Kirsten Wilczek - Und wenn es getan werden muss - Blicks' Kosmos

  • Die Autorin (Verlagsinfo)
    Kirsten Wilczek, Jahrgang 1965, studierte in Köln Jura, arbeitete in leitender Position bei einem mittelständischen Unternehmen in ihrer Heimatstadt Viersen und später als Rechtsanwältin in Wuppertal, Köln und Leverkusen. Die Pflege eines Familienmitglieds führte sie zurück an den Niederrhein, wo sie eine Kanzlei betreibt. Zudem leitet sie mitverantwortlich eine Seniorenresidenz. Neben „Blicks’ Kosmos“ hat Kirsten Wilczek Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien veröffentlicht, u. a. „Das Steinurteil“ (in: „Nebel über der Niers“, Mercator-Verlag 2012).


    Das Buch (Quelle:Amazon)
    Als Verhinderungsvertreter des Leiters der Grundsatzabteilung im Landeswirtschaftsministerium fristet Volkswirt Volkwart Blicks ein auskömmliches, unaufgeregtes Dasein, das nahezu ungestört von dem seiner Mitmenschen verläuft. Er lebt allein, pflegt keinen Freundes- oder Bekanntenkreis, er ist sich selbst genug.


    Doch neuerdings plagen ihn Erschöpfungszustände, mitunter gar komatösen Ausmaßes. Auf der Suche nach der Ursache stellt Blicks, wenn auch versehentlich, sein Leben auf den Kopf. Dabei spielen Isidora del Castillo y Vasquez, die chilenische Küchenhilfe, und ihr Tablettwagen eine entscheidende Rolle: Eine Kollision, ein peinlicher Fleck, eine nicht ganz diskrete Reinigung, ein missglückter Vortrag. Kurzum: Das Bild hängt schief. Alle Bemühungen Blicks’, wieder abzutauchen ins Unauffällige, münden in ein noch größeres Desaster.


    Und während sich das wirkliche Leben mit Macht in das von Volkwart Blicks hineindrängt, versucht er, sich mithilfe seiner gesammelten „Gewissheiten“ zu sortieren – und schreibt einen Brief. An wen, bleibt zunächst offen. Wortreich will er sich in sein altes Leben, das eher einem Zustand glich, zurück schreiben, nur um mit jedem Satz mehr zu begreifen, dass es ein Zurück nicht gibt.


    Meinung
    Zwar kenne ich die Autorin persönlich, doch hätte ich die Appetit machende Rezension auf Lovelybooks nicht gelesen, dann wäre dieses Buch ungelesen geblieben. Meine Fresse: Ich war beeindruckt vom Plot, von den Figuren und vor allem vom Schreibstil.


    Zugegeben, am Anfang stolperte ich ein wenig über die zahlreichen Substantive und über die vielsilbigen Wörter, die allerdings die Sprache auf den Ämtern exakt wiedergeben und die deshalb so gut passen. Ausgeglichen wurden diese in Reihe geschalteten Stolpersteine durch einen wunderbaren altmodischen Stil. Und manchmal kommt der Protagonist zu ganz tiefsinnigen Erkenntnissen:


    „Ein Treppenwitz der Geschichte ist es, dass gerade kleingewachsene Männer den in vielen Fällen pathologisch anmutenden Drang nach Geltung entwickeln. Dieses zwanghafte Bedürfnis, auf den Schild gehoben zu werden, liegt wohl in der Natur der Sache: Wer immer nur auf anderer Leute Nabel schaut, mag sich alsbald selbst für den Nabel der Welt halten.“ (S. 64)


    Es geht um das Coming-of-age, das alte parzivalische Thema. Die Menschwerdung Blicks gipfelt in der Einsicht:


    „Erst bin ich der Welt, dann meiner selbst überdrüssig geworden. Es war das stete Überdenken von Leben, ein Überdenken im Sinne von Übertünchen, das mich so erschöpft hatte. Eine nicht wenig überraschende Feststellung: Ein Leben unter vorsätzlicher Auslassung desselben war nicht minder anstrengend.“ (S.106).


    Und auf Seite 107 erfahren wir: „Leben muss getan werden.“


    Jawoll, Recht hatter!


    Und ganz zum Schluss, nachdem der sympathische Blicks das Leben entdeckt hat, findet er auch noch die Liebe. 10 Punkte.