Hier kann zu den Seiten 66 – 127 (Kapitel 57 – 111) geschrieben werden.
'Das Scheißleben meines Vaters ...' - Seiten 066 - 127
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Zum Psychoterror, zur emotionalen Vernachlässigung gesellt sich körperliche Gewalt, zum Vater mit dem Einquartierten Friedl ein zweiter Schinder. Ich muss gestehen, dass ich mit dem jungen Andreas leide. Ganz schlimm, obwohl psychologisch nachvollziehbar, empfinde ich, dass der Junge trotz allem immer noch (natürlich vergeblich) auf die Liebe und Anerkennung des Tyrannen hofft. Ich winde mich geradezu bei der Vorstellung, aber wie könnte es anders sein?
Andreas schlägt im Rahmen seiner limitierten Möglichkeiten zurück, er stiehlt die Briefmarken und gewinnt ein Mindestmaß an Stolz aus der Tatsache, dass er seinen Kumpel Wiggerl unter schweren Misshandlungen nicht verrät. Die Konsequenzen sind wieder einmal brutal, Schläge und "Arbeitsdienst", der keinem Kind (auch rechtlich nicht, wie der Autor in einer Fußnote betont) zugemutet werden sollte. Ich nehme eine totale Solidarisierung mit dem Jungen in mir wahr, ich freue mich über den Diebstahl und seinen Trotz, wobei ich als Leser natürlich nicht unter den Folgen zu leiden habe. Einerseits ist es sicherlich die Sympathie für den Schwächeren, wie man sie selbst von banalen Dingen wie dem Fussball kennt, vor allem aber meine Empörung über die ekelhafte Diktatur des Stärkeren, der in diesem familiären Zusammenhang niemand Einhalt gebietet.
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Zum Ende des Abschnitts bekommt das Buch immer stärker eine anti-religiöse, -christliche, -katholische Komponente. Ich muss gestehen, dass ich Andreas unter den gegebenen Umständen diesbezüglich absolut verstehen kann. Allerdings muss ich zugeben, dass ich als evangelisch-lutherisch erzogener Mensch mit Devotionalien und dem Marienkult überhaupt herzlich wenig anfangen kann und manchen Aspekten des christlichen Glaubens ohnehin skeptisch gegenüber stehe. Für mich persönlich geht das, und ich möchte hier ganz bestimmt niemand verletzen, tatsächlich in Richtung Götzenkult, wie Altmann es an einer Stelle nennt. Das ist ausschließlich mein Empfinden, ich will hier niemand belehren!!!!
Was mich sehr interessieren würde: Könnt ihr Andreas' Empfinden, falls ihr religiös eingestellt seid, bis zu einem gewissen Maß nachempfinden, oder beleidigt er damit eure Gefühle? Falls euch diese Frage naiv erscheint: sie ist es.
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In diesem Abschnitt wird das Heranwachsen des Jungen geschildert. Die Anfänge seiner Sexulität und das Hinterfragen der Kirche.
ZitatOriginal von harimau
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Was mich sehr interessieren würde: Könnt ihr Andreas' Empfinden, falls ihr religiös eingestellt seid, bis zu einem gewissen Maß nachempfinden, oder beleidigt er damit eure Gefühle? Falls euch diese Frage naiv erscheint: sie ist es.Ich finde, das ist überhaupt keine naive Frage. Ich bin römisch-katholisch getauft und meine Gefühle sind definitiv nicht verletzt. So religiös bin ich -zum Glück- nicht. Die Empfindungen von Andreas bezüglich seiner Einstellung gegenüber der Kirche kann ich -glaube ich- in gewisser Weise nachvollziehen.
ZitatOriginal von harimau
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Ganz schlimm, obwohl psychologisch nachvollziehbar, empfinde ich, dass der Junge trotz allem immer noch (natürlich vergeblich) auf die Liebe und Anerkennung des Tyrannen hofft. Ich winde mich geradezu bei der Vorstellung, aber wie könnte es anders sein?...
Die hoffnungslose Anerkennung nach Liebe eines Kindes zu seinen Eltern, gerade wenn die in einem gewalttätigen Haushalt aufwachsen, lese ich immer wieder. Und ja ich denke das ist psychologisch nachvollziehbar. Ist es nicht die Pflicht der Eltern die eigenen Kinder zu lieben ohne jegliche Bedenken?
