'Das Scheißleben meines Vaters ...' - Seiten 001 - 065

  • Guten Morgen :wave


    ich bin zwar noch nicht sehr weit gekommen. Im Grunde nur bis Kap.22 -wenn ich Zeit hätte, hätte ich noch weiter gelesen, denn man ist wieder in einen Sog hineingerutsch. Von Seite eins an.


    In kurzen prägnanten Sätzen schreibt er schonungslos seine ersten Jahre. Seine hoffnungslose Bitte an seine Mutter nach Liebe.


    Das erste Kapitel ist in kursiv geschrieben, eine kleine Einleitung um in die Geschichte rein zu kommen; würd ich mal so behaupten.


    Glaubt Ihr an Vohersehung? So wie Andreas Altmann mit seinem Alptraum? Oder wurde es von mir falsch gedeutet? :gruebel Er hatte keinen Alptraum sondern vllt. spätnachts einen Telefonanruf von daheim und dieser entpuppte sich als Alptraum?? -im Grunde nichts großes- aber über solche Sachen bleib ich dann immer hängen und grüble nach... :rolleyes


    Im Kapitel acht bin ich wieder über eine prägnante kleine Sache gestolpert. Ein Satz von dem Autor hat mich plötzlich an Hemmingway erinnert. (..., sie trug Stoffballen um ihre einsamen Hüften ...). Vor kurzen, ich weiss nicht mehr woher, stolperte ich über die Wette, die er angeblich in einer Bar mit ein paar Leuten abgeschlossen hatte. Die Wette, eine Geschichte unter 10 Wörtern zu erzählen - er brauchte sechs.


    Ab Kap. 13 tritt sein Vater in sein Leben, und der Tenor ändert sich. Verständlich. Gleich zu Anfang bringt er den Satz vom Schriftsteller George Simmons "Ich bin als Schriftsteller nicht hier um zu urteilen, sondern zu verstehen" ins Gespräch. Meiner Meinung hat der Autor das Buch geschrieben um beides zu tun.


    edit:
    - jetzt weiss ich warum er die Story mit der Untermiete hier geschrieben hat: Seine Untermietemieter hat den Schinken von Buch "Mein Kampf" verkauft; dass war der Auslöser war um dieses Buch zu schreiben. Lesen müsste man können - steht doch da :bonk

    Man muß noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können - frei nach Nietzsche
    Werd verrückt sooft du willst aber werd nicht ohnmächtig - frei nach Jane Austen - Mansfield Park

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von WaterPixie ()

  • Was für ein furioser Einstieg ins Buch. Zehn Seiten mit kurzen, prägnanten Kapiteln, jeder einzelne Satz so knapp, präzise und schmerzhaft wie eine Ohrfeige. :wow

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Booklooker
    Ganz schlimm ist das alles. Schreiben kann der Mann!


    Ja, es ist sehr schlimm, und ich finde auch, dass er die richtigen Worte wählt, um es zu beschreiben: Hart, wütend, ohne Umschweife. Altmann hat mich schon im ersten Abschnitt häufig schlucken lassen, aber ist das nicht angemessen?


    Ich stehe seiner Geschichte mitunter fassungslos gegenüber, nicht zuletzt, weil ich mehr und mehr das Gefühl habe, dass er das genaue Gegenteil meiner eigenen Kindheit schildert - eine Erkenntnis, die mich sehr berührt.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Steffi und ich haben kurz nach Erscheinen des Buchs eine Lesung mit Andreas Altmann besucht. Ich kannte ihn bis dato nur als (bewunderten) "Reiseschriftsteller" und war ziemlich überrascht von seinem Auftreten. Trotz der Hitze im Raum trug er einen langen Ledermantel, den ich sofort als Schutzpanzer aufgefasst habe, dazu hielt er anfangs ständig die Arme vor der Brust verschränkt, eine weitere Geste des Schutzsuchens.


