'Jeder stirbt für sich allein' - Seiten 001 - 067

  • Zitat

    Original von Rouge
    Ich finde Quangel sehr mutig, wie er bei der Versammlung das Wort ergreift und vor den ganzen Leuten den Vorschlag macht, wie die Produktion zu erhöhen ist. Und vor allem, weil er es gar nicht geplant hatte, sondern einfach so spontan entscheidet das Wort zu ergreifen, sehr stark von ihm.


    Ich frage mich, ob er über die Gefahr nachgedacht hat. Dazu hatte er ja keine Zeit. Kann man dann von Mut sprechen? Er hat eher aus einem inneren Drang gehandelt, aus der Überzeugung, dass er es einfach tun muss. Es ist seine Vorstellung davon, was richtig und was falsch ist. Für ihn war einfach eine Grenze überschritten.
    Als er die Vision von seiner Hinrichtung hatte (4. Kapitel), dachte er: "Am Galgen hängen ist auch nicht schlimmer, als von einer Granate zerrissen zu werden ... Das alles ist nicht wichtig."

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Einer der Gründe, warum ich dieses Buch so herausragend finde - es zeigt, wie klein der Schritt zu unmenschlichem Verhalten ist. Wie viele diesen Schritt getan haben. Da kommt das Unrecht verflixt nah.


    Und wo fängt es an, Unrecht zu sein und nicht mehr nur ein kleiner Vorteil.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Einer der Gründe, warum ich dieses Buch so herausragend finde - es zeigt, wie klein der Schritt zu unmenschlichem Verhalten ist. Wie viele diesen Schritt getan haben. Da kommt das Unrecht verflixt nah.

    Zitat

    Original von made
    Er hat eher aus einem inneren Drang gehandelt, aus der Überzeugung, dass er es einfach tun muss. Es ist seine Vorstellung davon, was richtig und was falsch ist. Für ihn war einfach eine Grenze überschritten.


    :write
    Zaungast maikaefer brummt: Zwei Dinge gehen mir bei diesem Buch oder auch der Knefverfilmung immer wieder durch den Kopf...
    Das Ganze beruht auf einer wahren Begebenheit.
    Und: Wie hätte ich mich verhalten? Hätte ich den Mut besessen, wie dieses Ehepaar oder das Geschwisterpaar Scholl zu handeln? Hätten mich die vollmundigen Versprechungen der Herrschenden eingelullt? Oder hätte ich mich als stiller Duckmäuser verhalten, vielleicht auch aus Angst um Kinder oder so...

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Insofern hatte Enno auch was Gute getan, er hat Eva die Augen geöffnet über Karlemann.


    Die Versammlung. Was hat Otto dazu geführt? Mut, oder doch eher Verzweifelung?
    Er hat gesehen, wie Dollfuß, der sich gerne vor der Arbeit drückt, sich angeschmiert hat. Otto ist zwar seinen Posten los - das wollte er ja eh gerne - aber er ist weiterhin Werksleiter und Dollfuß hat eine Standpauke erhalten.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Ich wollte schon immer mal etwas von Fallada lesen, weil er zu den Lieblingsautoren meines Opas gehörte. Allerdings bin ich etwas erschrocken, als ich die Inhaltsangabe gelesen habe. (Bei den meisten Querbeet-Runden melde ich mich blind an. :grin)
    Ob es das richtige Buch für den Urlaub ist? :gruebel


    Ich finde das Buch sehr spannend zu lesen und die Stimmung und auch das Milieu sagenhaft gut beschrieben.
    Es ist ein Buch über den Widerstand der kleinen Leute, das imponiert mir. Ein mutiges Buch, ein Buch da Mut macht.


    Zitat

    Original von Ellemir
    ...
    Gut gefällt mir der eher nüchtern beobachtende Schreibstil.


    :write
    Den Schreibstil finde ich genau passend.


    Zitat

    Original von Rouge
    ...
    Und wie sein Nachbar den Tod von den ganzen gefallenen Soldaten rechtfertig: "Die ganzen Toten waren es wert weil ja Frankreich kapituliert hat"
    :schlaeger
    Wie kann man nur so was sagen.


    Ich habe es so gelesen, als plappert dieser Barkhausen die gängige Propaganda nach. Vielleicht wollte er auch nur provozieren, um Quangel anzeigen zu können.