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Ich wollte euch nur kurz Bescheid geben, dass ich das Buch nicht mehr weiterlesen werde. Ich möchte einfach die Dinge nicht lesen, die Andreas Altmann durch seinen sadistischen Vater und andere "Erwachsene" erleiden muss. Das hat nichts mir seinem Schreibstil oder seiner Sicht auf die Dinge zu tun. Beides gefällt mir sehr. Mir geht das zu nah. Großartig finde ich übrigens das Nachwort. Hier sagt er für mich alles.
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Wie der Junge die Situation empfindet, drückt sich auch im Sprachgebrauch immer wieder aus:
Das Altmannhaus galt als Kriegsgebiet (S.68)
Ich war Kindersoldat (S.73)
Kriegsgefangener (S.85)
Hier herrscht ein ganz spezieller Bürgerkrieg. Und im Krieg versaute die Moral, versauten die Gedanken (S.95)
Das ist schwer erträglich! Dennoch empfinde ich das Buch bisher als wichtig!
Ich kann aber auch gut verstehen, wenn jemand nicht mehr weiterlesen möchte. -
Danke für deine Antwort, WaterPixie.
@ Saiya: Ich hatte nach den ersten zwanzig Seiten das unbestimmte Gefühl, dass möglicherweise nicht alle Teilnehmer bis zum Ende lesen würden. Du hast mein vollstes Verständnis, wenn du dir das Buch nicht länger antun willst. Es ist definitiv harter Tobak.
ZitatOriginal von Herr Palomar
Wie der Junge die Situation empfindet, drückt sich auch im Sprachgebrauch immer wieder aus:Das Altmannhaus galt als Kriegsgebiet (S.68)
Ich war Kindersoldat (S.73)
Kriegsgefangener (S.85)
Hier herrscht ein ganz spezieller Bürgerkrieg. Und im Krieg versaute die Moral, versauten die Gedanken (S.95)
Du hast Recht, es wird immer wieder Bezug auf den Krieg genommen, sprachlich wie inhaltlich. Altmann vermutet den Krieg als Urheber für die Vertierung seines Vaters und unterstellt, dass der emotional nie wirklich aus dem Krieg zurückgekehrt sei. Statt der "Russen-, Polacken- und Judenschweine" bekämpft er nun seine Söhne mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln als Feinde.
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Ich frage mich immer wieder wie es seiner Schwester in dem Haushalt ging.
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Kapitel 108 zeigt, mit welcher Dramatik Andreas Altmann eine Passage in Szene setzen kann.
Zum ersten Mal wehrt sich jemand gegen den Tyrannen, Manfred.
Und muss schwer dafür büßen.
Aber auch Andreas hat sich eingesetzt, um Manfred zu helfen und sprang dem Vater auf den Rücken.
Froh war ich, dass Manfred es nicht schaffte, dem Vater die schwere Fahrradpumpe auf den Kopf zu schlagen. Er konnte es einfach nicht.
Zum Glück, denn das hätte sein Leben nur noch mehr vergiftet.In den folgenden Seiten widmet sich Altmann der Stadt Altötting, "diese Oase bigotter Inzucht".
Tatsächlich ist auf der Wikipedia-Seite Andras Altmann in der Liste von Persönlichkeiten der Stadt Altötting (Söhne und Töchter der Stadt) gelistet.
Im folgenden Artikel aus der Süddeutschen steht:"Wegen seines Buchs über Altötting hat Andreas Altmann auch viele Drohbriefe bekommen. Aber die meisten Emails haben ihm zu seinem Mut gratuliert."
Kann man sich gut vorstellen.
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Zitat
Original von WaterPixie
Ich frage mich immer wieder wie es seiner Schwester in dem Haushalt ging.
Sie war als weibliche Person den körperlichen Bestrafungen anscheinend nicht ausgesetzt und verhielt sich offenbar unauffällig und passiv, aber sie muss sich nach dem Weggang der Mutter sehr einsam und allein gefühlt haben.
Mir tun alle Kinder der Familie sehr leid.In einem Artikel der Südwest-Presse ist zu lesen:
"Es geht ihnen gut, sie sind gesund", antwortet Altmann auf die Frage, wie es heute seiner Schwester und seinem Bruder gehe."
Darüber bin ich sehr froh.
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Zitat
Original von Herr Palomar
Sie war als weibliche Person den körperlichen Bestrafungen anscheinend nicht ausgesetzt und verhielt sich offenbar unauffällig und passiv, aber sie muss sich nach dem Weggang der Mutter sehr einsam und allein gefühlt haben.
