'Das Scheißleben meines Vaters ...' - Seiten 128 - 190

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Wohin denn? Beim Onkel hätte ihn der Vater sofort wieder abgeholt.


    Ja, das ist zu befürchten. Aber er hat mit seinem Onkel ja nicht einmal gesprochen, zumindest lesen wir nichts davon. Vielleicht hätte der Onkel noch einen Weg gewusst.
    Und wohin? Hoffentlich nicht in ein Heim, das hätte genauso furchtbar werden können.



    Und wo liegt die Motivation des Vaters, Kinder haben zu wollen? Ist es reine gesellschaftliche Anerkennung? Oder "Kinder hat man halt"? Braucht er nur billige Arbeitskräfte? Das Ganze wirkt so bizarr (Kinderzeugung per Vertrag zusichern), dass man kaum glauben kann und will, dass es wirklich passiert ist.

  • Zitat

    Original von xexos
    Und wo liegt die Motivation des Vaters, Kinder haben zu wollen? Ist es reine gesellschaftliche Anerkennung? Oder "Kinder hat man halt"? Braucht er nur billige Arbeitskräfte? Das Ganze wirkt so bizarr (Kinderzeugung per Vertrag zusichern), dass man kaum glauben kann und will, dass es wirklich passiert ist.


    Das ist eine gute Frage. Obwohl die Theorie mit den billigen Arbeitskräften lächerlich absurd klingt, würde ich sie in diesem Fall nicht kategorisch ausschließen. Ich muss gestehen, dass es mir wanhsinnig schwerfällt, mich in die Gedankenwelt des Frank Xaver Altmann hineinzuversetzen. :help

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von harimau
    Mir ging es weniger um die juristische als vielmehr die moralische Implikation. Wie weit geht das Recht auf Widerstand?


    Ich bin ja auch kein Jurist, aber ich könnte mir als Kriterium sowas wie mittelbare und unmittelbare Gefahr für Leib und Leben vorstellen. Das im Geräteschuppen ist noch Notwehr, ein Giftanschlag dann aber natürlich nicht mehr. Auch moralisch wäre das schwierig. Aus Kinderaugen ist es vielleicht die einzige Möglichkeit der Gegenwehr. Objektiv bestehen aber weitere Möglichkeiten, auch wenn die wie eben oben geschrieben und gelesen wohl alle nicht sehr gut umsetzbar sind.

  • Zitat

    Original von xexos


    Ich bin ja auch kein Jurist, aber ich könnte mir als Kriterium sowas wie mittelbare und unmittelbare Gefahr für Leib und Leben vorstellen. Das im Geräteschuppen ist noch Notwehr, ein Giftanschlag dann aber natürlich nicht mehr. Auch moralisch wäre das schwierig. Aus Kinderaugen ist es vielleicht die einzige Möglichkeit der Gegenwehr. Objektiv bestehen aber weitere Möglichkeiten, auch wenn die wie eben oben geschrieben und gelesen wohl alle nicht sehr gut umsetzbar sind.


    Ich weiß darauf keine Antwort, bin hin- und hergerissen. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben, auch ein Franz Xaver Altmann. Die moralisch einwandfreie Art, den Alten loszuwerden, ist sicherlich einer der von dir angedachten Auswege, xexos.
    Trotzdem kann ich die Sehnsucht dieser geschundenen Kinderseele auf Rache und die Mordgedanken so gut verstehen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Andreas wurde von seinem Vater geschlagen, gedemütigt, um die Kindheit betrogen.


    Aber dennoch hat er sich eines nicht nehmen lassen, das stellt er in Kap 142 klar:


    "ich hatte mich nicht geduckt, Nur rohe Gewalt macht mich fügsam, sonst hielt ich stand. Ich nahm mir vor, dass das so bleiben sollte. Würde war nicht verhandelbar. Gäbe ich sie her, ich besäße nichts mehr, auf das ich hätte zählen können."