    Die immense Betroffenheit, nach all den Jahren, war ihm immer noch anzumerken, ebenso seine Wut und sein nicht vergebender Hass. Es imponierte mir, und das geschieht beim Lesen des Buchs gerade wieder, dass er so klar Stellung bezieht, nicht versucht, mit Distanz zu analysieren, sondern so persönlich, wie es nur geht, zu berichten, ohne Rücksicht auf sich oder andere seine Sicht des furchtbaren Lebens in seinem Elternhaus liefert.


    Wie geht ihr damit um? :gruebel

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von WaterPixie
    Ab Kap. 13 tritt sein Vater in sein Leben, und der Tenor ändert sich. Verständlich. Gleich zu Anfang bringt er den Satz vom Schriftsteller George Simmons "Ich bin als Schriftsteller nicht hier um zu urteilen, sondern zu verstehen" ins Gespräch. Meiner Meinung hat der Autor das Buch geschrieben um beides zu tun.


    Hmm. :gruebel Ich spekuliere mal, dass es ihm vor allem um das Urteil ging, als ob er die Abrechnung in Buchform brauchte, um diese traumatischen Jahre endgültig (?) zu verarbeiten (Er erwähnt mehrfach, dass langjährige Therapien hinter ihm liegen). Um zu diesem Urteil zu kommen und ihm Bestand vor der eigenen Intelligenz zu verleihen, bedarf es sicher auch eines gewissen Verständnisses für den Charakter des Vaters - ein Verständnis, das erklärt, ohne das Urteil zu mildern (So wie man bis zu einem gewissen Grad erkennen kann, ich greife hier bewusst ins unterste Regal, was Heinrich Himmler angetrieben hat, ohne dass seine Untaten deshalb einen Deut weniger verabscheuenswert wären). Insofern lag ihm sicher an beidem.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Da ich schon weiter bin, musste ich eben nochmals nachschauen, was genau im ersten Abschnitt passiert ist. Es gäbe so viel herauszuheben, z.B. Andreas' von WaterPixie erwähnter Kampf um die Liebe der Mutter, die Selbstverstümmelung, die dramatischen Veränderungen nach der Geburt der Schwester, die schreckliche Lieblosigkeit im Haus ganz allgemein. Besonders beeindruckt hat mich der Abschluss des Abschnitts, der körperliche Angriff der Mutter auf Detta und ihr darauf folgender Rausschmiss. War es ein erstes / letztes Auflehnen oder der unterbewusste Versuch, den Ehemann zu dem zu bewegen, was sie selbst sich nie getraut hätte, nämlich die Trennung zu vollziehen?


    Für die Kinder muss es, bei aller fehlenden Unterstützung durch die Mutter zuvor, unfassbar brutal gewesen sein, ihrem Abgang zu lauschen - sie durften sich nicht einmal verabschieden. Mussten sie sich nicht im Wortsinn verlassen, im Stich gelassen fühlen? Ich muss da an meine eigene Mutter denken, die nach der Trennung meiner Eltern buchstäblich gemordet hätte, um mich nicht zu verlieren. In dem emotionalen Chaos dieser Tage bot es mir damals einen unglaublichen Halt, mich geschätzt und geliebt zu wissen.


    Überhaupt, Detta. Wie seht ihr ihre Rolle, was empfindet ihr dieser Frau gegenüber?

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von harimau
    Steffi und ich haben kurz nach Erscheinen des Buchs eine Lesung mit Andreas Altmann besucht. Ich kannte ihn bis dato nur als (bewunderten) "Reiseschriftsteller" und war ziemlich überrascht von seinem Auftreten. Trotz der Hitze im Raum trug er einen langen Ledermantel, den ich sofort als Schutzpanzer aufgefasst habe, dazu hielt er anfangs ständig die Arme vor der Brust verschränkt, eine weitere Geste des Schutzsuchens.
    ...


