'Jeder stirbt für sich allein' - Seiten 509 - 591

  • Die Verhöre sind echt kaum auszuhalten und die Rohheit der Gestapo-Leute ebenfalls.
    Ein Lichtblick ist der nette Pastor.
    Ich habe beim Lesen das Gefühl, dass Fallada bewusst helle Stellen in das Buch eingearbeitet hat, damit es für den Leser erträglicher wird. Ich glaube kaum, dass Trudl und Anna wirklich in eine Zelle gekommen wären. Oder der nette Dirigent.


    Bleibt Anna und Otto nur noch ein schnelles Ende zu wünschen ohne weitere Qualen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich finde, dieser Abschnitt ist bisher der intensivste. Zuerst das Kapitel mit dem "Hund", die Gespräche mit Dr. Reichardt. Das alles verändert Quangel.
    Dann der Selbstmord Trudels. Ich bin noch so betroffen, dass mir die Worte fehlen. Das muss ich erst noch sacken lassen.
    Fallada benützt hier auch eine ganz andere Sprache.

  • Es ist ja das erstemal, dass Menschen mit einem Innenleben auftauchen. Selbst der "Hund", mag er nun wirklich verrückt geworden sein oder nur so tun, zeigt ja "Gefühle", so wahnsinnig die auch erscheinen mögen.
    Gegenüber Quangel, der immer mehr wie ein menschlicher Holzblock wirkte.
    Er hat sich seine Gefühle nie gestattet und in der Haft begegnet er einem Menschen wie Reichardt.
    Ein Abschnitt, der mich sehr berührt hat.

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Die Verhöre sind echt kaum auszuhalten und die Rohheit der Gestapo-Leute ebenfalls.


    Für Anna freut es mich, dass sie die Qualen leichter erträgt, weil sie es als Buße für ihre Schuld, dass sie Trudel verraten hat, ansieht. Sie kann mit sich ins Reine kommen, es gibt ihr Stärke.


    Zitat

    Original von Regenfisch
    Ich habe beim Lesen das Gefühl, dass Fallada bewusst helle Stellen in das Buch eingearbeitet hat, damit es für den Leser erträglicher wird.


    Ich denke, diese hellen Stellen hat es tatsächlich gegeben, wenn auch in anderer Form. Das ist wohl so eine innere Wahrheit, von der im Vorwort die Rede ist.

  • Die Gespräche mit Dr. Reichardt finde ich sehr gut. Sie verändern und stärken Quangel.
    Als Quangel darüber nachdenkt, wie viel er in seinem Leben verpasst hat und dass alles nichts genützt hat, tröstet Reichardt ihn: "Keiner kann nach allen Richtungen leben" und später "Und Sie haben doch wenigstens dem Schlechten widerstanden." "und jeder wird für sich allein sterben müssen. Aber darum sind wir doch nicht allein, Quangel, darum sterben wir doch nicht umsonst ..."




    Und dann:


    Die Szene "wilde, panische, grausige Symphonie, gespielt zu Ehren Trudels". Gänsehaut!

  • Wirklich ein sehr intensiver und interessanter Abschnitt. Mir gefallen eigentlich alle Gespräche, da passt jedes Wort.


    Bei den 2000 Gefängnisinsassen waren doch sicher welche dabei, die 1933 die NSDAP gewählt hatten. Was muss in denen vorgegangen sein?

  • Was für eine Frage! Da hab ich erst mal eine ganze Weile gegrübelt.


    Ich kann mir vorstellen, dass die vormaligen NSDAP-Wähler dachten: "Das hab ich nicht gewollt! Wer hat das ahnen können!" Dass was schief gelaufen ist, ist ihnen klar. Aber es sind wohl wenige, die sich an der Situation in großem Maß schuldig fühlen.


