'Jeder stirbt für sich allein' - Seiten 001 - 067

  • Ich finde es sehr interessant, wie verschiedene Menschen so unterschiedlich auf die schlimmen Zeiten reagieren. Manche versuchen, Mensch zu bleiben, andere gehen über Leichen für den eigenen Vorteil. Besonders erschüttert mich, was die Indoktrination mit Jugendlichen macht. Sehr beklemmend ist auch die Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens.


    Gut gefällt mir der eher nüchtern beobachtende Schreibstil.

  • 1.
    Schon nach wenigen Seiten war ich gefangen.
    Es wird klar, wie schnell man in das NS-System hineinrutscht. Die Briefträgerin Kluge interessiert sich nicht für Politik und hat ein natürliches Unrechtsbewusstsein. Auch Otto Quangel will möglichst unauffällig bleiben. Zur Arbeitsfront ist er wohl nur wegen seiner Arbeitsstelle gegangen.
    Und dann gibt es natürlich die Überzeugten.


    War es damals überhaupt möglich, sich herauszuhalten aus dem System? War man nicht fast zwangsläufig ein klein bisschen dafür, wenn man nicht dagegen war?


    Gruselig fand ich, wie Fallada die Reaktion von Anna Quangel auf die Todesnachricht beschreibt. Und Ottos Gedanken. Und anschließend geht er in die Arbeit. :yikes

  • Ich habe dieses Buch schon einmal vor ein paar Jahren gelesen und war tief beeindruckt davon.
    Jetzt habe ich mich entscheiden es noch mal als Hörbuch zu hören. Und es war für mich die richtige Entscheidung. Ulrich Nöthen liest die Geschichte zu eindringlich, dass ich gleich bei den ersten Szenen eine Gänsehaut bekommen habe.
    Ich finde es ja bestürzend, dass Otto zugibt, seinen Sohn gar nicht richtig geliebt zu haben. Und dass er jetzt nur traurig und erschüttert ist wegen seiner Frau, gar nicht wegen seinem Sohn selber.
    Und wie sein Nachbar den Tod von den ganzen gefallenen Soldaten rechtfertig: "Die ganzen Toten waren es wert weil ja Frankreich kapituliert hat"
    :schlaeger
    Wie kann man nur so was sagen.

  • Ob ihm das schon immer bewusst war oder erst jetzt klar geworden war?


    Durch den Tod ihres Sohnes verändern sich die Quangels. Bei Otto kommt es mir vor, als ob ein gefrorener Eisblock beginnt aufzutauen und sein Inneres freizugeben. Anfangs wehrt sich Otto noch dagegen.


  • Ich habe das Buch zwar nicht gelesen, aber mir geht es mit dem Hörbuch genauso wie dir. Ulrich Nöthen ist ein großartiger Vorleser. Er versteht es diese etwas distanzierte Sicht auf die Personen, die Fallada mir vermittelt, großartig umzusetzen und den Figuren gleichzeitig die Authentizität zu verleihen, die Fallada wohl beabsichtigt hat.


    Ich glaube, dass Fallada die Stimmung, die in unserem Land damals herrschte, wirklich sehr gut wiedergibt. Das gilt sowohl für die Kritiker, als auch die Anhänger und eben auch die ganz normalen, die mehr mit ihrem Alltag vor Ort beschäftigt sind, als mit der Politik und dem Krieg, der ja zu der Zeit noch weit weg zu sein scheint.


    Zitat

    Original von Ellemir
    Ich finde es sehr interessant, wie verschiedene Menschen so unterschiedlich auf die schlimmen Zeiten reagieren. Manche versuchen, Mensch zu bleiben, andere gehen über Leichen für den eigenen Vorteil. Besonders erschüttert mich, was die Indoktrination mit Jugendlichen macht. Sehr beklemmend ist auch die Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens.
    Gut gefällt mir der eher nüchtern beobachtende Schreibstil.


    :write
    So empfinde ich es auch.

  • Die Szene mit Eva Kluge hat mich sehr beeindruckt. Diese Müdigkeit nach der Arbeit konnte ich spüren. Während sie wartet, dass das Essen gart, nimmt sie Strümpfe zum Stopfen. Das entspannt. Heute würde man etwas in die Mikrowelle schieben und den Fernseher anschalten.


