'Das Scheißleben meines Vaters ...' - Seiten 190 - Ende

  • Ich schreibe einfach mal schon mal hier was ;-)


    Ich habe das Buch vorhin beendet und hatte durchgehend Gänsehaut. Mir hätte es besser gefallen, wenn das Buch kein Tatsachenroman wäre. Dann könnte ich mit dem, was er erlebt hat, besser leben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand nach so einer Kindheit eine normale Entwicklung durch macht. Auch wenn er sich frei von allem gemacht hat und verziehen hat, so gut es geht.


    Dieser Vater hätte eine Therapie gebraucht. Den hätte man weg sperren müssen. Ebenso die Mutter. Ich bin sehr froh, dass ich das Buch endlich zu Ende gelesen habe, abbrechen wollte ich es nicht, weil ich wissen wollte, wie es weiter geht.


    Kann man bei so einem Buch von "gefallen"sprechen? Eigentlich nicht. Es hatte für mich den Sog, dass ich wissen musste, was noch alles passiert. Es bekommt von mir trotz allem die volle Punktzahl. Eine Rezi möchte ich nicht schreiben. Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, also lasse ich es lieber.

  • Ich bin gerade Mitten im Nachwort. Ohne dem Nachwort würde dem Buch was fehlen, würde dem Leser was fehlen, ohne Nachwort würde er auf weiter Flur im Regen stehen. Allein. Verlassen. Ohne Hoffnung. Das Nachwort besänftigt den Leser, übermittelt ihm, dass am Ende doch noch einigermaßen alles irgendwie zur Ruhe gekommen ist.
    :gruebel

    Man muß noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können - frei nach Nietzsche
    Werd verrückt sooft du willst aber werd nicht ohnmächtig - frei nach Jane Austen - Mansfield Park

  • Zitat

    Original von Booklooker
    Mir hätte es besser gefallen, wenn das Buch kein Tatsachenroman wäre. Dann könnte ich mit dem, was er erlebt hat, besser leben.


    Das geht mir anders. Gerade das Wissen um seinen Realitätsbezug verleiht dem Buch meiner Meinung nach zusätzliche Wucht.


    Zitat

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand nach so einer Kindheit eine normale Entwicklung durch macht. Auch wenn er sich frei von allem gemacht hat und verziehen hat, so gut es geht.


    Na ja, das Nachwort belegt doch, wie lange und stark Andreas auch nach dem Auszug noch unter den Folgen leidet. "Normalität" wird er wohl nie erreichen, wobei er nach einem gewissen Punkt in seiner Entwicklung gar nicht mehr danach strebt. Sich frei gemacht und verziehen hat er, so wie ich das sehe, kein bisschen.


    Zitat

    Dieser Vater hätte eine Therapie gebraucht. Den hätte man weg sperren müssen. Ebenso die Mutter.


    Sie haben doch eine Therapie gemacht, sogar zusammen, aber ohne Willen zur Veränderung war diese natürlich zum Scheitern verurteilt. Wegsperren? Ja, rein rechtlich scheinen mir genug Gründe vorzuliegen, den Alten zu belangen, angefangen bei Körperverletzung, aber wie sollte das in so einem Umfeld durchzusetzen gewesen sein? Ob es heutzutage besser ist, kann ich nur hoffen.


    Zitat

    Kann man bei so einem Buch von "gefallen"sprechen? Eigentlich nicht.


    Das kann nur jeder für sich entscheiden. Mir hat es sehr gut gefallen, tatsächlich, aber zu so einem Thema will ich auch kein Wohlfühlbuch lesen. :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von WaterPixie
    Ich bin gerade Mitten im Nachwort. Ohne dem Nachwort würde dem Buch was fehlen, würde dem Leser was fehlen, ohne Nachwort würde er auf weiter Flur im Regen stehen. Allein. Verlassen. Ohne Hoffnung. Das Nachwort besänftigt den Leser, übermittelt ihm, dass am Ende doch noch einigermaßen alles irgendwie zur Ruhe gekommen ist.
    :gruebel


    Ganz meine Meinung, WaterPixie, Wort für Wort. :-)

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Ich bin jetzt auch durch. Ein sehr intensives Buch!


    Ich denke, es war gut, dass der Ton des Buches ein wütender war, zu Recht wütend, ein jammernder Ton hätte nicht funktioniert.
    Bei manchen Passagen musste ich an Thomas Bernhard in seinen autobiografischen, ebenfalls sehr bitteren Büchern über seine Kindheit und Jugend denken, auch wenn Altmann und Bernhard stilistisch natürlich sehr unterschiedlich sind.


    Ich wollte das Buch schon lange lesen und bin froh, dass ich das jetzt endlich geschafft habe. Bei Gelegenheit hoffe ich, auch die Fortsetzung "Dies beschissen schöne Leben" noch lesen zu können.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ich bin jetzt auch durch. Ein sehr intensives Buch!


    Ich denke, es war gut, dass der Ton des Buches ein wütender war, zu Recht wütend, ein jammernder Ton hätte nicht funktioniert.
    ...


