'Jeder stirbt für sich allein' - Seiten 286 - 374

  • Dieser Teil liest sich wie ein Spionage-Roman.
    Auch hier zeigtsich wieder, wie groß die Angst vor Bestrafung und Denunziantentum ist. Dass Escherisch Enno in den Tod treibt, damit hätte ich nicht gerechnet. Er wirkte auf mich bis jetzt ruhig und überlegt.
    Selbst ein ungefasster Kartenschreiber wird dem Kommissar gefährlich.


    Hoffentlich kann Hete ihr Geld noch retten...


    Die Szenen rund um Barkhausen sind fast wie Szenen aus Dick und Doof. Der ist ja wirklich zu dämlich.


    Die Verhörmethoden der Gestapo nennt Fallada beim Namen. Sie erinnern mich an Szenen aus "Das Leben der Anderen".


    Ich finde immer erstaunlicher, dass das gegenseitige Bespitzeln und Ausrauben der kleinen Leute untereinander so gut funktioniert. Hitler scheint gar nicht der Feind Nummer 1 zu sein, sondern der, der über Geld verfügt. Der oder die wird beraubt. Nicht auszudenken, wass Hetes Geld, Quangels Einfallsreichtum und Ideen und Trudels Haltung hätten bewirken können.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Regenfisch, mir ist der genaue Ablauf bei dem Gerangel zwischen Escherich und Enno nicht ganz klar. Ich hatte es so verstanden, dass Escherich den Enno erschossen hat.
    Ich lese es nochmal.


    Stimmt, der Feind Nr. 1 waren die anderen. Teilweise ja sogar in der eigenen Familie, weil man sich nie sicher sein konnte, wer wen bespitzelt.
    Solidarität gab es nur ausnahmsweise - jedenfalls nicht bei den Leuten, die hier bisher aufgetaucht sind.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Regenfisch, mir ist der genaue Ablauf bei dem Gerangel zwischen Escherich und Enno nicht ganz klar. Ich hatte es so verstanden, dass Escherich den Enno erschossen hat.
    Ich lese es nochmal.
    ...


    Ich habe es so verstanden, dass Enno die Pistole noch in der Hand hatte uns selbst 2 Schüsse abgegeben hat, damit Escherich ihn nicht ins Wasser stößt. :gruebel
    Escherich lässt die Pistole auch liegen, also muss Enno geschossen haben.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Dieser Teil liest sich wie ein Spionage-Roman.
    Auch hier zeigtsich wieder, wie groß die Angst vor Bestrafung und Denunziantentum ist. Dass Escherisch Enno in den Tod treibt, damit hätte ich nicht gerechnet. Er wirkte auf mich bis jetzt ruhig und überlegt.
    Selbst ein ungefasster Kartenschreiber wird dem Kommissar gefährlich.


    Ich finde, in der Kneipe, als Escherich mit Kluge darauf wartet, dass es 10 Uhr wird, merkt man Escherich sehr deutlich seine Unruhe und Sorgen an.
    Und als er ihm die Methoden der Gestapo deutlich vor Augen führt, hatte ich den Eindruck, dass er es auch sich selbst sagt, wie in einem Selbstgespräch. Auch er hat Angst davor.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Regenfisch, mir ist der genaue Ablauf bei dem Gerangel zwischen Escherich und Enno nicht ganz klar. Ich hatte es so verstanden, dass Escherich den Enno erschossen hat.


    Escherich hat die ungesicherte Pistole Kluge in die Hand gegeben. Ziemlich leichtfertig, finde ich. Dass Enno Escherich nicht getötet hat, liegt wohl daran, dass er so etwas einfach nicht fertig bringt und dass es ihm klar war, dass es ihm nichts bringen würde.


    Dann heißt es, es fielen zwei Schüsse. Ich gehe davon aus, dass Enno die Pistole zu diesem Zeitpunkt noch in der Hand hatte. Was nichts heißen muss. Aber vorher sagte Escherich zu ihm: Du hast doch nie die Courage dazu! (Als Antwort auf Ennos Aussage: "Ich werde das andere auch bestimmt tun!")


    edit: Escherich wollte doch Enno ins Wasser schicken. Ich gehe davon aus, dass Enno sich selbst getötet hat. Ganz gegen die Erwartung des Kommisars. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der sehr überrascht war.