Mir tun alle Kinder der Familie sehr leid.In einem Artikel der Südwest-Presse ist zu lesen:
"Es geht ihnen gut, sie sind gesund", antwortet Altmann auf die Frage, wie es heute seiner Schwester und seinem Bruder gehe."
Darüber bin ich sehr froh.
Das ist wirklich schön zu hören Danke Palomar.
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Zitat
Original von harimau
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Was mich sehr interessieren würde: Könnt ihr Andreas' Empfinden, falls ihr religiös eingestellt seid, bis zu einem gewissen Maß nachempfinden, oder beleidigt er damit eure Gefühle? Falls euch diese Frage naiv erscheint: sie ist es.
Ich kann das absolut nachempfinden. Wie soll er denn eine positive Einstellung zum christlichen Glauben entwickeln? Auch, wenn ich ganz anders denke als Altmann, kann ich seine tiefe Abneigung shr gut verstehen und gestehe sie jedem Menschen zu, aus welchen Motiven auch immer. -
Zitat
Original von Herr Palomar
Kapitel 108 zeigt, mit welcher Dramatik Andreas Altmann eine Passage in Szene setzen kann.
Zum ersten Mal wehrt sich jemand gegen den Tyrannen, Manfred.
Und muss schwer dafür büßen.
Aber auch Andreas hat sich eingesetzt, um Manfred zu helfen und sprang dem Vater auf den Rücken.
Froh war ich, dass Manfred es nicht schaffte, dem Vater die schwere Fahrradpumpe auf den Kopf zu schlagen. Er konnte es einfach nicht.
Zum Glück, denn das hätte sein Leben nur noch mehr vergiftet.
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Ich weiß nicht, ob es ein Glück war oder ob dann endlich jemand Außenstehendes Das Martyrium der Kinder begriffen hätte und sie rausgeholt hätte. WÄre er für einen Totschlag bestraft worden? -
Zitat
Original von harimau
religiös eingestellt ...
oder beleidigt er damit eure Gefühle?
Die beiden Formulierungen zeigen sehr schön unsere Sozialisierung. "Eingestellt" könnte auch "programmiert" heißen. Und zu den religiösen Gefühlen hat sich doch auch schon Tom oft geäußert. Eigentlich können es höchstens religiöse Gedanken sein, wir haben das alles aber schon so verinnerlicht, dass die Wortverbindungen kaum noch hinterfragt wird.Ich selbst bin evangelisch, kann für mich mit der Thematik aber kaum was anfangen. Anders ist es mit einigen gesellschaftskritischen Äußerungen prominenter Kirchenvertreter. Da sind oft sehr gute und nachdenkenswerte Aussagen drunter. Und wenn jemand seinen Halt, seine Kraft oder seinen Trost in diesen Theorien und Geschichten findet, dann ist das natürlich schön.
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Zitat
Original von WaterPixie
Ich frage mich immer wieder wie es seiner Schwester in dem Haushalt ging.
Es machte mich stutzig, dass zwischen Peditas und dem Schlafzimmer des Vaters eine direkte Verbindungstür ist. Wahrscheinlich ist sie bislang für Übergriffe noch zu jung. Allerdings hat sich der Alte an der Auszubildenden wohl auch nicht vergangen, zuzutrauen ist ihm aber leider alles. -
Zitat
Original von Regenfisch
WÄre er für einen Totschlag bestraft worden?
Rein rechtlich könnte da je nach Richter und Verteidiger sogar ein Freispruch wegen Notwehr rauskommen. Anders sieht es aber mit dem belasteten Gewissen aus, wenn man den eigenen Vater erschlägt. Denn trotz artikuliertem Hass sehnt sich Andreas ja weiterhin nach Anerkennung und Liebe. -
Zitat
Original von xexos
Die beiden Formulierungen zeigen sehr schön unsere Sozialisierung. "Eingestellt" könnte auch "programmiert" heißen. Und zu den religiösen Gefühlen hat sich doch auch schon Tom oft geäußert. Eigentlich können es höchstens religiöse Gedanken sein, wir haben das alles aber schon so verinnerlicht, dass die Wortverbindungen kaum noch hinterfragt wird.Werden Toms (legitime) Äußerungen jetzt schon zu unumstößlichen Weisheiten erhoben? Ich erlaube mir, und daran hätte er sicher nichts auszusetzen, dennoch eine eigene Meinung.
