OT: Vinternoveller 2014
Die drei Erzählungen dieses schmalen Bands sind durch den Titel derart schlicht zusammengefaßt, daß man unweigerlich neugierig wird zu erfahren, was es mit dieser Banalität auf sich hat.
Nichts Banales, das ist schon nach zwei Sätzen klar, egal, mit welcher Geschichte man beginnt. Zweimal stehen junge Frauen im Vordergrund, in der dritten ein Mann.
Alle drei stecken in einer schwierigen Situation, ausgelöst durch ihre Lebensbedingungen und die Entscheidungen, die sie deswegen getroffen haben. In der Regel ging es bisher schlecht aus für sie. Nach anfänglichem Glück, in der Familie, in einer Partnerschaft, kam die Schläge, die einer das Leben versetzt. Trennung, Scheidung, Tod, Verschlimmerung sensibler psychischer Zustände. Was alle drei gemeinsam haben, ist eine gewisse Zähigkeit, mit der sie weiterleben. Das geschieht aber eher der Spur nach, fast blind, um sich kreisend. Das hat sie bisher einfach nur von einer Patsche in die nächste gebracht hat. Davon erzählen sie rückblickend, während sie gerade wieder einmal auf eine Katastrophe zuzusteuern scheinen.
Rishøi bleibt nah bei den Figuren, man hört tatsächlich drei verschiedene Stimmen. Die momentanen Schwierigkeiten, mit denen die drei fertig werden müssen, sind ungewöhnlich. Alexas Mutter etwa hat kaum noch Geld in der Tasche, das Kind aber fordert sie energisch auf, einem Bettler etwas zu geben. Die sehr junge Frau weiß, daß die Fünfjährige recht hat, will ihr aber unbedingt verschwiegen, daß ihr Vater nicht mehr zahlt. Das ist nicht das einzige Problem, die Kleine hat, wieder einmal, die Hosen naß gemacht, die Temperaturen sind eisig. Almosen, neue Unterhosen, Busfahrkarte, eigentlich reicht das letzte Geld für nichts davon. Was tun? (Wir können nicht allen helfen)
Thomas, eben aus dem Gefängnis entlassen, erwartet seinen kleinen Sohn. Er würde ihm gern ein neues Kopfkissen kaufen, aber er hat Probleme, mit fremden Menschen umzugehen und scheitert brutal im Bettenhaus. Als er eine alte Freundin trifft, läßt er sich nur zu gern zu einem Bier einladen. Aber eigentlich will er endlich ein guter Vater sein. (Der wahre Thomas)
Rebekka, ca. siebzehn, bringt ihre viel jüngeren Geschwister in Lebensgefahr, weil sie sie unbedingt in ein Paradies retten will, und sich weigert, einzusehen, daß es das im Leben nicht gibt. (Geschwister)
Rishøi setzt der Kälte, die in den Geschichten sowohl jahreszeitlich bedingt als auch im Leben ihrer Figuren herrscht, einen Augenblick menschlicher Wärme entgegen. Der Moment kann alles ändern, wenn die Angesprochenen bereit sind, sich darauf einzulassen. Das ist nicht im Mindesten sentimental. Es ist auch nicht weltverändernd. Es wirkt nur für den Augenblick, läßt die Geplagten aber noch einmal aufatmen. Für die, die den Hoffnungsmoment schaffen, ist die Anstrengung ebenso groß wie die, die es die EmpfängerInnen kostet, die Gabe anzunehmen.
Geben mag seliger sein denn nehmen, aber es ist im Alltag auch mit Schüchternheit und eigenen Ängsten verbunden. Gut sein, menschlich handeln nicht zu überhöhen, kein HeldInnentum daraus zu machen, ist einer der ungewöhnlichen Gedanken, die die Autorin hier ausarbeitet.
Geschrieben und erzählt wird schlicht, auch wenn manche Sätze lang sind oder sogar verhakelt, vor allem bei Rebekka, weil das Mädchen eben überkompliziert denkt. Man folgt der inneren Logik der Figuren sofort, bleibt aber etwas distanziert, weil die Autorin das drohende Unheil immer wieder durchblitzen läßt. Es geht um grundsätzlich moralische Fragen, die im Alltag dauernd auftauchen, die man jedoch gern übersieht. Zutrauen und Mut, kleine Schritte, eine grundsätzliche Freundlichkeit und das Bemühen, nicht nur die schlechten Erfahrungen zum Maßstab aller Dinge werden zu lassen, sind der Kern, um die Rishøi ihre Geschichten kreisen läßt. Vorhersehbar ist nichts, im Gegenteil, man folgt falschen Fährten im Schnee. Die Erleuchtung trifft die Leserin ebenso unvermittelt wie die Figuren.
Das Buch war meine Wahl beim diesjährigen Indie-Book-Day. Es ist auf den ersten Blick so unauffällig gestaltet wie sein Titel, was sich rasch als pure Raffinesse herausstellt. In graues Leinen gebunden, ziert angedeuteter Schneefall Vorder – und Rückseite, im Schnee eine frischgezogene Spur. Von Menschen, für Menschen.
Eine Kurzbiographie der Autorin (mit Bild) und ein Lesebändchen (lila!) gibt es auch. Übersetzt aus dem Norwegischen hat es Daniela Syczek.
Eine echte Entdeckung aus einem hochinteressanten kleinen Verlag.