  • Mir fällt in dem letzten Kapitel das Duzen auf. Während Escherich Enno beim ersten Verhör (24. Kapitel) noch konsequent mit "Sie" anspricht, schwenkt er am See auf "Du" um. Eigentlich nicht so ungewöhnlich, dieses Verhalten kennt man aus vielen Krimis. Aber dass gegen Ende auch Enno den Kommisar duzt, finde ich doch höchst erstaunlich. Sieht am Ende Enno in ihm so etwas wie einen Vertrauten?

  • Die Idee der Frau Hete Häberle, Barkhausen nach München zu schicken, ist raffiniert. Ob sie da spontan draufgekommen ist? Leider unterläuft ihr ein verhängnisvoller Fehler.


    Das Verhalten der Anna Schönlein ist doch auch sehr leichtsinnig. Als ich las, dass Enno bei ihr versteckt werden soll, stellte ich mir ein ganz ausgeklügeltes System vor. Aber einfach beliebig Leute im Kleiderschrank verstecken, ist doch schon fast fatalistisch.


    Barkhausens Gewaltphantasien gegenüber seinem Sohn (31. Kap.) sind ja übelst. Er braucht vermutlich ein Ventil für das, was er erdulden muss.

  • Ich habe die Szene mit Enno nochmal gelesen.
    made, ich denke auch, dass Enno sich selbst erschossen hat - und sei es eher aus Versehen.


    Barkhausen ist ein typischer Vertreter der Sorte Mensch, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Gewalt gegen Kinder gehörte damals zur Tagesordnung. Väter durften prügeln und schlagen, wie sie wollten. Nur umbringen war nicht erlaubt. Kann man sich heute kaum mehr vorstellen.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Ich habe die Szene mit Enno nochmal gelesen.
    made, ich denke auch, dass Enno sich selbst erschossen hat - und sei es eher aus Versehen.


    Auf die Idee, dass es aus Versehen passiert sein könnte, bin ich gar nicht gekommen. Ich hatte das Gefühl, dass Enno bereits mit dem Leben abgeschlossen hatte. Er sagte ja zu Escherich, er wäre der letzte Mensch, mit dem er spricht.


    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Barkhausen ist ein typischer Vertreter der Sorte Mensch, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Gewalt gegen Kinder gehörte damals zur Tagesordnung. Väter durften prügeln und schlagen, wie sie wollten. Nur umbringen war nicht erlaubt. Kann man sich heute kaum mehr vorstellen.


    Prügeln aus Aggression oder Hilflosigkeit oder auch bewusst als Erziehungsmaßnahme war sicher weit verbreitet, aber sich genüsslich in diesen Gewaltphantasien suhlen ist doch noch eine ganz andere Dimension.

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Die Verhörmethoden der Gestapo nennt Fallada beim Namen. Sie erinnern mich an Szenen aus "Das Leben der Anderen".


    Wobei die Stasi aber darauf geachtet hat, die Gefangenen nicht physisch zu foltern. Säure über die Füße kippen und die Knochen zu brechen gehörte bei denen nicht zu den Methoden. Psychologische Zersetzung war deren Methode.



    Zitat

    Original von made
    Aber dass gegen Ende auch Enno den Kommisar duzt, finde ich doch höchst erstaunlich. Sieht am Ende Enno in ihm so etwas wie einen Vertrauten?


    Vielleicht, weil Escherich seine Rolle als Kommentar verließ und durch die Mordabsichten eher auf Ennos Ebene abgerutscht ist.



    Gewalt zieht sich ja bislang durch das Buch. Jeder ist mal Täter und mal Opfer. Ein widerliches System der Angst, dass da aufgebaut wurde. Nicht denken, nur gehorchen. Und wer nicht gehorcht, wandert ins KZ.

