'Das Scheißleben meines Vaters ...' - Seiten 190 - Ende

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Was löst es bei euch aus, wenn Altmann auf der letzten Seite von "Vergebung" spricht?


    Das könnte letztlich ein wichtiger Punkt sein, der ihn rettet. Mir fällt dazu der Spruch ein „Groll mit uns herum zu tragen ist wie das Greifen nach einem Stück glühender Kohle in der Absicht, es nach jemandem zu werfen – man verbrennt sich selber die Finger dabei“. Sein Vater ist tot, der merkt gar nicht mehr, ob ihm Andreas vergibt. Und ohne Vergebung wird Andreas keine innere Ruhe finden.


    Für mich war der stärkste Aspekt, dass er seinen Vater nie auch geschlagen hat. Später irgendwann war er sicher stärker als der Vater. Er hatte aber die Größe, sich dadurch nicht zur Rache hinreißen zu lassen.

  • Zitat

    Original von xexos


    Er schrieb aber auch, dass er nach dem Finden des Reisens und Schreibens keine Therapien mehr brauchte, sich nicht mehr auffraß und nicht mehr depressiv war.


    Hier bin ich, trotz Altmanns zitierter Behauptung, ganz bei Saiya. Er war bereits ein bekannter und erfolgreicher Autor, als er dieses Buch schrieb, und ich kann mir definitiv nicht vorstellen, dass er es wegen des Geldes oder gar "zum Spaß" getan hat. Nein, ich sehe es als Teil seines Aufarbeitens an, und leider vermute ich, dass ihm dieses niemals vollständig gelingen wird / kann. :-(

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Was löst es bei euch aus, wenn Altmann auf der letzten Seite von "Vergebung" spricht?


    Erstaunen, Ungläubigkeit, Irritation. Ich bin nur der Leser seiner Geschichte, kann nur versuchen, mich in Altmanns Gefühlswelt hineinzutasten, ohne dass es mir mangels vergleichbarer Erfahrungen jemals gelingen wird, aber von meiner distanzierten Warte aus kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass ich an seiner Stelle zur Vergebung fähig wäre. Oder sein sollte. Letzten Endes zählt aber nur, was diese Vergebung, oder Schlichtung, wie er es nennt, für ihn bedeutet. Falls es ihm das Leben leichter macht, ist es eine gute, die richtige Sache. Was es dem Täter, in diesem Fall ohnehin schon tot, bedeutet, ist scheißegal - durch sein abscheuliches Tun hat er seinen Anspruch auf Vergebung verwirkt.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von harimau


    Erstaunen, Ungläubigkeit, Irritation. Ich bin nur der Leser seiner Geschichte, kann nur versuchen, mich in Altmanns Gefühlswelt hineinzutasten, ohne dass es mir mangels vergleichbarer Erfahrungen jemals gelingen wird, aber von meiner distanzierten Warte aus kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass ich an seiner Stelle zur Vergebung fähig wäre. Oder sein sollte. Letzten Endes zählt aber nur, was diese Vergebung, oder Schlichtung, wie er es nennt, für ihn bedeutet. Falls es ihm das Leben leichter macht, ist es eine gute, die richtige Sache. Was es dem Täter, in diesem Fall ohnehin schon tot, bedeutet, ist scheißegal - durch sein abscheuliches Tun hat er seinen Anspruch auf Vergebung verwirkt.

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    Niemand kann eine Vergebung verwirken. Und einen Anspruch auf Vergebung hat man darüber hinaus auch nicht.
    Verwirken bedeutet ja nichts anderes, als das etwas auf Dauer weg ist.


    Die Vergebung ist ein Akt ohne Gegenleistung und es liegt allein beim "Geschädigten" ob er vergibt oder nicht.


    Lukas 6,37b-38a
    "Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben."