    Altmann muss aus dieser ganzen Scheiße eine solche Stärke entwickelt haben, dass sowohl dieses schonungslose Buch (und damit meine ich vor allem der Umgang mit seinen Erinnerungen) als auch die Kraft, öffentlich darüber zu sprechen, entstanden ist.
    Er schreibt so offen, dass ich das kaum Lesen kann und freue mich gleichzeitig darüber, dass er das schafft.
    Das Buch muss unendlich viel Kraft gekostet haben und jede Zeile muss eine Art Befreiiung gewesen sein.


    Zitat

    Original von harimau
    ...
    Die immense Betroffenheit, nach all den Jahren, war ihm immer noch anzumerken, ebenso seine Wut und sein nicht vergebender Hass. Es imponierte mir, und das geschieht beim Lesen des Buchs gerade wieder, dass er so klar Stellung bezieht, nicht versucht, mit Distanz zu analysieren, sondern so persönlich, wie es nur geht, zu berichten, ohne Rücksicht auf sich oder andere seine Sicht des furchtbaren Lebens in seinem Elternhaus liefert.


    Wie geht ihr damit um? :gruebel


    Lesen und versuchen, den aufkommenden Gefühlen stand zu halten.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich bin jetzt mit dem ersten Abschnitt durch.


    Andreas ist jetzt in die Schule gekommen und erzäht Horrorgeschichten über seine Lehrer und wie es in seinem Elternhaus weitergeht.


    Ein paar kursiv geschriebene Abschnitte werden wieder hier aufgeführt. Jetzt wird es deutlicher; beide Male werden Ereignisse "im Nachhinein" geschildert, und erläutert.


    Das letzte Kapitel in diesem Abschnitt - ein Unendlichkeitssatz, ich habe bis dato -und werde mal mit Fug und Recht behauptet, dass ich es in Zukunft in dieser Form nicht mehr lesen werde- noch niemals so einen Satz gelesen. :wow

    Man muß noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können - frei nach Nietzsche
    Werd verrückt sooft du willst aber werd nicht ohnmächtig - frei nach Jane Austen - Mansfield Park

  • Zitat

    Original von harimau
    ...
    Überhaupt, Detta. Wie seht ihr ihre Rolle, was empfindet ihr dieser Frau gegenüber?


    Unfassbares Staunen über ihr Handeln. Entweder muss sie sich vorher mit Vater Altmann verbündet haben, um so selbstverständlich die Rolle der Geliebten und der Frau an seiner Seite einzunehmen.
    Zugleich war ich auch erleichtert, dass die seelisch kaputte Mutter endlich en wenig aus der Schusslinie gerät- dachte ich.
    Die 20 Tage Urlaub vor ihrem Peiniger müssen sich wie der Himmel angefühlt haben. Wie seelisch verwundet sie war, zeigt dieser Schutzbunker, den sie sich gebaut hat.


    In diesem Zusammenhang möchte ich noch erwähnen, wie unfassbar traurig ich das fnde, dass dieser Mann so lange derart ungestört wüten konnte. Niemand hat ihm die Stirn geboten, niemand hat ihm Einhalt geboten. Sicherlich war häusliche Gewalt damals noch gesellschaflich geduldeter als heute, trotzdem. Wenn sogar alls Angestellten kündigen, wie können sie die Kinder in dieser Hölle einfach lassen?


    Detta muss ebenfalls eine sadistische Ader haben, sonst würde sie nicht in diese Familie eindringen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von harimau


    Hmm. :gruebel Ich spekuliere mal, dass es ihm vor allem um das Urteil ging, als ob er die Abrechnung in Buchform brauchte, um diese traumatischen Jahre endgültig (?) zu verarbeiten (Er erwähnt mehrfach, dass langjährige Therapien hinter ihm liegen). Um zu diesem Urteil zu kommen und ihm Bestand vor der eigenen Intelligenz zu verleihen, bedarf es sicher auch eines gewissen Verständnisses für den Charakter des Vaters - ein Verständnis, das erklärt, ohne das Urteil zu mildern (So wie man bis zu einem gewissen Grad erkennen kann, ich greife hier bewusst ins unterste Regal, was Heinrich Himmler angetrieben hat, ohne dass seine Untaten deshalb einen Deut weniger verabscheuenswert wären). Insofern lag ihm sicher an beidem.


