Ulysses - James Joyce

  • Ich habe nur ein kurzen Blick in das nächste Kapitel reingeworfen. Oje! Das wird anstrengend werden.


    Erst drei ganz unverständliche Wörter: "Deshil Holles Eamus"
    Ist das irisch? Andererseits hätte ich "eamus" spontan als lateinisch eingeordnet, "lasst uns gehen".


    Dann folgt ein Gebet an einen sogenannten Horhorn um Leben und Leibesfrucht.


    Was dann kommt, erinnert mich an meinen Lateinunterricht, endlose, verschachtelte Sätze.
    Noch dazu ohne Kommas und ohne Großschreibung.
    Rumpelstilzchen, hier ist ein Hörbuch sicher auch leichter verständlich.

  • Jetzt wird es mittelalterlich. Ich versteh nur schwer und längst nicht alles. Ich ertappe mich dabei, den Text laut zu sprechen. Vielleicht hilft das.


    Offensichtlich handelt es sich hier tatsächlich um einen Durchlauf durch die Sprachentwicklung, wie mir auch das Internet bereits verraten hat. Eine geniale Idee.


    Ich muss zugeben, dass ich mir nach ungefähr 100 Seiten eingebildet habe, ich hätte Joyce's Stil durchschaut. :schaem Weit gefehlt! Ihm fällt immer noch was Neues ein.

  • 14.
    Das ist ganz schön mühsam. Ca. 15 Seiten hab ich durchgeackert.


    Wie ich oben schon erwähnte, ahmt der Text die Entwicklung der Sprache von ich-weiß-nicht-wann-in-der-Vergangenheit bis zur Gegenwart nach, vermute ich mal.


    Die Sprache wird immer verständlicher. Ich bin dahintergekommen, dass "vorhtbårlich" "fürchterlich" heißt und "vruht" "Frucht", usw.
    Man kann den Wandel, den manche Wörter im Lauf der Sprachentwicklung durchmachen, beobachten: wip, wib, weip oder waz, was, war. Die Rechtschreibung mutet uns heutzutage sehr abenteuerlich an.


    Es ist aber nicht nur so, dass Joyce hier irgendeinen Text in alter Sprache verfasst, sondern er nimmt die bekannten Figuren und passt sie und die Ereignisse in die alte Zeit ein und verändert sie schrittweise mit der Entwicklung der Zeit und der Sprache. Irgendwie vergeht hier Zeit in der Zeit. Großartig!
    Im Verlauf einer einzigen Episode ist Bloom zuerst ein farensman, später ein Childe (Sohn eines Adligen) und später Sir Leopold. Messer werden nicht einfach hergestellt oder im Laden gekauft, sondern gemacht in "ein groz hoel von boezer geister hand". Ebenso sind auch böse Geister dafür verantwortlich, dass Hefe gärt.
    Das macht dann richtig Spaß.


    Schwierig ist es aktuell, da gerade religiöse Fragen in dieser alten Sprache diskutiert werden. Das versteh ich momentan nicht ganz.

  • made, weißt du eigentlich, ob es eine Art kommentierte Fassung gibt? Ich höre gerade die Hörspielfassung von "Tristram Shandy Gentleman" von Laurence Sterne. Der Vorzug dieser Fassung ist, dass eine Art "Ghostspeaker" auftaucht, der Eigenheiten, die sich der Hörerin nicht unmittelbar erklären, kommentiert und gegebenenfalls erklärt. Das finde ich bisher sehr hilfreich.


    Es muss ja auch eine Herausforderung gewesen sein, dieses Buch zu übersetzen, da es sicher nicht einfach gewesen ist, die entsprechenden Sprachentwicklungen in der deutschen Sprache angemessen darzustellen.
    Wirklich schade, dass ich gerade keine Muße habe, mich mit einem solchen Werk zu befassen. Sonst würde ich mit dir mitlesen.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    made, weißt du eigentlich, ob es eine Art kommentierte Fassung gibt? Ich höre gerade die Hörspielfassung von "Tristram Shandy Gentleman" von Laurence Sterne. Der Vorzug dieser Fassung ist, dass eine Art "Ghostspeaker" auftaucht, der Eigenheiten, die sich der Hörerin nicht unmittelbar erklären, kommentiert und gegebenenfalls erklärt. Das finde ich bisher sehr hilfreich.


    Aus der alten Leserunde entnehme ich, dass es wohl Ausgaben mit Erläuterungen gibt.
    Eine kommentierte Hörspielfassung - von so etwas habe ich noch nie gehört, sehr interessant.


    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Es muss ja auch eine Herausforderung gewesen sein, dieses Buch zu übersetzen, da es sicher nicht einfach gewesen ist, die entsprechenden Sprachentwicklungen in der deutschen Sprache angemessen darzustellen.