    Dieser Barkhausen ist ein mieses, kleines.... :hau

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von made
    Die Szene mit Eva Kluge hat mich sehr beeindruckt. Diese Müdigkeit nach der Arbeit konnte ich spüren. Während sie wartet, dass das Essen gart, nimmt sie Strümpfe zum Stopfen. Das entspannt. Heute würde man etwas in die Mikrowelle schieben und den Fernseher anschalten.


    Und dann bringt sie es tatsächlich fertig, alles aufzuessen, nichts für Enno übrigzulassen. Super!
    Es ist erstaunlich, dass er sich nach einem kurzen Schwächemoment seitens Eva das Sparbuch abnehmen lässt und die Wohnung verlässt. Offensichtlich strahlt sie trotz Müdigkeit Stärke aus.


    Was mir durch den Kopf geht, ist, dass, zumindest wie es Fallada darstellt, die Menschen sehr wohl über die Judenverfolgung, Konzentrationslager und die Machenschaften der SS Bescheid wussten.


    :write
    Das ging mir beim Lesen genauso durch den Kopf.
    Mich hat noch erstaunt, dass Eva ihrem Mann die Geschichte über Kurt glaubt. Ich hätte sie eher so eingeschätzt, dass sie Enno auf keinen Fall Glauben schenkt. Wahrscheinlich ahnt sie, dass sie stimmen kann.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Es steht irgendwo, dass sie Enno für unfähig hält, sich so etwas auszudenken.



    Und es ist wirklich schrecklich, einen Sohn in dieser Form zu verlieren. Hofft man noch, dass er jemals bereut und wieder Mitglied der Familie werden könnte? Ist das möglich?

  • Zitat

    Original von made


    Ich frage mich, ob er über die Gefahr nachgedacht hat. Dazu hatte er ja keine Zeit. Kann man dann von Mut sprechen? Er hat eher aus einem inneren Drang gehandelt, aus der Überzeugung, dass er es einfach tun muss. Es ist seine Vorstellung davon, was richtig und was falsch ist. Für ihn war einfach eine Grenze überschritten.
    Als er die Vision von seiner Hinrichtung hatte (4. Kapitel), dachte er: "Am Galgen hängen ist auch nicht schlimmer, als von einer Granate zerrissen zu werden ... Das alles ist nicht wichtig."


    In den Seiten davor wir schon deutlich, dass Quangel für Gerechtigkeit ist und dass er auch erst voller blinder Dankbarkeit über seinen Arbeitsplatz war, aber dann die Vorgänge mit kritischen und wachen Augen beäugt hat.
    Ich denke schon, dass er bewusst seine Rede gehalten hat. Sicherlich unter dem Eindruck des Todes seines Sohnes. Ein stiller, mutiger und aufrechter Mann.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von made
    Es steht irgendwo, dass sie Enno für unfähig hält, sich so etwas auszudenken.



    Und es ist wirklich schrecklich, einen Sohn in dieser Form zu verlieren. Hofft man noch, dass er jemals bereut und wieder Mitglied der Familie werden könnte? Ist das möglich?


    Bleibt nicht Sohn immer Sohn? Trotz aller Greueltaten?
    Ich mag mir das gar nicht vorstellen, dass ich meinen Sohn jemals "verstoßen" könnte. Entsetzliche Vorstellung.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Genau das ging mir auch durch den Kopf. Ich denke für Eva ist es so schlimm, weil ihr Sohn gerade mit einem kleinen Kind so grausam umgegangen ist.
    Ich würde wohl mein Kind auch im Gefängnis besuchen. Aber es gibt vielleicht eine Grenze, jenseits der alle Familienbande zerrissen sind.

  • Ich glaube, es gibt eine Grenze dessen, was man seinem Kind verzeihen kann. Die sind sicher bei jedem Menschen unterschiedlich.
    Aber ich kann mir nicht vorstellen, einen Menschen um mich haben zu wollen, der andere Menschen auf grausame Weise quält oder umbringt. Und womöglich noch stolz darauf ist.

  • Das würde ich sicher auch nicht, Rumpelstilzchen. Aber ich würde mir auf jeden Fall auch selbst Mitschuld daran geben, dass mein Kind so geworden ist. Egal wie unsinnig das objektiv betrachtet wäre.