    Ich bin noch nicht ganz durch, aber genau das, Herr Palomar, diese Wut und die schonungslose Offenheit, sind die absolute Stärke dieses Buches, das sehe ich ganz genauso.
    Das muss man erst einmal so schreiben! Das Buch muss unendlich weh getan und viel Kraft gekostet haben.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Ich bin noch nicht ganz durch, aber genau das, Herr Palomar, diese Wut und die schonungslose Offenheit, sind die absolute Stärke dieses Buches, das sehe ich ganz genauso.
    Das muss man erst einmal so schreiben! Das Buch muss unendlich weh getan und viel Kraft gekostet haben.


    Da stimm ich die voll und ganz zu, Regenfisch. Ein Befreiungsschlag!

    Man muß noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können - frei nach Nietzsche
    Werd verrückt sooft du willst aber werd nicht ohnmächtig - frei nach Jane Austen - Mansfield Park


  • Ich kann das nicht gut. Dinge lesen, die wirklich geschehen sind und frage mich, warum ich es immer wieder mache. Wäre das ein fiktiver Roman gewesen, hätte er mir total gut gefallen. Ich kann einfach nicht ertragen, wenn reale Menschen leiden oder gelitten haben.


    Ich sagte ja auch, sich frei gemacht, so gut es geht. ;-) Dass man das nicht erzwingen kann und dass es nicht einfach ist, das kann man sich denken. Vielleicht will er auch gar nicht 100% vergessen, denn durch den Hass, den er empfunden hat, hat er seinen Lebenswillen aufrecht erhalten. Er hätte genauso gut aufgeben können.


    Ach stimmt, die Therapie hatte ich verdrängt. Und dass niemand gegen ihn angeht, war ja vorauszusehen. Der Vater konnte sich so perfekt verstellen, dass niemand geglaubt hätte, was da ab geht. Ich fand übrigens den Ort total gruselig. Erinnert mich entfernt hat den Ort, in dem mein Opa seit vielen Jahren lebt. Da könnte sowas auch passieren.

  • Zitat

    Original von WaterPixie


    Da stimm ich die voll und ganz zu, Regenfisch. Ein Befreiungsschlag!


    Wenn ich mich hier kurz einmischen darf.
    Ich würde nicht sagen, das es ein Befreiungsschlag war. Von einer solchen Kindheit, von solchen Erlebnissen wird man sich wohl nie befreien können.
    In meinen Augen ist das vielmehr der Beginn einer Aufarbeitung.
    Altmann wird immer darunter zu leiden haben, was ihm widerfahren ist.


    So, nun bin ich dann auch wieder weg.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Voltaire hat ganz sicher Recht damit, dass Altmann sich mit dem Schreiben dieses Buchs nicht von den Traumata seiner Kindheit befreien kann. Trotzdem ist der Begriff "Befreiungsschlag" vielleicht gar nicht verkehrt, wenn man ihn im fussballerischen Sinn interpretiert: Er schafft Luft und etwas Zeit, um sich neu zu organisieren, löst aber allein keine strukturellen Probleme. Ich bezweifle nicht, dass Altmann weiterhin an dieser monumentalen Aufgabe arbeitet - es wird ihm leider nichts anderes übrig bleiben.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Wenn man es so betrachtet, ist Altmanns Geschichte eine voller Befreiungsschläge. Das fängt mit dem Auflehnen gegen den Vater an, den unbedingten Wunsch, sich die eigene Würde zu bewahren, das Verlassen des Elternhauses, die Therapien, der Entschluss zu schreiben, die Bewerbung bei Geo, jedes wieder Aufrappeln aus dem Loch. Das Buch ist nur ein weiterer und er wird immer wieder welche brauchen. Die Vergangenheit holt ihn vielleicht heute immer seltener ein als früher, aber das wird nie vergehen. Da bin ich mir sehr sicher.

  • Verständnis, aber begründen möchte ich das nicht, weil zu persönlich. Mir gefällt der Gedanke der "Schlichtung", wie Altmann es selbst nennt. Ein Hass auf die Eltern hätte ihn mit den Jahren sicherlich innerlich noch mehr zerfressen und hätte das Schreiben dieses Buches wohl unmöglich gemacht. Durch seine Denkweise ist er zwar nicht mit den Eltern im Reinen (das wäre auch zu viel verlangt), aber dafür mit sich selbst. Das ist so viel wichtiger, denn es hilft.

  • Hast du gar nicht mitgelesen?
    Ich habe jetzt zwei "Schicksale" nacheinander gelesen und mein Bedarf ist erst mal gedeckt.


    Ich finde, das Buch lohnt sich, Clare.
    Ich mag Altmanns Ausdrucksweise. Man spürt in jeder Zeile, was er damals gefühlt hat und was er jetzt fühlt. Es ist aufwühlend, aber man möchte wissen, wie es weiter ging. Wie er zu dem Menschen wurde, der er jetzt ist bzw. wie er aus dieser Hölle heraus kam.

  • Zitat

    Original von Saiya
    ...das verdeutlicht er auch im Nachwort eindrücklich.


    Er schrieb ja "Ein Arm wächst nicht nach".


    Zitat

    Original von Saiya
    Die Vergangenheit holt ihn vielleicht heute immer seltener ein als früher, aber das wird nie vergehen. Da bin ich mir sehr sicher.


    Er schrieb aber auch, dass er nach dem Finden des Reisens und Schreibens keine Therapien mehr brauchte, sich nicht mehr auffraß und nicht mehr depressiv war.