Titel: An der Biegungs des großen Flusses
Autor: V. S. Naipaul
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: A Bend in the River
Inhalt:
Salim ist der junge Sohn einer muslimisch-indischen Haendlerfamilie, die seit mehreren Generationen an der Ostküste Afrikas angesiedelt ist, und es mittlerweile mit Geschaeften und Haussklaven (aus Zentralafrika, die seit Generationen fest zur Familie gehören und im Wesentlichen nicht viel anders als Familienangehörige behandelt weden) zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hat. Salim waechst zwar wohl behütet auf, muss aber als junger Mann erkennen, dass der Wohlstand seiner Familie nicht lange anhalten wird, dass die Ostküste wegen politischen Unruhen als Folge der Unabhaengigkeit afrikanischer Staaten destabilisiert werden wird. Er befolgt den Rat eines alten Familienfreundes, Nazruddin, der ihm einen Laden in einem zentralafrikanischen Land verkauft. Das Land wird durch den ganzen Roman hindurch nicht benannt, steht aber offensichtlich stellvertretend für viele afrikanische Staaten in der Zeit nach der Unabhaengigkeit. Der Laden befindet sich in einer kleinen Provinzstadt, die durch Unruhen vor kurzer Zeit zerstört wurde und bei der Ankunft von Salim mehr oder weniger in Trümmern liegt. Salim übernimmt den Laden und beobachtet den wirtschaftlichen Schwung in der Region, waehrend die Ostküste ganz nach seiner Vorahnung zerstört wird, seine Familie dort alles verliert und sich in der ganzen Welt herumverteilt. Die Familie schickt Salim einen jungen, freiheitsliebenden Haussklaven, Ali, den Salim bei sich aufnehmen und auf den er aufpassen muss. Salim denkt am Anfang über seinen Aufenthalt in dieser Stadt eher als eine vorübergehende Zeit und weiß im Inneren, dass diese Region genauso instabil ist. Waehrend er sich dort etabiliert, muss er aber zusehen, dass er in dem Kontinent Afrika immer als ein Außenseiter bleiben wird, nie dazu gehören kann, kein Zuhause und keinen Zufluchtsort mehr hat und im Leben nichts bestaendiges aufbauen kann. Seine traditionellen Ideen von Heimat, Familie, Vergangenheit und Zukunft muss er radikal revidieren und wird bald zu einem Mann ohne Perspektive... Waehrend dessen spitzt sich die politische Lage in der kleinen Stadt sowie in dem ganzen Land weiter zu.
Meine Meinung:
Ich bin völlig überwaeltigt von diesem Roman. Die Sprache (auf Englisch) ist sehr schlicht und einfach, in seiner Einfachheit aber immens poetisch und bildhaft. Naipaul ist ein toller Erzaehler, man fliegt durch die Seiten und egal welches Thema er behandelt, wird man vollkommen gefesselt. Dabei hat er einen ruhigen Erzaehlstil, braucht keinen Spannungsbogen aufzubauen, seine Sprachkraft wirkt fast wie Magie.
Obwohl sich die Inhaltsangabe eher politisch anhören mag, ist das im Grunde kein typisch politischer Roman. Es werden zwar die Lage in Afrika nach der Abhaengigkeit und der jahrhundertelange Sklavenhandel und seine Folgen behandelt; dabei geht es aber nicht um politische Ideale sondern um die viel tiefer liegenden menschlichen Ideale, die Korruptheit und Gier der Menschen und sein ewiges Verlangen nach Schutz und Sicherheit. Die Frage der Zugehörigkeit und Heimat in einer sich rasant entwickelnden Welt wird sehr berührend anhand des Protagonisten behandelt. Diese Frage ist heute nach wie vor brand aktuell, handele es sich um frisch angekommene Migranten oder solche der vierten Generation.
Ich konnte mich mit dem Protagonisten sehr gut identifizieren und mit ihm mitfühlen. Besonders gegen Ende des Romans kann man die beklemmend aengstliche Atmosphaere hautnah miterleben. Die restlichen Charaktere sind etwas im Hintergrund, sind aber so gut beschrieben, dass man das Gefühl hat, mit diesen Menschen in dieser Stadt gelebt zu haben.
Ich finde, das ist ein rundum gelungener, toller Roman, der mich auf mehreren Ebenen begeistern konnte und sehr lesenswert ist. Von mir 10/10.