    Genau.
    Das Buch war vllt. auch überfällig. Eine andere Form von Therapie. Das Verstehen gegenüber dem Vater wird niemals ganz gelingen. Wie auch. Sowas kann man nicht verstehen. Es ist ein Versuch, ein wichtiger Schritt für Ihn die Kanten seiner Vergangenheit etwas abzumildern. (Ich beschreib es mal so: Die Seele ist eine Kugel aus Glas. Durch äußere aber auch innere Einflüsse kann sie Ihre Farbe ändern, Risse und Sprünge erhalten. Wenn es jm. gut mit einem meint können die Risse wieder verschwinden. In vielen Fällen bleiben aber Spuren zurück. - Oder eine Mingvase, wenn sie fällt und am Boden zerschällt, ist sie kaputt. Man kann sie mit Tesafilm und Schnur grob flicken, so dass sie eingiermaßen wieder "in Form gebracht wird". So wie hier. Die Hülle ist wieder da, die Funktion, aber wie sieht es im Inneren aus? Die Wunden, die sichtbaren und die unsichtbaren sind noch vorhanden, und werden niemals verschwinden.

    Man muß noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können - frei nach Nietzsche
    Werd verrückt sooft du willst aber werd nicht ohnmächtig - frei nach Jane Austen - Mansfield Park

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Altmann muss aus dieser ganzen Scheiße eine solche Stärke entwickelt haben, dass sowohl dieses schonungslose Buch (und damit meine ich vor allem der Umgang mit seinen Erinnerungen) als auch die Kraft, öffentlich darüber zu sprechen, entstanden ist.
    Er schreibt so offen, dass ich das kaum Lesen kann und freue mich gleichzeitig darüber, dass er das schafft.
    Das Buch muss unendlich viel Kraft gekostet haben und jede Zeile muss eine Art Befreiiung gewesen sein.


    Das Buch liest sich wie ein Striptease seiner Seele.
    :gruebel


    Es lässt mich beklommen zurück.

    Man muß noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können - frei nach Nietzsche
    Werd verrückt sooft du willst aber werd nicht ohnmächtig - frei nach Jane Austen - Mansfield Park

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von WaterPixie ()

  • Zitat

    Original von harimau
    Steffi und ich haben kurz nach Erscheinen des Buchs eine Lesung mit Andreas Altmann besucht. Ich kannte ihn bis dato nur als (bewunderten) "Reiseschriftsteller" und war ziemlich überrascht von seinem Auftreten. Trotz der Hitze im Raum trug er einen langen Ledermantel, den ich sofort als Schutzpanzer aufgefasst habe, dazu hielt er anfangs ständig die Arme vor der Brust verschränkt, eine weitere Geste des Schutzsuchens.


    Die immense Betroffenheit, nach all den Jahren, war ihm immer noch anzumerken, ebenso seine Wut und sein nicht vergebender Hass. Es imponierte mir, und das geschieht beim Lesen des Buchs gerade wieder, dass er so klar Stellung bezieht, nicht versucht, mit Distanz zu analysieren, sondern so persönlich, wie es nur geht, zu berichten, ohne Rücksicht auf sich oder andere seine Sicht des furchtbaren Lebens in seinem Elternhaus liefert.


    Wie geht ihr damit um? :gruebel


    Der Ledermantel erinnert mich an die Kleidungsschichten der Mutter im elterlilchen Schlafzimmer.
    Ich kann verstehen, dass er diesen Schutzpanzer (ob bewusst oder unbewusst) aufbaut. Es muss schwer für ihn gewesen sein, das Buch zu schreiben und es dann der Öffentlichkeit zu präsentieren, war sicher nochmal eine emotionale Achterbahnfahrt.


