Memory Wall - Anthony Doerr

  • Gebundene Ausgabe: 135 Seiten
    Verlag: C.H.Beck; Auflage: 1 (10. Februar 2016)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3406689612
    ISBN-13: 978-3406689611
    Originaltitel: Memory Wall


    Inhaltsangabe:


    Unser Leben, unsere Welt werden durch unsere Erinnerungen zusammengehalten. Was geschieht mit uns, wenn wir sie verlieren, und welche Möglichkeiten tun sich auf, wenn andere unsere Erinnerungen wiederbeleben können? Der 74-jährigen Alma Konachek, die in einem Vorort von Kapstadt lebt, widerfährt genau dies. Sie verliert ihr Gedächtnis. Unbekannte brechen mehrfach in ihr Haus ein, auf der Suche nach Hinweisen zu einem spektakulären Fossilienfund ihres plötzlich verstorbenen Mannes. Denn Alma hat eine Wand voller Fotos, Gedächtnisstützen, Speichermedien, in der sich irgendwo der fehlende Hinweis zu dem gesuchten Fossil befindet.


    Autoreninfo:


    Anthony Doerr, 1973 in Cleveland geboren, lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Boise, Idaho. Neben Erzählungsbänden wie „Der Muschelsammler“ (2007) veröffentlichte Doerr die Romane „Winklers Traum vom Wasser“ (2005) und „Alles Licht, das wir nicht sehen“ (2014), für den er 2015 den Pulitzer Prize erhielt. Der Roman, der in den USA annähernd 2 Millionen Exemplare verkaufte, wurde auch in Deutschland zu einem Bestseller, und in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Für seine Erzählungen hat Doerr bislang vier Mal den renommierten O. Henry Prize erhalten, neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt er auch drei Mal den Pushcart Prize.


    Meine Meinung:


    Titel: Wie wertvoll sind Erinnerungen?


    Für mich war es sowohl das erste Buch von Anthony Doerr als auch meine erste Novelle und so ließ ich mich erwartungsvoll auf das Neue ein.


    In der Geschichte geht es um die Demenzkranke Alma, die plötzlich all ihre Erinnerungen verloren hat. Wie geht man damit um und wie wichtig sind Erinnerungen eigentlich für unsere Existenz?


    Mir fiel in erster Linie der unglaublich intensive Schreibstil auf. Die Sätze umschmeichelten förmlich mein Leserherz. Auch wenn das Buch nicht sonderlich seitenstark ist, so musste ich mir doch zahlreiche Zitate notieren, weil ich die Sätze einfach nur großartig fand. Der Autor beschreibt mit solch einer Intensität und so viel Gefühl, dass ich Herzklopfen bekam.


    Die Novelle regt in jedem Fall zum Nachdenken an, denn die große Frage ist: Wie wichtig sind Erinnerungen? Was sind wir ohne diese? Ist ein Leben ohne Erinnerungen vergangener Tage überhaupt lebenswert? Haben sie sogar Einfluss auf unser Glück?


    Alma als Hauptcharakter ist nicht sonderlich sympathisch, aber man versteht, warum sie so ist wie sie ist. Gefangen in den Zwängen ihrer Ehe hat sie sich eben zu der Person entwickelt, die sie heute mit 74 ist. Ihr Angestellter Pheko, Mädchen für alles und schwarz, wächst einem deutlich mehr ans Herz, denn er hat nicht nur die Launen seiner Chefin zu ertragen, sondern ein krankes Kind und meistert dennoch sein Leben. Gerade seine liebevolle Art mit Alma umzugehen, hat ihn mir ans Herz wachsen lassen.


    Die Handlung spielt in Kapstadt und behandelt am Rande typische Themen für Südafrika wie zum Beispiel die Rassenunterschiede oder die klaffende Lücke zwischen arm und reich.


    Fazit: Dieses kleine Büchlein ist etwas ganz Besonderes. Ich kann nur eine klare Leseempfehlung aussprechen. Von diesem Autor muss ich unbedingt mehr lesen...


