Andrew Brown: Würde

  • Andrew Brown: Würde
    btb Verlag 2012. 384 Seiten
    ISBN-13: 978-3442743926. 9,99€
    Originaltitel: Refuge
    Übersetzerin: Mechthild Barth


    Verlagstext
    Belüge deinen Nächsten wie dich selbst
    Kapstadt, die Mutterstadt Südafrikas, die Schöne mit den vielen Gesichtern. Während im Schatten des Tafelbergs Flüchtlinge ums Überleben kämpfen und korrupte Polizisten ihr Gehalt aufbessern, frisst der Alltag an Richard Calloways Glück. Doch dann übernimmt der Anwalt einen Fall, der sein Leben für immer verändern wird: Ein Geschäftsmann soll einen Jungen überfahren haben. Der Augenzeuge ist verschwunden, die Aktenlage undurchsichtig. Als Richard dann auch noch auf die nigerianische Einwanderin Abayomi trifft, wagt er sich Schritt für Schritt hinaus aus seinem Alltag. Doch auch der kleinste Schritt kann ein Schritt zu viel sein. Und manchmal gerät man in einen Strudel, aus dem es kein Entkommen gibt …


    Der Autor
    Andrew Brown, 1966 in Kapstadt geboren, war während der Apartheid u.a. in der United Democratic Front aktiv und wurde mehrere Male in Haft genommen. Eine mehrjährige Gefängnisstrafe konnte durch ein Berufungsverfahren am Cape High Court abgewendet werden. Am selben Gericht ist Andrew Brown inzwischen als Anwalt tätig. Als Reservepolizist ist er jede Woche auf den Straßen Kapstadts und in den Townships im Einsatz. „Schlaf ein, mein Kind“ wurde mit dem wichtigsten Literaturpreis Südafrikas ausgezeichnet und stand in Deutschland auf der KrimiWelt-Bestenliste. Sein Roman "Würde" war auf der Shortlist für den renommierten Commonwealth Writer‘s Prize. Andrew Brown gilt als die neue Stimme in der Literatur Südafrikas. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.


    »Letztlich kommt mir das Streben nach Gerechtigkeit wie ein Tanz vor, der sich völlig unvorhersehbar entwickeln kann, ohne Choreograf und ohne das sichere Wissen, wer führt und wer folgen muss. Das liefert einem Schriftsteller zweifelsohne reichlich Stoff, das menschliche Wesen zu erkunden – von seinem sicheren Platz im Zuschauerraum aus.« Andrew Brown


    Inhalt
    Richard Calloway arbeitet als Anwalt für Strafrecht in Kapstadt. Wie viele Weiße ist er mit Frau und Kind wegen der zunehmenden Gewalt aus der Stadt in eine Gated Community am Stadtrand gezogen. Aus dem Gericht ins Büro, im Auto direkt in die bewachte Wohnanlage hinter stacheldrahtbewehrten Mauern – das ist Richards Leben. Schwarze kennt er als Hauspersonal, und neuerdings sucht seine Kanzlei aus Imagegründen einen schwarzen Anwalt als Quotenkollegen.


    Richards Lebensunterhalt sichert zurzeit die Verteidigung eines einzigen einträglichen Klienten, des russischen Kriminellen Svritsky. Mit diesem Fall kann weder die Kanzlei an Ansehen gewinnen, noch kann Richard im Privatleben damit Eindruck machen. Als Svritsky Richard eine Prostituierte in einem Massagesalon empfiehlt, gerät der mit einer ihm bisher völlig fremden Welt in Kontakt. Abayomi ist mit ihrem Mann Ifasen aus politischen Gründen aus Nigeria geflüchtet, lebt mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Südafrika und muss ihren Lebensunterhalt verdienen. Verkürzt könnte man sagen, dass Religions- und Stammeskonflikte ihre Familie zerstört und sie aus ihrer Heimat vertrieben haben. Schon 2010, als Browns Roman erschien, hatte Südafrika eine Arbeitslosenquote von rund 25%.
    Flüchtlinge in Südafrika sind unerwünschte Konkurrenten um Arbeit und Wohnung. Eine Frau wie Abayomi, geradeheraus und direkt, hat Richard noch nie getroffen. Er verliebt sich Hals über Kopf in die attraktive Nigerianerin. Als Ibasen verhaftet und des Drogenhandels verdächtigt wird, glaubt Richard noch immer an das Funktionieren des Rechtssystems, dem er dient. Mit dem naiven Wunsch zu helfen verstrickt Richard sich hoffnungslos in einem Geflecht aus Korruption und Rassismus, dem er kaum gewachsen ist – weil er selbst hinter sicheren Mauern lebt und nur wenig vom Leben draußen weiß.


    Fazit
    Der Originaltitel "Refuge" lässt sich als Zuflucht übersetzen, Zuflucht, die Abayomi und Ifasen in Kapstadt suchen, die Abayomi für Richard sein könnte, oder die Illusion von Zuflucht in gesicherten Wohnanlagen. Mit dem Begriff Würde konnte ich weniger anfangen. Neben dem – nun auch für Europa – aktuellen Thema Flüchtlinge setzt sich Andrew Brown, im Privatleben selbst Anwalt, mit Schuld und Profit auseinander. Die Frage, wer sich im Laufe der Handlung schuldig macht und wer profitiert von den Verhältnissen, treibt die Handlung bis zum verblüffenden Schluss voran. „Würde“ könnte durchaus als schonungslos brutaler Justiz-Thriller durchgehen, doch dazu vereinnahmt die Beziehung zwischen Richard und Abayomi beim Lesen zu stark. Browne vermittelt seinen Lesern außerhalb Südafrikas auf höchst emotionale Weise einen winzigen Blick in die Brutalität des Alltags – und schickt sie wieder auf LOS zurück mit der Erkenntnis, noch immer kaum etwas von Afrika wissen.


    9 von 10 Punkten