253 Seiten
Eichborn Verlag
ET: 13.05.2016
OT: Wolf in White Van
Klappentext
Sean Philips ist durch einen schweren Unfall entstellt. Er verlässt seine Wohnung nur selten, vertieft sich in Bücher und Fantasyfilme, und er entwickelt ein Rollenspiel. In „Trace Italian“ finden sich die Spieler in einem postapokalyptischen Amerika wieder, in dem sie um ihr Leben kämpfen müssen. Sean gibt die Handlung vor, jede Aktion der Spieler beantwortet er mit immer neuen Wendungen.
Als zwei Spieler die Anweisungen Seans nicht in Trace Italian, sondern in der realen Welt ausführen, hat dies Konsequenzen und Sean muss sich die Frage stellen, welche Verantwortung er dafür trägt.
Meine Eindrücke
Sean liebt als Jugendlicher düstere Fantasyfilme und in Gedanken gleitet er gerne in diese Welten. Als er nach einem Unfall schwerverletzt im Krankenhaus liegt, helfen ihm diese Welten vor den Schmerzen und der Realität zu fliehen. Dort ist er der Herr und entscheidet, wer lebt und wie derjenige lebt. Der Grundstein für sein späteres Rollenspiel „Trace Italian“ ist gelegt. Sean ist der Spielleiter und gegen eine Gebühr können Spieler daran teilnehmen. Es wird nicht im Internet oder am Computer gespielt, sondern die Anweisungen, Aufgaben und Züge werden per Brief geschickt. Das war für mich der interessanteste und faszinierendste Teil des Buches, wenn geschildert wird wie Sean die Züge der Spieler per Post erhält und dann in seinen umfangreichen und detaillierten Karten und Unterlagen nachschaut, wie es nun weitergeht.
Was genau passiert ist und was demnach zu Seans Entstellung im Gesicht geführt hat, wird nur in kleinen Häppchen nach und nach eingestreut. Endgültige Klarheit erhält man erst ganz am Ende.
Viel wichtiger ist es dem Autor ausführlich zu schildern, wie Seans Leben vor dem Unfall war und wie danach. Was ihm durch den Kopf geht, welche Musik er mag und warum usw. Und so bekommt man als Leser einen epischen und ausführlichen Einblick in die Gedankenwelt und den Alltag eines Teenagers und eines jungen Mannes der mit einer Entstellung leben muss. Anfangs springt der Autor von Szene zu Szene und innerhalb der Zeitebenen, was für mich sehr verwirrend war, weil viele Informationen noch fehlten, um die Zusammenhänge zu verstehen.
Traurig und deprimierend ist die Unfähigkeit von Jeans Eltern mit ihm über den Unfall zu reden, ja überhaupt generell mit ihm ein gutes Gespräch zu führen. Sie verstehen ihn nicht und suchen nach Erklärungen, mit denen sie leben können. Auch Sean kann nicht über seinen Schatten springen und sich in einem klärenden Gespräch öffnen. Er kommt mir vor wie die Zuflucht in Trace Italian, die von hohen Mauern umgeben ist und deren Innerstes nie ein Spieler erreicht. Genauso unerreichbar ist Sean für seine Mitmenschen und lebt lieber in seiner Fantasiewelt.
Doch wie soll er sich verhalten nachdem zwei Spieler ohne sein Wissen seine Anweisungen in der Realität ausführen, was dramatische Folgen hat? Genau wie Sean scheinen sie keinen Halt in der Wirklichkeit zu finden und vermischen irgendwann gedanklich Fantasie und Realität, denn Trace Italian ist so viel aufregender als ihr normales Leben. An die Folgen denkt dabei keiner.
Beim Lesen des Klappentextes bin ich von einer ähnlich spannenden Handlung wie in Erebos ausgegangen. Doch hier geht es nicht darum eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen, sondern in die Gedankenwelt eines jungen Mannes einzutauchen, um zu verstehen wie es zu dem Unfall kam und wie dieser Seans Leben und das seiner Eltern für immer verändert hat.
Mir ist bewusst, welche Ambitionen der Autor hat und es geht hier um ein interessantes Thema, das jede Menge Gesprächsstoff bietet. Durch die stellenweise verwirrende und dann wieder epische Erzählweise hat John Darnielle es leider nicht geschafft mich für die Geschichte zu begeistern.
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