Alice Munro: Die Jupitermonde

  • Alice Munro: Die Jupitermonde
    FISCHER Taschenbuch 2016. 320 Seiten
    ISBN-13: 978-3596032624. 10,99€
    Alte Ausgaben bei Klett Cotta (1986) und Berliner Taschenbuch Verlag(2002)
    Originaltitel: The Moons of Jupiter
    Übersetzerin: Heidi Zerning


    Verlagstext
    Einmal mehr schafft Alice Munro das, was nur die wenigsten Autoren vermögen: Uns Figuren zu schenken, die so lebendig sind, dass wir für einen Moment ganz in ihr Leben tauchen. Da ist Janet, die ihren alten Vater ins Krankenhaus bringen muss und unverhofft Trost in einem Planetarium findet. Ein junges Mädchen, das auf einer Truthahnfarm anheuert. Und eine Frau, die dem überheblichen Gerede ihres Mannes begegnet, indem sie ihm eine Schüssel Zitronenbaiser an den Kopf wirft. Sie alle blicken zurück und blicken nach vorn, stolz und manchmal zweifelnd – und wie Munro behutsam davon erzählt, ist einzigartig.Mit „Die Jupitermonde“ erscheint der letzte, noch fehlende Band in der Autorenedition Munro bei Fischer Taschenbuch - neu übersetzt von Heidi Zerning.


    Die Autorin
    Alice Munro, geboren 1931 in Wingham, Ontario, ist eine der bedeutendsten Autorinnen der Gegenwart. Sie erhielt 2013 die höchste Auszeichnung für Literatur, den Nobelpreis. Ihr umfangreiches erzählerisches Werk wurde bereits zuvor mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Giller Prize, dem Book Critics Circle Award und dem Man Booker International Prize. Alice Munro lebt in Ontario, Kanada.


    Inhalt
    Im neu übersetzten Band (eine andere Übersetzung ist 1986 bereits als Klett Cotta Ausgabe erschienen) zeigt Alice Munro pointiert das Frauenbild um 1980, der Entstehungszeit dieser Texte. Im Frauenbild scheint sich seit der Vorkriegszeit wenig verändert zu haben. Frauen erlebten sich damals noch als Besitz ihrer Ehemänner, die sie erst formten und erzogen und sich ihrer Geschöpfe wieder entledigten, wenn diese Erziehung nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfiel. Das Motiv des Entledigens von einer alternden oder zu unabhängigen Frau durchzieht den gesamten Band. Der Zusammenhang zum Lebensentwurf der Autorin ist nicht zu übersehen, die selbst anderes im Leben erstrebte, als an Kaffeeeinladungen teilzunehmen.


    Der Zwang, sich ein für alle Mal zwischen Ehe und Berufstätigkeit plus Unabhängigkeit entscheiden zu müssen tritt hier zugleich mit dem Bild der unverheirateten Frau als „alte Jungfer“ auf. In „Die Chaddeleys und die Flemings“ bilden unverheiratete Schwestern und Kusinen in beiden Familienzweigen eine starke Hausmacht. Für die Erzählerin sind die Kusinen der Mutter das Fenster zu einer fernen Welt, in der die Tanten auf bewundernswerte Weise zurechtkommen. Die Mutter als einzige verheiratete Frau einer ganzen Generation könnte von der Mehrheit der Tanten durchaus zu bemitleiden sein. Ihre Ehe samt Pflicht zum Gehorsam und zur Arbeitsleistung für den Ehemann kann als Abstieg angesehen werden. In dieser Familie treffen Welten aufeinander, zwischen denen es nur wenig gemeinsame Gesprächsthemen gibt, unterlegt von dezent verborgenem Neid aufeinander. Auch in „Bardon Bus“ geht es um das Thema der alternden unverheirateten Frau.


    In „Dulse“ sinniert die ungefähr 45-jährige Lektorin Lydia über ihre abnehmende Attraktivität für andere, verbunden mit Existenzängsten ihres Berufsstands. Ihr Partner fordert Anpassung, zu der sie nicht bereit zu sein scheint. Die Schuld für ihr Beziehungsproblem sucht Lydia in ihrem beruflichen Ehrgeiz. Wäre sie glücklicher, wenn sie nicht studiert und die elterliche Farm nie verlassen hätte? „Die Putensaison“ und „Unfall“ spielen in den 40ern, als bereits viele kanadische Männer im Zweiten Weltkrieg kämpften.


    Zwei betagte Freundinnen treten in „Mrs Cross und Mrs Kidd“ auf, die sich kennen, seit sie Kleiderschürzen und dicke Zöpfe trugen. Obwohl gesundheitlich angeschlagen, haben beide noch etwas in petto und zumindest eine geht dabei nicht unbedingt zartfühlend vor. Je oller, je doller.


    In der Einleitung (1985) äußert sich Alice Munro über das Erzählen als Teil ihrer selbst, der mit dem Abschluss einer Erzählung von ihr getrennt wird und sie damit befreit. Sie berichtet, dass sie in ihren Kurzgeschichten persönliche Erfahrungen und Beobachtungen mit biografischen Anteilen verknüpft.


    Fazit
    Alice Munros Produktivität überrascht mich immer wieder. Ihre feinsinnigen Beobachtungen des Alltags von Mädchen und Frauen drehen sich immer wieder um Liebe, Ehe und den profanen Lebensunterhalt. Auch nachdem ich die biografischen Bezüge zum Leben der Autorin entdeckt habe, werden mir Munros exakte Beschreibungen alltäglicher Ereignisse nie langweilig. Sie schreibt so überzeugend, weil sie die Menschen durchschaut, bevor ihre Figuren das selbst tun.


    10 von 10 Punkten