Das Mädchen am Rande der Stadt - Anna Xiulan Zeeck [10 - 12 Jahre]

  • Verlag: Desina
    Gebundene Ausgabe: 138 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Das 12-jährige Mädchen Hanli verlässt ihr Heimatdorf in den Bergen und reist zu ihren Eltern, die in Peking als Wanderarbeiter leben. Sie will dort eine gute Schule besuchen und eine Städterin werden.Eine bewegende Geschichte von Träumen und Enttäuschungen, von Mut und Frustration in der heutigen Zeit der boomenden Wirtschaft einer aufsteigenden Weltmacht.Sie spiegelt das Schicksal der Millionen von Jugendlichen, die mit ihren Träumen ihre ländliche Heimat verließen und in die Städte kamen.


    Über die Autorin:
    Anna Xiulan Zeeck wurde 1956 in Luoyang, China geboren. 1987 kam sie nach Deutschland und schloss ihr in China begonnenes Studium der Anglistik mit einer Promotion ab. 2007 gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann Erich Zeeck den Desina Verlag, der sich auf Kinder- und Jugendbuchliteratur spezialisiert hat.


    Mein Eindruck:
    Das einfühlsam geschriebene Jugendbuch für ca.12jährige berichtet vom Leben des Mädchens Song Hanili, das vom Lande in China in die Großstadt Peking kommt. Dort hofft sie auf ein bessere Leben mit ihren Eltern, die Wanderarbeiter sind. Doch unerwartet muss sie feststellen, wie schwierig es ist, auf einer öffentlichen Schule aufgenommen zu werden. Die Stadt baut Hürden auf und die Wanderarbeiterkinder müssen mit entsprechenden niederrangigen, ungeheizten Schulen vorlieb nehmen. Schließlich schafft es Hanli doch, auf eine gute Schule aufgenommen zu werden, doch die sozialen Schranken sind immer noch vorhanden. Von ihren Mitschülern wird sie als "Landei" abgelehnt, obwohl sie intelligent ist. Besonders ihre Mitschülerin Su Ya mobbt sie.
    Hoffnung besteht durch ihren Freund Tang Ming, der, obwohl auch erst 12 Jahre alt, die Schule abbrechen und arbeiten muss, und das zu harten Bedingungen.


    Der Roman ist leicht sozialkritisch ohne allzu politisch zu werden.
    Ich glaube, dass ungefähr gleichaltrige sich mit Song Hanli leicht identifizieren und ihre schwierige Lage nachvollziehen können.

  • Ich habe das Buch heute als Hörbuch auf 2 CDs gehört. Eine wundervolle Geschichte, die mich zutiefst berührt hat und mich vor allem auch darüber betroffen macht, dass man so wenig über China und die Lebensumstände dort hier in Deutschland erfährt.
    Wann wird China und das Leben der Menschen bei uns denn schon mal thematisiert?? Ich kann nur für mich sprechen, aber ich persönlich wusste überhaupt nichts über diese Spaltung zwischen Bauern und Städtern! (Wogegen aber täglich der Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump im TV gesendet wird... :rolleyes)


    Daher finde ich diese Geschichte nicht nur wundervoll erzählt, mitreißend und berührend, sondern auch sehr wichtig!


    ***


    Falls es jemand interessiert, hier ein Bericht aus der Frankfurter Rundschau vom 16.11.2013:


    Mehr als 260 Millionen Wanderarbeiter schuften in den Städten der Volksrepublik China. Sie sind die Erschaffer des Booms – und seine Verlierer. Wegen des veralteten Meldesystems haben die Wanderarbeiter kaum Rechte.
    Peking –


    Eines Tages war die Entscheidung getroffen. Sie kam schleichend, wie vieles im Leben von Herrn Liu, des drahtigen Mannes mit dem wettergegerbten Gesicht. Er wollte weg aus seinem Dorf. Er musste weg, wie er heute sagt, nach 15 Jahren Wanderschaft, auf der Suche nach Jobs, nach Auskommen, nach Glück. Herr Liu heißt eigentlich anders.


    Der Name spiele doch keine Rolle, sagt er leise, als er auf einem Stein sitzt und die Drähte für den Hundekäfig in einen Holzkasten einbaut, hier im Westen von Peking, weit hinter dem fünften Autobahnring, wo er sich eine Bleibe leisten kann, mit Frau, Tochter, Sohn, Schwiegersohn und zwei Enkelinnen, auf zwei Zimmer verteilt. Er sei einer unter vielen, ein „waidiren“, wie die Chinesen sagen, einer „von außerhalb“. Ein Wanderarbeiter, wie es Millionen in Chinas Städten gibt. Sie sind die Erschaffer des Booms – und seine Verlierer.
    Schuften bis zum Umfallen


    Als China sich in den 1980ern auf Geheiß von Deng Xiaoping öffnete, sahen viele Bauern, die von der Hand in den Mund lebten, ihre Chance. An der Ostküste des Landes entstanden Fabriken und Städte, wo die Arbeit nicht auszugehen schien. Chinas Appetit auf Arbeiter war unersättlich wie auch der Wunsch der Menschen nach einem besseren Leben.


    Gefährliche Jobs? Oft keine Verträge? Zerrissene Familien? Sie nahmen alles hin. Es gab ja bis zu 3000 Yuan im Monat, wenn man bis zum Umfallen schuftete, auf dem Bau, in Fabriken, bei Reichen zu Hause. Fast 250 Euro, für viele ein Vermögen.