    Tut mir leid, das ich mich ein weiteres Mal eingemischt habe. :-(

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Clare
    Wenn ich eure Beiträge so lese, dann reizt es mich im Nachhinein, mir dieses Buch mal vorzunehmen. :gruebel


    Ich habe die Leserunde auch mitverfolgt und obwohl mich das Thema interessiert, werde ich das Buch sicher nicht lesen. Ich will echtes, menschliches Leid nicht so intensiv erfahren. Das würde mich depressiv machen.
    Aber mich bewegt eine Frage. Warum hat Altmann dieses Buch geschrieben? Warum man solche zutiefst persönlichen Dinge der breiten Öffentlichkeit offenbart, kann ich nicht verstehen. Jeder, den es interessiert, kennt jetzt seine Geschichte, bildet sich auf Basis dieser Informationen eine Meinung über ihn. Ich habe das Gefühl, dass da auch sehr viele passive Rachegedanken mitspielen. Indem er das alles bekanntmacht, stellt er seine Familie und die ehemaligen Nachbarn, Lehrer, Pfarrer etc. und deren Familien bloß. Hilft ihm das bei der Bewältigung seiner Vergangenheit?

    smilie_sp_274.gif
    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Sicher, es kann mit Rache zu tun haben, aber ich glaube tatsächlich, dass es eine Art der Bewältigung der geschehenen Dinge ist. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es hilft, wenn man Dinge aufschreibt. Ich würde sie natürlich nicht veröffentlichen, aber wenn man schon mal Bücher veröffentlicht hat ist der Schritt zur erneuten Veröffentlichung nicht weit.

  • Zitat

    Original von Voltaire


    Tut mir leid, das ich mich ein weiteres Mal eingemischt habe. :-(


    Ich finde es schön das du es getan hast. :-)



    +++
    Ich lese hier nur noch ... bin nicht ganz von der Bildfläche verschwunden... irgendwie kann ich hier zu euren Kommentaren nur noch nicken und/oder den Kopf schütteln ... bin gerade leer im Kopf ... sorry :-(

    Man muß noch Chaos in sich haben um einen tanzenden Stern gebären zu können - frei nach Nietzsche
    Werd verrückt sooft du willst aber werd nicht ohnmächtig - frei nach Jane Austen - Mansfield Park

  • Zitat

    Original von Suzann


    Ich habe die Leserunde auch mitverfolgt und obwohl mich das Thema interessiert, werde ich das Buch sicher nicht lesen. Ich will echtes, menschliches Leid nicht so intensiv erfahren. Das würde mich depressiv machen.
    Aber mich bewegt eine Frage. Warum hat Altmann dieses Buch geschrieben? Warum man solche zutiefst persönlichen Dinge der breiten Öffentlichkeit offenbart, kann ich nicht verstehen. Jeder, den es interessiert, kennt jetzt seine Geschichte, bildet sich auf Basis dieser Informationen eine Meinung über ihn. Ich habe das Gefühl, dass da auch sehr viele passive Rachegedanken mitspielen. Indem er das alles bekanntmacht, stellt er seine Familie und die ehemaligen Nachbarn, Lehrer, Pfarrer etc. und deren Familien bloß. Hilft ihm das bei der Bewältigung seiner Vergangenheit?


    Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube seine Geschwister hat er nicht bloßgestellt, im Gegenteil. Und bei allen anderen ist es mir ehrlich gesagt vollkommen egal, ob sie sich bloßgestellt fühlen, denn sie haben das absolut verdient. Wenn man Kindern bzw. Schutzbefohlenen solche Dinge antut, dann ist das nur gerecht, wenn das eines Tages ans Licht kommt. Oder sollte man aus Rücksicht über all das den Deckel des Schweigens legen? Geschwiegen wurde doch lange genug.
    Ich glaube übrigens, dass das Buch anderen Betroffenen helfen kann, die sich das nicht von der Seele schreiben können, sondern andere Ventile brauchen.

  • Es gibt keinen Grund für diesen hier :-(, Voltaire. Im Gegenteil, ist doch klasse, wenn du dich zu Wort meldest. :-)



    Du hast Recht, dass "Anspruch" nicht das richtige Wort war. Ich würde es durch Hoffnung ersetzen.