    Und dann bringt sie es tatsächlich fertig, alles aufzuessen, nichts für Enno übrigzulassen. Super!
    Es ist erstaunlich, dass er sich nach einem kurzen Schwächemoment seitens Eva das Sparbuch abnehmen lässt und die Wohnung verlässt. Offensichtlich strahlt sie trotz Müdigkeit Stärke aus.


    Was mir durch den Kopf geht, ist, dass, zumindest wie es Fallada darstellt, die Menschen sehr wohl über die Judenverfolgung, Konzentrationslager und die Machenschaften der SS Bescheid wussten.

  • Ich habe jetzt auch schon die Hälfte des Abschnittes gelesen. Gestern kam mein Buch erst und ich beschäftigte mich erst einmal mit dem Anhang. :grin


    Der Schreibstil ist sehr passend und liest sich gut. Die Geschichte spielt ja im Krieg, da wußten auch die meisten Deutschen mittlerweile was los war. Aber was sollten sie machen?
    40 Mark Wochenlohn - das war üblich seinerzeit
    Und auch hier wieder, wie im Roman von Ulrike Renk, die Kochmaschine. Die Bezeichnung war für mich neu. Meine Großeltern hatten einen Kohleherd.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Zitat

    Original von Lesebiene
    Und auch hier wieder, wie im Roman von Ulrike Renk, die Kochmaschine. Die Bezeichnung war für mich neu. Meine Großeltern hatten einen Kohleherd.


    Kochmaschine? Das hab ich wohl überlesen. Wo kam das denn vor? Und was ist das?

  • Gleich am Ende des ersten Kapitels geht Anna an die Kochmaschine.


    Ganz genau weiß ich es auch nicht - aber ich glaube, man hat so den kohle-oder holzbetriebenen Küchenherd bezeichnet. Der hat ja alles gemacht. Die Küche gewärmt, man konnte drauf kochen, im Ofen backen und das Teil meiner Oma hatte auch ein großes Heißwasserbecken.

  • Ach ja, diese Herde kenn ich auch noch von meinen Großeltern. Ich wusste allerdings nicht, dass man dazu auch Kochmaschine gesagt hat.


    Hat Quangel jetzt einen Gesinnungswandel durchgemacht? Vor der Versammlung denkt er noch, er will sich raushalten, dass nicht "eine Mutter oder eine Braut durch ihn hingerichtet wird". Und dann stellt er sich öffentlich gegen Dollfuß.
    Ich finde Quangels Charakter bemerkenswert, eigentlich eine ganz einfache Natur, ein "dusseliger Werkmeister". Aber er weiß es selbst, dass er nichts weiß (um mit Sokrates zu sprechen). Und es ist ihm sehr recht, dass die anderen ihn unterschätzen.
    Seine Rede in der Versammlung war auch gar nicht vom ihm lange vorher geplant, es kam aus ihm raus. Und es war genial. Er hat nach seinem Gewissen gehandelt, ist sein Amt in der DAF losgeworden, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.

  • Ich finde Quangel sehr mutig, wie er bei der Versammlung das Wort ergreift und vor den ganzen Leuten den Vorschlag macht, wie die Produktion zu erhöhen ist. Und vor allem, weil er es gar nicht geplant hatte, sondern einfach so spontan entscheidet das Wort zu ergreifen, sehr stark von ihm.


    Eva Kluge finde ich auch sehr beeindruckend. Wie sie zum Beispiel erkennt, dass es schlimmer für sie ist, einen Sohn zu haben der ein Nazi ist als einen gefallenen Sohn. Das sie über einen toten Sohn trauern könnte, aber über einen lebenden Sohn mit falscher Gesinnung nicht. Das hat mich berührt und bewegt.

  • Wäre er nur ein Nazi gewesen, einer, der eben einfach in der Partei ist, weil es einfacher ist, wäre es sicher noch erträglich gewesen.
    Ich möchte mir nicht vorstellen, wie ich mich fühlen würde, wenn meine Söhne so handeln würden.


    Einer der Gründe, warum ich dieses Buch so herausragend finde - es zeigt, wie klein der Schritt zu unmenschlichem Verhalten ist. Wie viele diesen Schritt getan haben. Da kommt das Unrecht verflixt nah.