    Ich glaube, dass das stimmt und das seine Wut und sein passiver Widerstand (wenn er auch nicht viele Möglichkeiten hatte) ihm geholfen haben, als Mensch zu überleben.
    Wäre ihm auch seine Würde genommen, wäre er wohl zerbrochen!

  • Das sehe ich auch so, Herr Palomar. Um diese Würde zu erhalten, entwickelt Andreas in seiner Hilflosigkeit Strategien des passiven Widerstandes, wie z.B. dem Vater bei dessen Schlägen in die Augen zu schauen, um zu zeigen, dass der Alte ihn zwar prügeln und körperlich dominieren, aber nicht brechen kann.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann


  • Diese Passage hat mich beim Lesen sehr bewegt und meine Hochachtung vor diesem Überlebenswillen und Kampfgeist kann ich gar nicht ausdrücken.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von harimau
    Das sehe ich auch so, Herr Palomar. Um diese Würde zu erhalten, entwickelt Andreas in seiner Hilflosigkeit Strategien des passiven Widerstandes, wie z.B. dem Vater bei dessen Schlägen in die Augen zu schauen, um zu zeigen, dass der Alte ihn zwar prügeln und körperlich dominieren, aber nicht brechen kann.


    Zitat

    Original von Regenfisch


    Diese Passage hat mich beim Lesen sehr bewegt und meine Hochachtung vor diesem Überlebenswillen und Kampfgeist kann ich gar nicht ausdrücken.


    Die Würde nicht zu verlieren, hat ihn letztendlich am Leben erhalten, das seh ich genauso.

    Man muß noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können - frei nach Nietzsche
    Werd verrückt sooft du willst aber werd nicht ohnmächtig - frei nach Jane Austen - Mansfield Park

  • So, den Abschnitt habe ich jetzt auch durch. Dafür, dass das Buch so kurz ist, brauche ich ziemlich lang - ich kann einfach nicht mehr als ein paar Abschnitte am Stück lesen, dann brauche ich Abstand.


    Die Mutter kann ich sogar sehr gut verstehen. Ich habe im erweiterten Familienkreis zwei ähnliche Fälle erlebt, Frauen, die sich prügeln lassen, die nicht einmal die Gefahr für ihr Kind in die Lage versetzt, aus der Beziehungshölle auszubrechen. Diese Frauen litten unter ihren Beziehungen, haben es aber nur mithilfe anderer geschafft, auszubrechen. In einem Fall nicht einmal dauerhaft - sie ist zurück zu ihm gegangen. Ich empfinde für die Mutter nur tiefes Mitleid. Allerdings verstehe ich auch die Gefühle von Andreas Altmann, die eigenen Eltern gerade mit ihren Unfähigkeiten neutral zu sehen ist beinahe unmöglich. Zumindest, bis man selbst erwachsen ist und seine Jugend verarbeitet hat.


    Die Theorie mit den billigen Arbeitskräften finde ich gar nicht so absurd, zumindest wenn man sich von unseren heutigen Ansichten löst. Das Konzept Kindheit ist ja noch nicht so wahnsinnig alt, Kinder als Arbeitskraft im heimischen Betrieb/Hof/Haushalt und als Altersvorsorge waren über Jahrhunderte normal. Die Tatsache, dass der Vater von Andreas den Beruf seines Vaters ergreifen musste und da keine Wahlmöglichkeit hat, lässt für mich darauf schließen, dass da solche Ansichten noch lebendig waren. Sowas stirbt ja nicht spontan von einer Generation zur anderen aus. Selbst in meiner Generation - und ich bin deutlich jünger als Andreas Altmann - habe ich noch Fälle erlebt, wo Kinder zuhause Unverständnis und Ablehnung ernteten, weil sie aufs Gymnasium wollten. Immerhin sollten sie doch den elterlichen Hof übernehmen.