    Ich glaube, dass man nur dann ein einigermaßen "normales" Leben führen kann, wenn man in der Lage ist, genauso die schrecklichen Erlebnisse in der eigenen Kindheit zu analysieren.
    Als Kind sind die eigenen Eltern unfehlbar und von ihnen geliebt zu werden, ist das worum es geht. Man versteht nicht, wieso sie das nicht tun, es nicht können, das eigene Kind psychisch und/oder körperlich misshandeln und sucht die Schuld als Kind immer bei sich selbst.


    Erst, wenn man sich bewusst ist, dass die Erwachsenen nicht nur fehlbar sind, sondern die Schuld an ihrem Verhalten tragen, ist man in der Lage sich selbst die Opferrolle zuzugestehen. Irgendwann kann man dann auch auf diese Weise zurückblicken. Allerdings ist dies ein langer, schwieriger, schmerzhafter Prozess, den viele nicht schaffen.


    Mir geht das Buch sehr nah.

  • Zitat

    Original von WaterPixie


    Genau.
    Das Buch war vllt. auch überfällig. Eine andere Form von Therapie. Das Verstehen gegenüber dem Vater wird niemals ganz gelingen. Wie auch. Sowas kann man nicht verstehen. Es ist ein Versuch, ein wichtiger Schritt für Ihn die Kanten seiner Vergangenheit etwas abzumildern. (Ich beschreib es mal so: Die Seele ist eine Kugel aus Glas. Durch äußere aber auch innere Einflüsse kann sie Ihre Farbe ändern, Risse und Sprünge erhalten. Wenn es jm. gut mit einem meint können die Risse wieder verschwinden. In vielen Fällen bleiben aber Spuren zurück. - Oder eine Mingvase, wenn sie fällt und am Boden zerschällt, ist sie kaputt. Man kann sie mit Tesafilm und Schnur grob flicken, so dass sie eingiermaßen wieder "in Form gebracht wird". So wie hier. Die Hülle ist wieder da, die Funktion, aber wie sieht es im Inneren aus? Die Wunden, die sichtbaren und die unsichtbaren sind noch vorhanden, und werden niemals verschwinden.


    Das Verständnis für den Vater ist ein Ventil, um sich selbst besser verstehen zu können und um die eigene Hilflosigkeit nicht als Versagen zu erkennen. Er hätte den Vater nicht ändern und auch der Mutter nicht helfen können. Er hätte auch die Mutter nicht ändern können. Er selbst trägt daran keine Schuld. Das, was die Eltern erlebt haben und zu was sie das Erlebte gemacht hat, dient dazu zu die Ursachen zu erkennen, aber eben nicht dazu zu vergeben (höchstens er sich selbst) und auch nicht zu verstehen. Nicht jeder PSTDler ist solch ein Sadist. Das Verhalten gegenüber ihren Kindern hätten nur sie selbst ändern können, ändern müssen. Andreas Altmann versucht selbst einfach nur mit all seinen seelischen Wunden und Narben zu leben.


  • Das sehe ich genauso. Detta selbst passt ja scheinbar wie die Faust aufs Auge zum Herrn Vater. Ob er sie nach dem Auszug der Mutter auch weiter so vermeintlich gut behandelt oder sie die Stelle der Mutter antritt? Aber sie hat ja dann "zum Glück" noch die Kinder der Anderen im Haus, an denen sie ihre Machtposition sicher auskosten wird. Der Gedanke an diese Frau verursacht mir Übelkeit.


    Ich bin jedenfalls gespannt, ob die Mutter nun versucht, etwas für ihre Kinder zu tun oder ob sie sie einfach dort im Stich lässt.

