Beides sein
Ali Smith
Luchterhand
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-630-87495-1
Übersetzt von Silvia Morawetz
Originaltitel: How to be both
Die Autorin (Verlagsangabe)
Ali Smith wurde 1962 in Inverness in Schottland geboren und lebt in Cambridge. Sie hat mehrere Romane und Erzählbände veröffentlicht und zahlreiche Preise erhalten. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature und wurde 2015 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. „Beides Sein“ wurde 2014 ausgezeichnet mit dem Costa Novel Award, dem Saltire Society Literary Book of the Year Award, dem Goldsmiths Prize und kam auf die Shortlist des Man Booker Prize. 2015 gewann der Roman den Baileys Women’s Prize for Fiction und kam auf die Shortlist des Folio Prize.
Inhalt und meine Meinung
Lasst euch bloß nicht abschrecken von dem ungewöhnlichen Beginn. Einfach weiterlesen. Es lohnt sich. Lange ist verwirrend, was für eine Geschichte sich da entwickelt. Aber diese Unklarheit ist gewollt, sie durchzieht das ganze Buch wie ein roter Faden. Das ganz große Thema des Buches ist, was ist eigentlich Wirklichkeit? Nur das, was wir auch sehen können? Was ist mit Dingen, die in der Vergangenheit liegen? Dieses Thema wird aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet, nicht etwa trocken und theoretisch, sondern witzig, leicht und manchmal mit einem kleinen Augenzwinkern.
George, eigentlich Georgia, hat ihre Mutter verloren. Sie war eine ungewöhnliche Frau, diese Mutter. Klug, kämpferisch, eine Internetaktivistin mit einer ganz eigenen Sicht auf die Welt. Ganz plötzlich ist sie gestorben und ihr Mann und die beiden Kinder, George und ihr jüngerer Bruder Henry, bleiben verstört zurück, können in ihrer Trauer kaum zum Leben zurückfinden.
George will sich erinnern, sich Situationen ins Gedächtnis zurückholen, die sie mit ihrer Mutter gemeinsam erlebt hat. Vor allem ist da die Italienreise, die die Mutter kurzentschlossen mit den Kindern unternommen hat, nur weil sie die Fresken eines bestimmten Künstlers ansehen wollte. In Ferrara haben sie gemeinsam den Palazzo Schifanoia besucht, um Werke eines fast unbekannten Künstlers zu sehen. Fast nichts ist geblieben aus dem Leben des Francescho del Cossa, außer einigen seiner Bildern und einem Bittbrief an seinen Arbeitgeber, den Herzog Borsa d’Este, in dem er einen angemessenen Lohn für seine Arbeit fordert. Diese Fresken nutzt Georges Mutter, um ihre Tochter zum Nachdenken über die Realität, über die Gleichzeitigkeit von Vergangenem und Gegenwart anzuregen.
Nach ihrem Tod betrachtet George deshalb ein erhalten gebliebenes Bild del Cossas in der National Gallery und da taucht der längst verstorbene (wirklich verstorben? Erinnern kann er sich nicht an seinen Tod) Franchesco auf. Beobachtet das Mädchen in der verwirrenden Welt, die nicht seine eigene ist. Erzählt dabei von seinem eigenen Leben. Er muss für sich selber erklären, warum er sie wahrnehmen kann, sie ihn aber nicht. Und warum er gezwungen ist, ihr auf Schritt und Tritt zu folgen.
Eine wichtige Rolle spielt auch H, eine Klassenkameradin von George, die um ihre Freundschaft, um ihre Liebe ringt.
Mehr möchte ich zum Inhalt dieses Buches nicht verraten, zu vergnüglich ist es, den Figuren auf ihren unterschiedlichen Wegen zu folgen und ihren Geheimnissen auf die Spur zu kommen.
Ali Smith versteht es, besonders in den Passagen, die Franchesco erzählt, den Leser in die farben- und sinnenfrohe Welt der Renaissance zu versetzen und diese Welt durch die Augen des Malers zu sehen.
Ich habe es leider erst beim Lesen entdeckt: Wenn man das Buch von vorne nach hinten liest, beginnt man mit Franchescos Geschichte. Es ist aber genauso gut möglich auf Seite 170 zu beginnen und damit zuerst die Sicht Georgias kennenzulernen.
Mir hat dieses Buch richtig viel Spaß gemacht und empfehle es allen, die gerne eine ungewöhnliche Geschichte lesen möchten und es ertragen können, dass auch manches einfach ungewiss bleibt.
Diesem Buch gebe ich 8 Punkte