    Generell neigt der Mensch dazu, Schuld außerhalb zu suchen. Auch im Gefängnis saß ein gewisser Querschnitt der Bevölkerung, nicht nur gut informierte Widerstandskämpfer. Ich weiß nicht, ob sich die Inhaftierten ganz von der NS-Propaganda freimachen konnten, die die Schuld z. B. für den Krieg im Ausland sieht oder die "guten" Taten Hitlers rühmt.


    Dass das von ihnen gewählte System jetzt auf sie zurück schlägt, sehen sie womöglich eher als eine aus dem Ruder gelaufene Entwicklung (wer auch immer daran Schuld hat) als als Folge der Wahlen von 1933.


    Ich denke nicht, dass sie ihre Haft als Sühne, so wie Anna, ansehen.

  • Zitat

    Original von made
    Was für eine Frage! Da hab ich erst mal eine ganze Weile gegrübelt.


    Spät nachts laufe ich halt zur Höchstform auf und habe die besten Ideen für Fragen. :grin
    Wenn man das miteinander verbindet muss man doch wahnsinnig werden, dass man selbst seine Mörder gewählt hat. Die Wahl war zum Zeitpunkt im Buch aber schon 10 Jahre her, wahrscheinlich wird das gar nicht mehr in einen Zusammenhang gebracht. Zusätzlich kommt eine Fülle weiterer Ereignisse dazu.

  • Ja, den Mitläufern ist immer erst hinterher klar, was sie da getan haben.
    Ich fand die Szenen bei den Befragungen und auch im Gefängnis richtig schlimm. Ich bin ja wirklich jemand, der früher Thriller und Horror gelesen hat, aber das ist eine ganz andere Dimension. So aussichtslos. Man konnte sagen und tun was man wollte, trotzdem war man immer verdächtig, sobald man einmal gefasst wurde.

  • Dieser Abschnitt ist einfach grauenvoll. Trudl und Karl müssen sterben, nur weil sie Otto und Anna kannten. Was mit Heffkes noch passieren wird?


    Wahlen 1933 ohne die Informationsmöglichkeiten von heute.
    Wahlveranstaltungen, Flugblätter,


    Wahlen heute:
    Flyer, Parteiprogramme, Wahlveranstaltungen, Fernsehduelle, Rund-um-die-Uhr-Nachrichten,

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein


  • Ich denke nicht, dass das einen großen Unterschied macht, wer sich informieren wollte, konnte das auch schon 1933, auch wenn es natürlich schon schwieriger war als heute und denen, die sich gar nicht informieren wollen, sondern dem größten Schwätzer und Schreier hinterher rennen, denen kommen die modernen Medien ja auch nicht bei.

  • Es gibt bei den Medien heute schon einen riesigen Unterschied. Früher musste das intensiv organisiert werden, war mit hohen Kosten verbunden, wenn man eine große Reichweite haben wollte. Heute kann dagegen jeder etwas veröffentlichen und hat damit sofort weltweite Reichweite. Allerdings sind es heute dadurch wiederum soviele Informationen geworden, dass diese leicht in der Flut verloren gehen können.

  • Über die allgemeine Richtung, in die die Politik gehen wird, dürfte es spätestens ab Kriegsbeginn keine Zweifel mehr gegeben haben.
    Aber die Informationen für Jedermann waren sorgfältig zensiert. Kritische Berichte unmöglich. Zeitungen und Radiosender gleichgeschaltet.
    Und man muss sich klar machen, dass es kein Fernsehen gab und längst nicht in jedem Wohnzimmer ein Radio. Da hatte nicht jeder die Möglichkeit, ausländische Sender zu hören.

  • Und die permanente Beeinflussung über Wochenschau, Zeitungen und Stammtischgespräche waren sicher sehr massiv und vor allem sehr einseitig. Zum anderen waren alle Deutschen ja auch von den schnellen Kriegserfolgen begeistert und wirtschaftlich ging es allen auch besser als vorher. Und wenn dann einer kommt und kritisiert, geht es wohl so aus wie in Platons Höhlengleichnis.