    Bewertung: 10/ 10 Eulenpunkten

  • Kapstadt, Südafrika ist der Schauplatz dieses kurzen, aber dennoch sehr ergiebigen Romans aus der Feder von Anthony Doerr, der mich letztes Jahr mit "Alles Licht, das wir nicht sehen" zu beeindrucken wusste. Im Mittelpunkt steht die an Demenz erkrankte reiche Witwe Alma. Sie hat ihre Erinnerungen komplett verloren; aber dank einer futuristischen Medizintechnologie ist es möglich, die verschütteten Regionen ihres Gehirns zu erfassen und die dort gespeicherten Erinnerung auszulesen auf eine Kassette - diese Kassette bekommt sie anschließend wieder über ein Diodensystem in ihrer Schädeldecke eingespielt und kann die Erinnerungen so nacherleben. Eine irre Vorstellung! Aber ist das auch wirklich so verlockend, diese bahnbrechende Erfindung?


    Wie immer sind auch sofort Leute mit krimineller Energie am Werk, die ihren Vorteil aus der Sache ziehen wollen. Speziell bei Alma ist es so, dass ihr verstorbener Ehemann Harold kurz vor seinem plötzlichen Herztod ein sehr seltenes, wertvolles Fossil im südafrikanischen Hinterland gefunden hat; nur weiß nun niemand, wo genau die Fundstelle ist. Hier tritt der Kleinkriminelle Roger auf den Plan, der erkannt hat, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass genau dieser Fundort auf einer der Kassetten aus Almas Erinnerungen gespeichert ist. Er bedient sich eines Mediums, nämlich des ebenfalls erinnerungslosen Jungen Luvo, der in einer schlampigen OP ebenfalls Dioden in den Schädel eingepflanzt bekommt und fortan des nächtens Almas Kassetten überprüfen muss, eine nach der anderen. Dass Luvo dabei zugrunde geht, interessiert den geldgierigen Roger überhaupt nicht.


    So spinnt der Autor seine Geschichte und verflicht sie mit den Schicksalen weiterer Figuren, zum Beispiel Almas Diener Pheko und seinem Sohn Tembo, deren Leben in einem Slum als Kontrast zu Almas Luxusleben dargestellt wird. Die Archäologie spielt eine wichtige Rolle, und zwar im doppelten Sinne: einerseits als greifbare angewandte Wissenschaft, andererseits aber als Sinnbild für das Stöbern Luvos in den fremden Erinnerungen einer ihm unbekannten Frau.


    Wie kann sich so eine Geschichte weiterentwickeln? Anthony Doerr hat es geschafft, der ganzen Ausgangssituation einer unvorhersehbaren Verlauf zu geben und seine Leser mit der einen oder anderen überraschenden Wendung zu konfrontieren. Interessant ist, dass dabei die anfangs eher düster-melancholische Grundstimmung im Mittelteil fast in eine Krimihandlung abdriftet und sich am Ende dann sehr positiv anfühlt, fast schon weichgespült, möchte man sagen. Ich konnte diese Sprünge und Brüche in der Handlung sehr gut mitverfolgen und nachempfinden. Lediglich das Ende irritierte mich, aber auch nur ein kleines bisschen; insgesamt bin ich doch sehr zufrieden damit.


    Der Schreibstil von Anthony Doerr ist niveauvoll, elegant und wirkt sehr ausgereift. Kein Wort ist hier zuviel oder unpassend, er trifft den Ton perfekt und machte mir das Lesen zu einem Genuss. Die vielen Aspekte, die der Autor in den vergleichsweise wenigen Seiten eingebracht hat - Demenzkrankheit, die Kluft zwischen Arm und Reich, Archäologie, die unterschiedlichen Lebensentwürfe der Protagonisten, die vielleicht mögliche Entwicklung in der Medizin und ihr Auswüchse - werden mich bestimmt nicht so schnell loslassen und noch eine Weile beschäftigen.


    9 von 10 Eulenpunkten