    Mehr als 15 Millionen Bauern waren 1987 auf Wanderschaft gegangen. Heute sind es mehr als 260 Millionen Menschen, wie Chinas Nationale Statistikbehörde für 2012 errechnete. Es ist ein Drittel der weltweiten Binnenmigration. Massen, die sich auf den Weg machen, mit Massen an Problemen für sich und den Staat. Doch Chinas Regierung wagt sich nur zögerlich an Reformen.


    Herr Liu, der in Peking alte Häuser abreißt, kommt aus Anhui, einer der ärmsten Provinzen im Südosten des Landes. Er ist Bauer. So besagt es das Melderegister, noch zu Mao-Zeiten 1958 erschaffen, um spontane Wanderbewegungen zu unterbinden und die Menschen zu kontrollieren. Nach der Bodenreform in den 50ern schafften die Kommunisten ein duales System von ländlichen und städtischen Haushalten – mit unterschiedlichen Rechten. Der „Bauer“ bekam Anspruch auf ein Stück Land, der „Städter“ erhielt subventionierten Wohnraum, ein Anrecht auf eine Arbeitsstelle und den Zugang zur Bildung, Kranken- und Altersvorsorge. Es war ein Weg, den Zugang zu den öffentlichen Gütern zu regulieren.


    Ungerechtigkeit in Gesetzesform


    Spätestens in den 90ern haben sich die Zuweisungen von Ressourcen überholt. Der „Hukou“ aber, die Haushaltsregistrierung, ist bis heute geblieben, in jedem chinesischen Personalausweis steht die Heimatprovinz drin. Es ist ein System, das Ungerechtigkeit in Gesetzesform verpackt. Kritiker beklagen seit langem, dass der Hukou aus Bauern Menschen zweiter Klasse macht. In verklausulierter Sprache gibt das mittlerweile auch die Partei zu. Auf dem gerade zu Ende gegangenen Parteikongress hieß es, die Verteilung öffentlicher Mittel solle „ausgewogen“ sein. Wie und wann das Meldesystem reformiert wird, blieb aber unklar.


    Bislang sind nahezu alle staatlichen Leistungen – Schule, Versicherungen, Rente – an den Hukou gebunden. Sich als registrierter Bauer einen Stadt-Hukou zu beschaffen ist gerade für die Zugezogenen unmöglich. Der durchschnittliche Lohn für Menschen wie Herrn Liu, so heißt es bei der Nationalen Statistikbehörde, lag 2012 bei 2290 Yuan (etwa 280 Euro), knapp 20 Euro mehr als noch 2011. „Für 800.000 Yuan gibt es auf dem Schwarzmarkt den Peking-Hukou“, erzählt Zhang Meiling (Name geändert).


    Umgerechnet fast 100.000 Euro. „Unvorstellbar viel Geld!“, sagt die 27-jährige Lehrerin. Sie hat, ganz anders als der Arbeiter Liu, die Uni abgeschlossen, hat in Privatschulen in der Hauptstadt unterrichtet – weil sie es aus ihrer Kleinstadt zum Studieren in eine Großstadt im Nordwesten des Landes schaffte. „Genug Punkte beim Gaokao geholt.“ Ein chinesisches Abitur, mit viel Drill und Tränen hinter sich gebracht.
    Das System macht nur kleine Schritte


    Ein „Bauernkind“ ist sie geblieben. Aus Henan, der Nachbarprovinz von Anhui, war sie vor mehr als sechs Jahren nach Peking gekommen. In manchen Statistiken steht, dass 80 Prozent aller, die in der Hauptstadt leben, keinen Hauptstadt-Hukou haben. Eine Stadt voller „Menschen von außerhalb“ also. „Ich habe hier einen interessanten Job, einen guten Verdienst. Für meinen Sohn gibt es ebenfalls mehr Möglichkeiten“, sagt Zhang Meiling. Es sind Chancen, für die sie zahlen muss. Denn auch ihr Sohn hat einen Hukou aus Henan, mag er in Peking geboren sein. Sie muss zu befreundeten Ärzten laufen, muss sie bestechen, wenn der Kleine krank wird. Zur Schule gehen darf er ebenfalls nicht in der Hauptstadt. „Ich muss ihn, wenn er sechs ist, zu meinen Eltern nach Henan schicken.“


    Das System macht nur kleine Schritte. Seit kurzem müssen Kinder aus ausgesuchten Provinzen ihren Abschluss nicht mehr in der Heimat machen, wenn sie dort nicht mehr wohnen. So kann ein Schüler aus Guangzhou in Peking seine Uni-Zulassung bekommen.
    Ein neuer Plan


    Die Regierung probiert aus. Schließlich hat sie einen neuen Plan ausgearbeitet: Urbanisierung. Bis 2025 sollen 250 Millionen Menschen zu Städtern werden, zusätzlich zu den 400 Millionen Chinesen, die bereits jetzt in Städten leben, wenn auch millionenfach mit einem Bauern-Hukou. Denn Städter, so denken die Parteiführer, sind Konsumenten. Und Konsumenten halten die Wirtschaft am Laufen, die nach Jahrzehnten des Wachstums langsam ins Stottern kommt.


    Soll Herr Liu bald einen Fernseher kaufen, ein iPad und ein Auto? Eine Waschmaschine hätte seine Frau gern. Aber so viel Geld dafür ausgeben? Herr Liu traut sich nicht. Und wenn er morgen krank werde? Oder sie? Die Behandlung koste doch viel. Wovon sollte er leben, ohne Rente?


    Klar, die Kinder helfen, aber sie hätten selbst nicht viel, seien ja auch Wanderarbeiter. Herr Liu bastelt an seinem Hundekäfig weiter. „Ich bleibe ein einfacher Bauer.“