Meinen Beobachtungen nach ist Religion, nicht nur die christliche, für viele Menschen sehr wohl stark emotionalisiert. Unabhängig von der Frage, ob es Gott nun gibt oder nicht, sind diese Gefühle sehr real, und auch wenn ich sie persönlich nicht teile, nehme ich sie ernst. Wenn Religion Menschen Hoffnung, Trost oder auch Furcht, wie Frau Altmanns Angst vor dem Höllenfeuer, vermittelt, handelt es sich eindeutig um Gefühle, nicht Gedanken. Der von mir verwendete Begriff "Einstellung" lässt sich wohl auf meine persönliche Distanz zurückführen.
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Zitat
Original von xexos
Es machte mich stutzig, dass zwischen Peditas und dem Schlafzimmer des Vaters eine direkte Verbindungstür ist. Wahrscheinlich ist sie bislang für Übergriffe noch zu jung. Allerdings hat sich der Alte an der Auszubildenden wohl auch nicht vergangen, zuzutrauen ist ihm aber leider alles.Du hast recht - die Vebindungstür. Aber ich habe nie herausgelesen, dass der Vater ein Vergewaltiger wäre. Selbst seine Frau hat er in Ruhe gelassen. Sie nur dann angerüht, wenn es mal wieder Zeit war ein Kind zu zeugen... - Der Vertrag hat alles andere unterbunden, und daran hat er sich gehalten.
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Zitat
Wenn Religion Menschen Hoffnung, Trost oder auch Furcht, wie Frau Altmanns Angst vor dem Höllenfeuer, vermittelt, handelt es sich eindeutig um Gefühle, nicht Gedanken. Der von mir verwendete Begriff "Einstellung" lässt sich wohl auf meine persönliche Distanz zurückführen.
Mir ging es eher darum, wie normal diese Formulierungen bei uns im Sprachgebrauch sind. Wir gebrauchen sie, ohne sie auf ihre ursächliche Bedeutung hin zu betrachten. "Einstellung" ist da nur ein Beispiel für. Altmann wird da deutlicher und nennt es gleich Gift. Aber nicht jedes Gift ist gleich tödlich. Für Altmann werden daraus dann Schafe, die den Geschichtenerzählern hinterhertrotten. Bei Aldous Huxley heißt es Soma. Man muss sich dieser Einschätzung ja nicht anschließen, darüber nachdenken könnte aber schon lohnenswert sein.Die vermeintlichen religiösen Gefühle sind meines Erachtens auch eher Folgen aus den Gedanken bzw. getriggerten Wertesystemen und weniger eine direkte Sinneserfahrung wie bspw. beim Tastsinn.Frau Altmanns Angst vor dem Höllenfeuer entspringt rein ihrer Gedankenwelt ähnlich wie Andreas Angst vor dem eigenen Körper, vor allem der Region "da unten".
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Zitat
Original von xexos
Mir ging es eher darum, wie normal diese Formulierungen bei uns im Sprachgebrauch sind. Wir gebrauchen sie, ohne sie auf ihre ursächliche Bedeutung hin zu betrachten. "Einstellung" ist da nur ein Beispiel für. Altmann wird da deutlicher und nennt es gleich Gift.Deutlicher als was oder wer? Für die einen ist es Hoffnung und Trost, für andere Gift oder Opium für das Volk. Einstellungssache eben.
ZitatDie vermeintlichen religiösen Gefühle sind meines Erachtens auch eher Folgen aus den Gedanken bzw. getriggerten Wertesystemen und weniger eine direkte Sinneserfahrung wie bspw. beim Tastsinn.Frau Altmanns Angst vor dem Höllenfeuer entspringt rein ihrer Gedankenwelt ähnlich wie Andreas Angst vor dem eigenen Körper, vor allem der Region "da unten".
Mag sein, dass wir aneinander vorbei reden. Gefühle im emotionalen Sinn sind natürlich keine Sinneseindrücke, sondern resultieren zumeist daraus. Wenn auf der Straße ein Auto auf mich zurast, nimmt mein Auge keine Angst wahr. Diese entsteht erst aus der Transferleistung, dass mein Hirn die Gefahr erkennt. Insofern entspringen alle Gefühle, wie auch Liebe, Hass etc. einer subjektiven Gedankenwelt, sind deshalb aber nicht weniger real. Wenn ich an das Höllenfeuer glaube, besteht für mich Grund zur Furcht.
Ist aber auch wurscht, weil diese Begriffsklärung für die Diskussion um das Buch nur bedingt nötig ist und wir uns deshalb nicht OT verrennen sollten.