  • Zitat

    Original von harimau


    Ja, es ist sehr schlimm, und ich finde auch, dass er die richtigen Worte wählt, um es zu beschreiben: Hart, wütend, ohne Umschweife. Altmann hat mich schon im ersten Abschnitt häufig schlucken lassen, aber ist das nicht angemessen?


    Ich stehe seiner Geschichte mitunter fassungslos gegenüber, nicht zuletzt, weil ich mehr und mehr das Gefühl habe, dass er das genaue Gegenteil meiner eigenen Kindheit schildert - eine Erkenntnis, die mich sehr berührt.


    Ich kann dir in allen Punkten zustimmen.

  • Zitat

    Original von harimau
    Steffi und ich haben kurz nach Erscheinen des Buchs eine Lesung mit Andreas Altmann besucht. Ich kannte ihn bis dato nur als (bewunderten) "Reiseschriftsteller" und war ziemlich überrascht von seinem Auftreten. Trotz der Hitze im Raum trug er einen langen Ledermantel, den ich sofort als Schutzpanzer aufgefasst habe, dazu hielt er anfangs ständig die Arme vor der Brust verschränkt, eine weitere Geste des Schutzsuchens.


    Die immense Betroffenheit, nach all den Jahren, war ihm immer noch anzumerken, ebenso seine Wut und sein nicht vergebender Hass. Es imponierte mir, und das geschieht beim Lesen des Buchs gerade wieder, dass er so klar Stellung bezieht, nicht versucht, mit Distanz zu analysieren, sondern so persönlich, wie es nur geht, zu berichten, ohne Rücksicht auf sich oder andere seine Sicht des furchtbaren Lebens in seinem Elternhaus liefert.


    Wie geht ihr damit um? :gruebel


    Ich bin froh ihn nicht nicht "live" erlebt zu haben. Es wäre mir sehr an die Nieren gegangen und ich hätte mich wahrscheinlich gar nicht richtig auf die Lesung konzentrieren können. Nun weiß ich zumindest, dass ich das niemals machen werde - eine Lesung von ihm besuchen.


    Ich kann seinen Hass total verstehen. Wie gesagt bin ich ja schon fast am Ende und selbst ich hoffe auf jeder Seite, dass dieser schreckliche Mensch endlich abkratzt. Niemand hat es verdient so behandelt zu werden und vor allem solche Narben auf der Seele zu behalten. Ich frage mich, wie ein Mensch nach all dem weiterleben kann.


    Bisher habe ich noch nie erwähnt, dass ich Altmanns Sprache sehr gern mag. Zumindest in dem Kurzgeschichtenband, den er mal geschrieben hat. Hier ist es ja alles ein wenig anders, obwohl er treffend zu den Begebenheiten schreibt.

  • Zitat

    Original von harimau
    Steffi und ich haben kurz nach Erscheinen des Buchs eine Lesung mit Andreas Altmann besucht. Ich kannte ihn bis dato nur als (bewunderten) "Reiseschriftsteller" und war ziemlich überrascht von seinem Auftreten. Trotz der Hitze im Raum trug er einen langen Ledermantel, den ich sofort als Schutzpanzer aufgefasst habe, dazu hielt er anfangs ständig die Arme vor der Brust verschränkt, eine weitere Geste des Schutzsuchens.


    Ich durfte schon zweimal live im "Nachtcafè" mit dabei sein als auch Andreas Altmann als Gast auf dem Sofa saß.


    Einmal beim Thema "Lebe wild und gefährlich": http://www.swr.de/nachtcafe/ru…2249778/2bh8ii/index.html


    Und einmal 2012 zum Thema "Alles für die Familie?" ( da finde ich kein Video mehr ).
    Hier hat er das Buch der LR vorgestellt.


    Ich habe ihn beide Male als sehr interessante Persönlichkeit erleben dürfen, seine Aussagen zu den Themen waren immer so, dass man ihm aufmerksam zugehört hat und über so manches staunte.
    Ganz gewiss gehört er zu den Menschen, die alles andere als langweilig sind.