    Das Buch ist sicher eine Lebensaufgabe. In einer Nachbemerkung im Buch steht, dass für Übersetzung und Durchsicht fünf Jahre verwendet wurden und dennoch weiter daran gearbeitet werden sollte.
    Ich wusste auch nicht, dass es keinen einheitlichen Urtext der englischen Fassung gibt.


    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Wirklich schade, dass ich gerade keine Muße habe, mich mit einem solchen Werk zu befassen. Sonst würde ich mit dir mitlesen.


    Wirklich sehr schade. Andererseits hätten wir wahrscheinlich Jahre dafür gebraucht. ;-)

  • Die Sprache nähert sich dem mir vertrauten Deutsch, wenn es auch oft noch antiquiert und somit etwas hochgestochen und übervornehm klingt. Wenn es sich aber um alles andere als vornehme Gespräche handelt, sondern um herrlich ironisch formulierte Themen, z. B. die gaaanz uneigennützige und mitleidsvolle Gründung eines Befruchtungs-Gestüts zur Besserung der nationalen Fruchtbarkeit, wird mir besonders kicherig zumute.


    Den Bezug für folgende Geschichte konnte ich leider nicht finden: es wird erzählt vom Bauern Nicholas, der seinem Vetter Harry einen Bullen auf die Insel schickt. Daraufhin wird die Situation für manche so unerträglich, dass sie sich aufmachen, Amerika wiederzuentdecken.
    Ich bin mir sicher, dass das ein Gleichnis ist. Aber wer ist Harry (irgendein Henry?) und sein Vetter Nicholas und der Bulle (Religion)?


    So ganz nebenbei hat sich mir hier die Frage gestellt, wie man in historischen Romanen die Sprache auswählt. Natürlich will ich einen Mittelalterroman nicht in Mittelhochdeutsch lesen. Aber in Dialogen kann man die Personen doch nicht mit dem modernen "Hallo" grüßen lassen oder umgekehrt Frauen auf alte Weise als "Weib" bezeichnen. Die Sprache muss wohl irgendwo dazwischen liegen oder zumindest nicht zu modern.

  • Zwischen derben Sprüchen, einer Portion Antisemitismus taucht die Szene mal in eine schummrige Atmosphäre, wie bei einer Vision. Es geht um Seelenwanderung und wohl auch Tierkreiszeichen, wie ich das verstehe. Ich vermute, das zielt auf die Zeit, als Seancen in großer Mode waren. Wann war das? Irgendwann im 19. Jahrhundert?


    Und so ganz nebenbei erfährt man, wer das Pärchen im Unterholz war, das bereits vor 250 Seiten zweimal erwähnt worden war.


    Die in diesem Kapitel beschriebene Zusammenkunft von überwiegend Studenten macht Wandlungen durch, von einem Saufgelage von Kumpanen zu einer Konferenz von hochgelahrten Fachleuten mit Themen wie Kindersterblichkeit und wieder zurück zu den Saufbrüdern. Parallel dazu wechselt natürlich auch die Sprache, mal derbe Sprüche, mal vornehm, sachlich gehoben, bis sie zum Schluss bei einem Dialekt landet, für den der Übersetzer den berliner Dialekt gewählt hat.


    Das war ja mal ein irres Kapitel! Irgendwie schwebend, alles ständig im Wandel.


    Ich bin gespannt, was Joyce noch alles auf Lager hat.

  • 15.
    Jetzt präsentiert Joyce uns ein Theaterstück. Die Szenenbeschreibungen und Regieanweisungen sind im bekannten Joyce-Stil, kreativ und anschaulich, wie "apologetische Zehen einwärts gestellt", "ein Grinsen der Mißzufriedenheit zerrt an seinem Gesicht".
    Der Stimmung ist in höchstem Maß surreal, irgendwie wie Alice im Wunderland für Erwachsene. Personen und Ereignisse, die der Leser bereits kennt, tauchen auf und werden in neue Zusammenhänge gesetzt. Nebel wandern durchs Bild, Tote erscheinen, Menschen verwandeln ganz plötzlich ihre Kleidung, in zum Teil sehr skurrile Kostüme, benehmen sich eigenartig. Aus einem Hund wird ein menschlicher Geist.
    Auch Gegenstände bekommen ihren Text. Fahrradklingeln rufen "Haltaltaltaltalt", der Gong der Straßenbahn "Zack Päng Bäng Zruck Päd Bläd Bloo". Selbst Duftringel und Küsse kommen zu Wort.