    Ansonsten sprach ich natürlich nicht von himmlischer Vergebung, sondern meiner ganz persönlichen, und die hätte Altmanns Vater in der Tat verwirkt, sie wäre auf Dauer weg, wie du es sagst. Ich kann / könnte vieles verzeihen, aber ich vermute, in diesem Fall würde es mir nicht gelingen, ganz gleich, was Lukas dazu sagt. Vielleicht fehlt es mir dazu an menschlicher Größe, vielleicht am nötigen Mitgefühl, vielleicht hat das Arschloch es eben einfach nicht verdient, wer weiß? Glücklicherweise bleibt die Frage theoretisch, da ich Altmanns Leidensweg nicht selbst gehen musste.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Saiya


    Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube seine Geschwister hat er nicht bloßgestellt, im Gegenteil. Und bei allen anderen ist es mir ehrlich gesagt vollkommen egal, ob sie sich bloßgestellt fühlen, denn sie haben das absolut verdient. Wenn man Kindern bzw. Schutzbefohlenen solche Dinge antut, dann ist das nur gerecht, wenn das eines Tages ans Licht kommt. Oder sollte man aus Rücksicht über all das den Deckel des Schweigens legen? Geschwiegen wurde doch lange genug.
    Ich glaube übrigens, dass das Buch anderen Betroffenen helfen kann, die sich das nicht von der Seele schreiben können, sondern andere Ventile brauchen.


    Damit hast du sehr schön zusammengefasst, was ich selbst zu diesem Thema denke, Saiya!


    Altmann stellt niemanden bloß, der es nicht verdient hätte. Sadistische Lehrer und Kinderschänder haben kein Recht auf das Verschweigen ihrer Untaten, im Gegenteil, schon im Sinne potentieller zukünftiger Opfer. Ohne Aufklärung gibt es keinen Fortschritt. Insofern hilft es nicht nur Altmann selbst beim Bewältigen, was definitiv der Fall ist.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von harimau


    Damit hast du sehr schön zusammengefasst, was ich selbst zu diesem Thema denke, Saiya!


    Altmann stellt niemanden bloß, der es nicht verdient hätte. Sadistische Lehrer und Kinderschänder haben kein Recht auf das Verschweigen ihrer Untaten, im Gegenteil, schon im Sinne potentieller zukünftiger Opfer. Ohne Aufklärung gibt es keinen Fortschritt. Insofern hilft es nicht nur Altmann selbst beim Bewältigen, was definitiv der Fall ist.


    Auch ich stimme dem voll und ganz zu.
    Ich denke auch, dass das Buch zum einen aufklärt, was unter so manchem Deckmäntelchen passiert und es sensibilisiert, doch mal genauer hinzusehen oder Kindern zuzuhören oder mal nachzufragen, zumindest nicht wegzugucken und sei es auch nur eine Ohrfeige, die in der Öffentlichkeit verabreicht wird.
    Zum anderen ist es ein Mutmach-Geschichte, dass man trotz allem seinen Weg und seinen Platz im Leben finden kann.
    Ich finde, dass dies ein wichtiges Buch ist und dass Altmann in seiner Direktheit und Radikalität (ich meine das im positivsten Sinne) wachrüttelt und den Leser trifft.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Danke für eure Ansichten. Ich bin auch dafür, dass so schlimme Dinge nicht unter den Teppich gekehrt werden dürfen und bestraft gehören. Ich habe KEIN Mitleid mit den "(Mit-)Täter(n)", sollte das so angekommen sein.


    Mir ging eher durch den Kopf, dass es natürlich eine Art der Bewältigung sein kann, wenn man seine Erlebnisse und Erfahrungen niederschreibt. Ob es noch mehr hilft, sie öffentlich zu machen, kann ich nicht beurteilen. Man erhält Bestätigung, Mitleid von Fremden. Ist das ein Beweggrund? Regenfischs Bemerkung, das andere sehr wirksam für dieses Thema sensibilisiert werden, erkenne ich voll an.


    Gleichzeitig offenbart man "geheimes" massives Fehlverhalten bestimmter Personen, die Familie und Freunde haben. Die (Mit-)Täter leben jetzt vielleicht nicht mehr, aber "unschuldige" Angehörige. Die Offenbarung der Schandtaten schadet also den (Mit-)Täter(n) nicht mehr, aber vielleicht ihren Kindern etc.. Es ist immerhin eine Tatsachengeschichte.


