten nicht einmal für ihren Lebensunterhalt sorgen. Sie wurden ja von Gabriels älterem Bruder finanziert, wenn ich mich richtig erinnere.

  • Zitat

    Original von made



    Sie mussten nicht einmal für ihren Lebensunterhalt sorgen. Sie wurden ja von Gabriels älterem Bruder finanziert, wenn ich mich richtig erinnere.


    Gabriel war doch der Außenhandelspartner des Bruders, hat aber sicher zum großen Teil von dessen Einkünften mit gelebt.