    Aus einer Befragung durch zwei Polizeiwachtmeister wird eine Gerichtsverhandlung, bei der verschiedenste, z. T. dem Leser schon bekannte, Personen auftreten, die die Rolle von Richter, Zeugen, Anwalt, Geschworene und Henker annehmen. Die ursprüngliche Ordnungswidrigkeit wird zum Verbrechen mit Todesurteil, bis die Szene sich auflöst.
    Das hat mich ein bisschen an die Traumszenen aus dem genialen Film "Wer früher stirbt, ist länger tot" erinnert.


    Ein ganz angenehmer Nebeneffekt: Es liest sich locker, leicht und fließend.

  • Zwischendurch mal eine persönliche Feststellung:
    Gedankenströme selbst beobachten funktioniert nicht. In dem Moment, in dem man sie beobachtet, verändern sie sich. Das ist so ähnlich wie mit den Quanten.


    Ach ja, da liegt doch noch ein angelesenes Buch zu dem Thema neben meinem Bett. Und das Bett ist immer noch nicht gemacht. Was war das für ein Geräusch? Eine Autotür. Kommen jetzt die Männer in den weißen Anzügen?

  • Das 15. Kapitel ist das längste, 150 Seiten. Die vielen Verwandlungen, häufig wechselnde Personen und Szenen drängen den Leser vorwärts.
    Es ist nicht immer leicht auseinanderzuhalten, was Vision und was Realität ist. Bloom erfährt in einer halluzinativen Begegnung eine heftige Erniedrigung. Ich weiß nicht, ob das seine geheimen sexuellen Phantasien ausdrückt oder ob diese Behandlung eine Strafe für seine Sicht auf die Frauen ist.


    Ich weiß nicht, was Joyce genommen hat. Aber völlig ohne Drogenerfahrung kann man sich so etwas nicht ausdenken? Ausgeschlossen!
    Aber es ist wunderschön, wie nach all dem wirbligen Durcheinander die Szene so ruhig ausklingt. Und in der Ferne bellte sogar ein Hund. :lache

  • 16.
    Zur Abwechslung mal ein ruhiges Kapitel.
    Allerdings hat mich die Sprache etwas irritiert. Sie klingt gehoben, geschliffen, oder etwa veraltet (?). Joyce verwendet Fremdwörter und Redewendungen, die dem Lateinischen und Französischen entnommen sind. Sie sind kursiv gedruckt, als ob sie noch besonders betont werden sollen. Lange Schachtelsätze erfordern Konzentration.
    Dabei passt dieser Stil gar nicht zum Ort, einer Kutscherkneipe, und den Gesprächen, die dort stattfinden. Bloom beobachtet sein Umfeld genau, zeigt großes Interesse an Stephen, dennoch klingt alles etwas emotionslos, fast berichtsartig.


    Mich wundert, dass das damals schon hinterfragt wurde:
    "... ob es der Verkehr war, der die Straße schuf, oder umgekehrt, oder ob beides die Kehrseite derselben Sache war."

  • 17.
    Nach den ersten Seiten fühle ich mich in die Schule zurück versetzt, in eine Prüfung, in der das Verständnis eines vorgegebenen Textes abgefragt wird. Dabei werden auch für banalste Vorgänge Fremdwörter verwendet, die dem Ganzen einen akademischen Anstrich geben. Das ist nicht immer leicht zu lesen. Andererseits ist es auch mal interessant, die einzelnen Schritte z. B. beim Kaminanzünden bis ins kleinste Detail nachzuvollziehen. :grin
    "... kniete auf einem Knie nieder, errichtete auf dem Rost einen Scheiterhaufen aus überkreuz gelegten, harzbespritzten Hölzern, verschiedenfarbigen Papieren und unregelmäßigen Polygonen bester Abram-Kohle, die Tonne zu einundzwanzig Schilling ab Lager der Firma Flower und M'Donald, 14 D'Olier Street, setzte denselben an drei vorspringenden Papierenden mit einem einzigen entzündeten Streichholz in Brand, indem er das in dem Brennstoff enthaltene Energiepotential dadurch freisetzte, daß er seine Kohlen- und Wasserstoffelemente eine ungehinderte Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft eingehen ließ."


    Also wenn ich mal auf eine einsame Insel reisen sollte, müsste ich unbedingt "Ulysses" im Gepäck haben, wäre vielleicht hilfreich zum Überleben. Andererseits: wo bekomm ich dann verschiedenfarbiges Papier her? :lache

  • Liebe made, ich wollte mich bedanken, dass du uns so ausführlich an deiner Leseerfahrung und dem Buchgeschehen teilhaben lässt. Das Buch passt momentan nicht in mein Leben und muss sich daher etwas gedulden, aber ich lese gerne hier mit und finde deine Begeisterung auch irgendwie ansteckend. Wollte ich nur loswerden, damit du auch weißt, dass trotz wenig Kommentare der Thread nicht ungelesen bleibt. :-)

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


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