Jackson, Shirley: Wir haben schon immer im Schloß gelebt. (OT: We have always lived in the castle, Erstausgabe 1962). Diogenes-Verlag, 1991. Meine Ausgabe ist das HC, erschienen 1988 (Ausgabe ist allerdings seit Jahren OOP), die Übersetzung stammt von A. Leube und A. Grube.
Die Autorin:
Shirley Jackson ist in Deutschland bislang eine zu Unrecht immer noch unbekannte Verfasserin von (Kriminal-)romanen. Sie wurde 1919 in San Francisco geboren und unterrichtete an der Syracuse University in New York. Leider ist sie relativ jung gestorben und hat nur ein schmales Oeuvre hinterlassen, trotzdem zählen ihre wenigen Bücher zu den Klassikern des Genres. In ihrem Todesjahr, 1965, erhielt sie den begehrten Edgar-Allan-Poe-Preis. Sie war mit dem Schriftsteller Stanley Edgar Hyman verheiratet und Mutter dreier Kinder. „Spuk in Hill House“ zählt zu ihren bekanntesten Büchern, wurde mehrfach verfilmt – u.a. mit Catherine Zeta-Jones und Liam Neeson unter dem Titel „The Haunting“. Die deutschen Bücher von ihr sind im Diogenes Verlag erschienen, jedoch inzwischen tw. OOP – Neuauflage vielleicht bei der nächsten Verfilmung.
Inhalt:
Merricat ist ein seltsames Mädchen. Sie mag ihre Schwester Constance, Richard Plantagenet und Amanita phalloides, den grünen Knollenblätterpilz. Sonst nicht viel. Dafür sind ihre Feinde zahlreich. (Klappentext)
„Dieses Buch (ist) ein Gebräu aus unwiderstehlichem Grausen und anhaltender Faszination, das garantiert Sie zum nächsten Opfer machen wird.“ (Publishers Weekly, Klappentext)
Psychologisch ausgefeilt, sprachlich durchdacht und überlegt (und so einfach wie wirkungsvoll), konzentriert Shirley Jackson auf reichlich 200 Seiten das Geschehen – und nimmt den Leser mit auf einen sowohl ruhigen wie nervenaufreibenden Trip in das Seelenleben eines beschaulichen Dorfes – irgendwo in der Pampa, irgendwann. Vor einigen Jahren geschah eine Katastrophe, die das Leben ihrer Bewohner für immer veränderte. Und die liebliche Merrycat lässt uns alles durch ihre Augen (wieder)erleben – und das eigentlich klare Bild, was sie uns vorstellt (oder von dem wir meinen, dass sie es tut) verschwimmt mit jeder Seite... Die „Auflösung“ – Nebensache!
Der Horror lebt eher zwischen den Zeilen (und in der eigenen Vorstellung, wie immer), wie es ein Kritiker anmerkte – und während des Lesens entfaltet das eine mächtige Sogwirkung, so dass die eigentliche „Geschichte“ mehr und mehr unwichtig wird.
Die Frage danach, was die Protagonisten umtreibt und sie treiben läßt, wie weit man sich ohne Schaden zu nehmen aus der sozialen "Gemeinschaft" entfernen kann - was letztlich passiert, wenn aus dem Nichts die Stimmung umschlägt und aus einer Katastrophe noch mehr wird, das beschreibt Jackson beklemmend realistisch in ihrem Buch. Man merkt ihm keinesfalls an, dass es eben schon ein paar Jahre hinter sich hat. Ein Buch, dass durchaus abgründig in der menschlichen Psyche wühlt, dem alltäglichen Wahnsinn leise Türen öffnet und dabei viele Fragen offen lässt. Nach dem Umgang mit sich. Und mit „anderen“...
Eine Einordnung des Buches ist dabei nicht einfach: Horror, Krimi, Mystery, Fantasy, „Übersinnliches“ – am ehesten ist sie vielleicht in der klassischen Tradition des Schauerromans (gothic novel) zu sehen. Sie in die Horror-Schublade zu stecken (wg. ihres Erstlings „The Lottery“), wird ihr so wenig gerecht wie sie allein auf das Fantasy-Genre oder Unterhaltung zu reduzieren.
Fazit:
Wer gern McKillip gelesen hat oder bei einer Gothic Novel erschauert und die Atmosphäre von „The Others“ mag, wird auch Shirley Jackson lieben. Wer vornehmlich auf splatterige Serienkiller und Verschwörungstheorien steht, wird damit vielleicht nicht ganz glücklich.
Einen Pluspunkt gibt es auch für Gartenfreunde und Katzenfans, einen weiteren für diensteifrige Bibliothekare (die mit diesem Buch ganz neue –nicht zwangsläufig nachahmenswerte- Möglichkeiten entdecken könnten, warum Bücher manchmal verschwinden).