  • Eigentlich kann sich keiner sicher fühlen - aber sie tun es trotzdem häufig. Zum Beispiel die Frau, die den klapprigen Kinderwagen verkaufen wollte, sie sagt ja:


    Versuchen Sie es doch mal mit einer Anzeige, junger Mann! Mein Mann ist Hauptwachtmeister bei der Polizei, für uns gibt’s nichts Strafbares.


    Wahrscheinlich werden viele ähnlich gedacht haben.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Ich habe die Szene mit Enno nochmal gelesen.
    made, ich denke auch, dass Enno sich selbst erschossen hat - und sei es eher aus Versehen.


    Barkhausen ist ein typischer Vertreter der Sorte Mensch, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Gewalt gegen Kinder gehörte damals zur Tagesordnung. Väter durften prügeln und schlagen, wie sie wollten. Nur umbringen war nicht erlaubt. Kann man sich heute kaum mehr vorstellen.



    Ich frage mich, ob der Kommissar gewußt hat, dass Enno solche Angst vor Wasser hat. Schrecklich, jemand freundlich ermuntern, sich selbst zu erschießen. Fast kann man sagen, schade, dass der erste Schuß nicht getroffen hat.


    Bin gespannt, was Barkhausen noch anstellt. Kuno-Dieter verprügeln dürfte nicht so einfach sein, der Junge ist ja bei der HJ und Otti ist sicherlich auch nicht ohne.


    Gewalt gegen Kinder ist leider auch heute noch verbreitet. Nur das heute auch getötet wird. Es vergeht doch kaum eine Woche, in dem nicht wieder irgendwo ein Kind mißhandelt und getötet wird.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Zitat

    Original von Lesebiene
    ...
    Gewalt gegen Kinder ist leider auch heute noch verbreitet. Nur das heute auch getötet wird. Es vergeht doch kaum eine Woche, in dem nicht wieder irgendwo ein Kind mißhandelt und getötet wird.


    Leider ist es nur die Zahl des einen Kindes, das es bis in die Medien schafft. Die anderen bleiben ungehört.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Lesebiene
    Ich frage mich, ob der Kommissar gewußt hat, dass Enno solche Angst vor Wasser hat. Schrecklich, jemand freundlich ermuntern, sich selbst zu erschießen. Fast kann man sagen, schade, dass der erste Schuß nicht getroffen hat.


    Den genauen Plan von Escherich hätte ich auch gern gewusst. Ich glaube nicht, dass er davon ausgegangen, dass Enno sich selbst umbringt. Aber ein Versuch war es schon wert. Sich nicht die Hände schmutzig machen, war für Escherich bestimmt erstrebenswert. Vielleicht hat Enno Escherich erst auf die Idee mit dem Wasser gebracht. Ist nicht so laut wie ein Schuss.

  • Sicher ist er mit dem Vorsatz, ihn zu töten mit ihm an den See gefahren. Wie genau, das wusste er sicher noch nicht.


    Lesebiene, der Unterschied zur heutigen Gewalt gegen Kinder ist sicher der, dass die damals an der Tagesordnung war. Es gehörte zu einer ordentlichen Erziehung, seine Kinder zu prügeln. Keiner sagte etwas. Hilfe gab es auch keine.
    Das hat sich immerhin geändert. Auch wenn immer noch viel zu viele Kinder leiden müssen.

  • Mag sein, liebe Lesebiene, dass es auch solche Familien gab. In meinen Erfahrungen als Kind kommen die nicht vor. Ich bin ja sehr viel später geboren und komme aus einem streng katholischen Kaff. In meiner ganzen Schulklasse gab es kein Kind, das nicht zumindest mal Ohrfeigen kassiert hat. Noch schlimmer war es im Dorf meiner Großeltern. Da hat sogar der Pfarrer im Kommunionunterricht geprügelt. Über Beulen und blaue Flecke wurde kein Wort verloren. Und wenn sich ein Kind bei den Eltern darüber beschwert hat, gab es noch eine "Watschn" dazu.
    Nicht 1940. Sondern in den 60ern.