Klappentext
Bis zum Tag der Katastrophe gab es zwei Goldman-Familien. Die Baltimore-Goldmans und die Montclair-Goldmans. Die »Montclairs« sind eine typische Mittelstandsfamilie, kleines Haus im unschicken New Jersey, staatliche Schule für Marcus, den einzigen Sohn. Ganz anders die Goldmans aus Baltimore: Man ist wohlhabend und erfolgreich, der Sohn Hillel hochbegabt, der Adoptivsohn Woody ein Sportass erster Güte. Als Kind ist Marcus hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für diese »besseren« Verwandten und Eifersucht auf ihr perfektes Leben. Doch Hillel und Woody sind seine besten Freunde, zu dritt sind sie unschlagbar, zu dritt schwärmen sie für das Nachbarsmädchen Alexandra - bis ihre heile Welt eines Tages für immer zerbricht. Acht Jahre danach beschließt Marcus, inzwischen längst berühmter Schriftsteller, dass es Zeit ist, die Geschichte der Baltimores aufzuschreiben. Aber das Leben ist komplizierter als geahnt, und die »Wahrheit« über ihre Familie scheint viele Gesichter zu haben.
Der Autor
Joël Dicker wurde 1985 in Genf geboren. Der studierte Jurist hat bislang drei Romane veröffentlicht, »Les Derniers Jours de nos Pères«, »La Vérité sur l'Affaire Harry Quebert« (dt.: »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert«) und »Le Livre des Baltimore« (dt.: »Die Geschichte der Baltimores«). Für »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert« bekam Dicker den Grand Prix du Roman der Académie Française zugesprochen sowie den Prix Goncourt des Lycéens. Das bei einem winzigen Verlag erschienene Buch wurde in Frankreich zu der literarischen Sensation des Jahres 2012, die Übersetzungsrechte wurden mittlerweile in über 30 Sprachen verkauft. Mit »Die Geschichte der Baltimores« konnte Joël Dicker an diesen überwältigenden Erfolg anknüpfen - der Roman steht seit seinem Erscheinen im Herbst 2015 ununterbrochen auf den obersten Plätzen der französischen Bestsellerliste.
(Text: Piper-Verlag)
Meine Meinung
"Die Geschichte der Baltimores" ist meine erste Begegnung mit Marcus Goldman, es ist allerdings sein zweiter Auftritt. Den Krimi "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" hatte ich gleich nach Erscheinen auf meine Leseliste gesetzt, bin aber bisher nicht dazu gekommen. Nachdem ich nun dem Schriftsteller Marcus Goldman und seinen Cousins, den legendären Goldman-Cousins, begegnet bin und hautnah miterleben durfte, wie der von Marcus so heftigst beneidete Familienzweig aus Baltimore unaufhaltsam seinem Untergang entgegen schritt, bleibt mir nach Beenden der Lektüre nur noch eines zu tun: "Die Wahrheit..." mit dem dicksten Edding, den ich besitzte, von meiner Leseliste zu streichen.
Zurück bleiben Enttäuschung und ... ein leises Unbehagen. Bin ich zu blöd für dieses Buch? Habe ich etwas Wesentliches verpasst?
Die Geschichte über den erfolgreichen Zweig der Goldman-Familie, den der aus vergleichsweise einfachen Verhältnissen stammende Marcus stets glühend verehrt hat, ist sowas von banal. Aber das sind die meisten Geschichten, wenn man sie auf ihren Kern runter bricht. Bedauerlich nur, dass Dicker sie auch höchst banal erzählt.
Natürlich ist die ganze Konstruktion mit den verschachtelten Zeitebenen, auf denen der Autor die Familiengeschichte ausbreitet, höchst kompliziert - da ist einmal die Jugendzeit (überwiegend die 90er Jahre), dann die Gegenwart (2012), in der das Buch geschrieben wird, und dann noch 2004, das Jahr der ominösen Katastrophe, die den Untergang der Familie besiegelte, und dann noch das Jahr 2011, in dem der Onkel starb. Jeder Abschnitt spielt in einer anderen Zeit, man findet sich allerdings gut zurecht, weil dankenswerterweise obendrüber immer der entsprechende Handlungszeitraum steht. Gründe für diese Erzählweise gibt's eigentlich keine, sieht man mal davon ab, dass es die Spannung pimpt, weil es einem reichlich Gelegenheit für düstere "Vorausahnungen" bietet. Alles in allem wirkt es ein bißchen selbstverliebt, dieses Buch-im-Buch-und-noch-eine-Zeitebene-mehr-Getue. Die Figuren sind allesamt nicht wirklich sympathisch, dafür sind sie einfach zu unecht. Die Schilderung der Goldmans aus Baltimore ist so übertrieben schwärmerisch, dass es beim Lesen schmerzt. Wenn das als Satire gedacht ist, dann ist das bei mir leider nicht angekommen. Und genau das ist auch mein Problem an dem Ganzen! Der Roman liest sich wie eine Familiengeschichte aus einer amerikanischen Soap-Opera: ganz große Gefühle - wo vorher Bewunderung war, ist plötzlich Haß, aber alle diese Gefühle sind nur behauptet und den Figuren nicht wirklich zu entnehmen. Ich habe selten so komplex angelegte Figuren so platt umgesetzt gelesen. Natürlich kann so etwas funktionieren, satirisch zu überspitzten ist ein gängiges Stilmittel. Nur leider hatte ich beim Lesen stets das Gefühl, Joel Dicker meine seine Geschichte bierernst.
Fazit: Wenn ich das nächste Mal über amerikanische Familien lesen möchte, greife ich dann doch wieder lieber zu Jonathan Franzen oder John Irving. 6 von 10 Eulenpunkten.
Edit: Schreibfehler beseitigt.