    Ich habe das Buch nicht gelesen und deswegen eine andere Distanz zu dieser speziellen Geschichte, die ich auch nicht aufgeben will, weil mir so etwas zu nahe geht, aber deswegen geht mir vermutlich gerade diese Frage durch den Kopf, warum man seine persönliche Geschichte derart veröffentlicht.

    smilie_sp_274.gif
    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Zitat

    Original von Suzann


    Ich habe die Leserunde auch mitverfolgt und obwohl mich das Thema interessiert, werde ich das Buch sicher nicht lesen. Ich will echtes, menschliches Leid nicht so intensiv erfahren. Das würde mich depressiv machen.
    Aber mich bewegt eine Frage. Warum hat Altmann dieses Buch geschrieben? Warum man solche zutiefst persönlichen Dinge der breiten Öffentlichkeit offenbart, kann ich nicht verstehen. Jeder, den es interessiert, kennt jetzt seine Geschichte, bildet sich auf Basis dieser Informationen eine Meinung über ihn. Ich habe das Gefühl, dass da auch sehr viele passive Rachegedanken mitspielen. Indem er das alles bekanntmacht, stellt er seine Familie und die ehemaligen Nachbarn, Lehrer, Pfarrer etc. und deren Familien bloß. Hilft ihm das bei der Bewältigung seiner Vergangenheit?


    Die Frage, warum Altmann dieses Buch geschrieben, habe ich mir auch die ganze Zeit über gefragt, wie jemand sein ganzes Leben so schonungslos vor der Öffendlichkeit ausbreiten kann, kann ich auch nicht verstehen.
    Trotzdem finde ich, dass es ein sehr wichtiges Buch ist, das aufrüttelt und bestimmt auch dem ein oder anderen selbst Betroffenen eine kleine Hilfestellung sein kann.
    Und natürlich hat Altmann jedes Recht, die Täter von Damals bloßzustellen, wobei das für deren Kinder natürlich bitter ist.

  • So, jetzt auch noch ein paar Gedanken von mir über diesen Abschnitt und das Buch als ganzes.


    Das Buch lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. Auf der einen Seite bin ich froh, es gelesen zu haben, wenn auch in sehr kleinen Abschnitten, weil es immer sehr schnell unerträglich wurde.


    Was mich - wie wohl offensichtlich andere auch - beschäftigt hat, ist die Frage der Verwendung von Klarnamen. Nein, auch mir tut kein Mittäter leid. Aber ich frage mich schon, ob das wirklich fair den Nachkommen dieser Täter gegenüber ist, deren einziger Fehler ja ist, aus der falschen Ecke des Genpools zu kommen. Und da ich dörfliches Leben kenne, weiß ich, was so eine Bloßstellung zur Folge haben kann. In solchen Gemeinschaften kann man schon für weniger zum Dorfgespräch werden (geschieden sein, unehelich sein, Mitgliedschaft in falscher Partei/Verein/Kirche). Den Kindern bleibt möglicherweise nur das Wegziehen, wenn sie nicht mehr schräg angeguckt (und möglicherweise sogar mitverurteilt) werden wollen. Schwierig.


    Außerdem frage ich mich, wie das denn mit den anderen Menschen ist, die in dem Buch vorkommen. Als Beispiel nehme ich hier mal seinen Freund in der Schule - ob der es nun so toll findet, dass ziemlich intime Details aus seiner Jugend so veröffentlicht worden sind? Auch einfach nur Pech, sich mit jemandem angefreundet zu haben, der später Schriftsteller wurde? Und hat er seine Geschwister wirklich nicht bloßgestellt? Den Bruder, der ihn nach dem Briefmarkendiebstahl in die Pfanne gehauen hat? Die Aussage im Nachwort, dass die Schwester geschwiegen hat, weil sie ihr Erbe nicht aufs Spiel setzen will?


    Ihr merkt, was dieses Thema angeht, bin ich extrem zwiegespalten. Ich gönne Altmann die Möglichkeit, durch dieses Buch seine Vergangenheit für sich aufarbeiten zu können, frage mich aber trotzdem (nicht erst durch die Diskussion hier), wie fair das Verwenden von Realnamen anderen unmittelbar und mittelbar Beteiligten gegenüber ist.