Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren: Ein Streitgespräch – Stefan Orth (Hrsg.)

  • Die Autoren und der Herausgeber (Quelle: Amazon)
    Mouhanad Khorchide, Prof. Dr., geb. 1971 in Beirut, aufgewachsen in Saudi-Arabien, studierte Islamische Theologie und Soziologie in Beirut und Wien, wo er mit einer Studie über islamische Religionslehrer promovierte. Seit 2010 Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster.
    Hamed Abdel-Samad, deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler, Historiker und Autor.
    Dr. Stefan Orth, geb. 1968, hat in Freiburg, Paris und Münster katholische Theologie studiert, über die theologische Relevanz des Werkes von Paul Ricœur promoviert und ist seit 1998 Redakteur der Herder Korrespondenz in Freiburg.


    Das Buch (Quelle: Amazon)
    Die Gegensätze könnten größer kaum sein: Auf der einen Seite der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad, der Mohammed für einen Terroristen hält, und auf der anderen Seite der muslimische Theologe Mouhanad Khorchide, der für einen liberalen Islam wirbt. In dem vorliegenden Buch ringen die prominentesten Akteure der aktuellen Debatte miteinander. Persönlich schätzen sich sich, doch inhaltlich könnte der Konflikt größer nicht sein. Themen dieses Streitgesprächs sind Gewalt und Friedfertigkeit im Islam, die Rolle Mohammeds und die Herausforderung des sogenannten Islamischen Staats. Außerdem werden Fragen beantwortet, wie: Wie muss der Koran gelesen werden? Überzeugen die neuen Ansätze islamischer Theologie über Gott und den Menschen? Und welche Rolle werden Muslime in Zukunft in der deutschen Gesellschaft spielen können? Zwei prominente Publizisten diskutieren, ohne einander zu schonen, über den Weg des Islam in die Zukunft. Ein Muss für jeden, der die aktuelle Debatte um den Islam und unsere Gesellschaft verfolgt.


    Meinung
    Lieber hätte ich gelesen, wie die Fetzen geflogen wären. Das Streitgespräch verlief allzu glatt und harmonisch. Zwar war es in der Sache zuweilen hart, jedoch kam es ohne persönliche Angriffe aus. Hamed Abdel-Samad und Mouhanad Khorchide haben sich anständig benommen.


    Von Anfang an war Khorchide in der Verteidigungsposition. Er relativierte und verharmloste, was er wirklich gut gemacht hat. Allerdings sollte eins klar sein: Wer nur verteidigt, schießt keine Tore. Dafür war dann Abdel-Samad zuständig, der so einige Treffer versenkte. Zugegeben, Abdel-Samads Vorteil war allgegenwärtig. Schließlich sind die offensichtlichen Anachronismen des politischen Islam viel leichter anzugreifen als zu verteidigen.


    Eine wichtige Position hat Khorchide ins Spiel gebracht, als er behauptet, dass das Problem des Islam nicht der IS sei. Es seien die Reformverweigerer, die sich allerorten breitgemacht haben.


    Seine Meinung lässt sich gut nachvollziehen. Man muss nur in die Trams, Züge und S-Bahnen in den deutschen Großstädten schauen. Vergleicht man die Anzahl der Kopftücher, Burkas und Ganzkörperschleier mit jener vor zehn Jahren, so wird man einen enormen Zuwachs feststellen.


    Die Argumente sind bekannt und schon tausendmal wiederholt worden. Wer einen Zugang zum Thema finden will, der ist gut beraten, das Büchlein zu lesen. Nach der Lektüre kann man wohl kaum behaupten, dass der Islam nicht dringend Reformbedarf hätte.

  • Der Islam konnte sich nicht an die Moderne anpassen, weil der Islam sich an nichts anpassen will, weil er letztlich alles von oben bestimmen und kontrollieren will. (Hamed Abdel-Samad, Seite 16)


    Meine Meinung


    Fast täglich hört oder liest man Meldungen, die über mehr oder weniger schlimme Gewalttaten berichten, die im Namen des Islam vollbracht werden. Und ebenso oft heißt es dann, das habe mit dem Islam nichts zu tun, denn der sei doch friedlich. Was stimmt nun? Ein Streitgespräch zwischen einem Islamkritiker und einem islamischen Theologen schien mir geeignet, etwas Licht in dieses Dunkel zu bringen.


    Zu insgesamt dreizehn Fragenkomplexen gaben beide Stellungnahmen, die oft kontrovers waren, ab. Teilweise ging es auch darüber hinaus und es kam zu einer Art Dialog, soweit ein solcher in einem Buch möglich ist. Dabei hatte ich über weite Strecken den Eindruck, daß die Argumentation des Islamkritikers Hamed Abdel-Samad wesentlich schlüssiger und nachvollziehbarer ist als die von Mouhanad Khorchide, bei dem ich des Öfteren den Eindruck hatte, daß er sehr interpretieren und weit herholen muß, wenn er seine Meinung zu einem „friedlichen Islam“ begründen wollte. Da hatte es Abdel-Samad deutlich leichter - er brauchte nur Stellen aus dem Koran zitieren, um die These, daß Islam und Gewalt zusammengehören, zu untermauern. Schließlich mußte auch Khorchide zugeben, wenn auch indirekt, daß es diese Verbindung gibt: „(Meine Kritik) gilt vielmehr vor allem denjenigen, die noch heute, im 21. Jahrhundert, auf eine pauschale Verherrlichung der islamischen Tradition bestehen und jede kritische Haltung gegenüber klassischen Positionen ablehnen. (...) Warum argumentieren sie dann, dass der IS nichts mit dem Islam zu tun habe, wo doch vieles von dem, was wir vom IS kennen, im klassischen Islam zu finden ist, und zwar nicht bei als radikal eingestuften Gelehrten, sondern bei großen und anerkannten Vertretern der Rechtsschulen?“ (S. 54)


    Wie sehr der Islam ein Problem mit Kritik und Gewalt hat, mag man auch daran erkennen, daß beide Autoren unter Polizeischutz stehen, weil sie wegen ihrer Ansichten bedroht werden. Im Islam leben offensichtlich sowohl Kritiker als auch seine Verteidiger, wenn sie nicht erzkonservativ sind, gefährlich. „Wenn es um Demokratien und Menschenrechte geht, stehen wir im Islam demgegenüber erst am Anfang eines Lernprozesses, das ist klar.“ (Khorchide, S. 102)


    Insgesamt war es interessant, beide Standpunkte zu lesen, wobei Hamed Abdel-Samad, nicht zuletzt angesichts der täglichen Nachrichten, eindeutig die besseren und überzeugenderen Argumente vorbringen konnte.



    Mein Fazit


    Ein Streitgespräch zweier islamischer Publizisten über den Islam, in der deutlich wird, wie sehr der Islam noch immer im 7. Jahrhundert verankert ist.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")