    Maikäfer, ich denke, ich würde gerade aus Angst um meine Kinder nicht den Mut haben, den Mund aufzumachen. Sich selbst in Gefahr zu bringen ist die eine Sache, seine Kinder zu schützen ist aber eine viel stärkere Motivation, denke ich.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Ich glaube, es gibt eine Grenze dessen, was man seinem Kind verzeihen kann. Die sind sicher bei jedem Menschen unterschiedlich.
    Aber ich kann mir nicht vorstellen, einen Menschen um mich haben zu wollen, der andere Menschen auf grausame Weise quält oder umbringt. Und womöglich noch stolz darauf ist.


    Karlemann ist ja beim Militär. Ich glaube, ich hätte die Hoffnung, wenn er geund wieder kommt, dass er mit ich reden lässt.

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    Wendy Wasserstein

  • Ich kann mir vorstellen, dass ein Mensch bereuen kann. Auch so eine Tat. Dann könnte ich mir vorstellen, den Kontakt aufrechtzuerhalten.
    Aber das ist ja durchaus nicht bei allen Tätern so gewesen. Viele haben ihre Taten auch später gerechtfertigt und mit allen möglichen seltsamen Gründen entschuldigt.
    Mit so einem Menschen wollte ich nichts mehr zu tun haben. Auch wenn es das eigene Kind wäre.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Ich kann mir vorstellen, dass ein Mensch bereuen kann. Auch so eine Tat. Dann könnte ich mir vorstellen, den Kontakt aufrechtzuerhalten.
    Aber das ist ja durchaus nicht bei allen Tätern so gewesen. Viele haben ihre Taten auch später gerechtfertigt und mit allen möglichen seltsamen Gründen entschuldigt.
    Mit so einem Menschen wollte ich nichts mehr zu tun haben. Auch wenn es das eigene Kind wäre.


    Ich weiß es einfach nicht und bin froh, mir diese Frage nur hypothetisch stellen zu müssen. Für mich ist unvorstellbar, dass ein Mensch überhaupt zu so einer Tat fähig ist. Die Hemmschwelle so zu überschreiten geht doch nur, wenn man ausblendet, dass das Opfer ein Mensch ist.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Ellemir
    Maikäfer, ich denke, ich würde gerade aus Angst um meine Kinder nicht den Mut haben, den Mund aufzumachen. Sich selbst in Gefahr zu bringen ist die eine Sache, seine Kinder zu schützen ist aber eine viel stärkere Motivation, denke ich.


    Ich denke ähnlich. Die Männer vom 20. Juli hatten zwar zT auch Kinder und wagten es dennoch, aber ich hätte mich das vermutlich nicht getraut.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von made
    Was mir durch den Kopf geht, ist, dass, zumindest wie es Fallada darstellt, die Menschen sehr wohl über die Judenverfolgung, Konzentrationslager und die Machenschaften der SS Bescheid wussten.

    Wir sind gerade Anfang 1940 (Waffenstillstand von Compiègne (1940)), der Krieg ist nicht einmal ein Jahr im Gange. Das volle Ausmaß der Greueltaten begann erst um einiges später (die Wannseekonferenz war am 20.01.1942). Viele jüdischen Menschen haben das alles ja selbst lange nicht glauben können und wollen und den Zeitpunkt einer Ausreise nach England oder in die USA verpasst, was sie später mit dem Leben bezahlen mussten.



    Zitat

    Original von Lesebiene
    Insofern hatte Enno auch was Gute getan, er hat Eva die Augen geöffnet über Karlemann.

    Ich könnte mir vorstellen, dass Eva gerne in ihrer Version der Realität geblieben wäre. Besser Karl wäre im Krieg gestorben, als diese Taten des Sohnes zu erfahren.


    Karl war bei der SS. Diese Leute sind gezielt und bewusst entmenschlicht und zu Tötungsmaschinen abgerichtet worden. Sehr interessant, aber auch grausam, was man aus Menschen machen kann. Belohnung und ein gleichartiges soziales Gefüge (und hoffentlich noch ein paar Details mehr). Himmler war da sehr perfide.



    Ich würde gerne mal per Zeitmaschine in diese dunkle Epoche reisen. Tausendfach habe ich dazu was gelesen, zig TV-Berichte gesehen. Geschützt und immun gegen die Indoktrination natürlich, aber ich würde diese Zeit gerne noch intensiver begreifen können. Fallada zeigt zumindest sehr interessante und einfühlsame menschliche Details und Verhaltensweisen auf. Ein falsches Wort bzw. ein Nachbar, der einen verrät und man hat diese widerlichen Typen am Hacken.