Zu Beginn der Veranstaltung äußerte sich der Moderator Thomas Bille mit einem Grinsen erstaunt darüber, wie viele Menschen sich gerne etwas vorlesen würden (die über 100 Plätze der Alten Handelsbörse waren alle besetzt), jedoch nicht selbst lesen würden.
Catalin Dorian Florescu sieht sich selbst als europäischer Autor, mit rumänischen Wurzeln und jetzt in der Schweiz lebend. Zwar wohne er jetzt schon doppelt so lange in der Schweiz wie in Rumänien, seiner Meinung nach zähle die Kindheit jedoch doppelt.
Die Inspiration zu „Der Mann, der das Glück bringt“ habe er vor zehn Jahren in der Library of Congress in Washington gehabt, bei der Recherche für seinen Roman „Zaira“. Damals wurde er von einem Mann angesprochen, der sich als Entertainer auf dem Sprung nach New York sah. Florescu bewundert die Fähigkeit der Amerikaner, nur nach vorne zu schauen, den eigenen Schatten vollständig hinter sich zu lassen und die Möglichkeit des Scheiterns zu ignorieren. Aber er sehe auch, wie anstrengend es sei, so zu leben. Er selbst könne das nicht, sei ein melancholischer Europäer.
Die erste Fassung seiner Bücher schreibe er immer noch mit der Hand, in diesem Fall im Kloster Kappeln in der Schweiz. Für die erste Fassung brauche er Papier, die zweite Version schreibe er dann am Computer.
Thomas Bille äußerte seine Enttäuschung, dass „Der Mann, der das Glück bringt“ viel zu schnell durchgelesen war, deutlich dünner als Florescus andere Bücher. Dieser war beim Übertragen an den Computer selbst überrascht, dass es dann nur 320 Seiten waren.
Sein neuster Roman nimmt die Leser mit auf eine Zeitreise in das New York und das rumänische Donaudelta vor 100 Jahren. Die Geschichte beginnt in der Jetztzeit in Manhattan. Ray und Elena treffen sich am 11. September 2001 in einem Keller und erzählen sich die Geschichte ihrer Vorfahren. Ray erzählt von seinem Großvater, der auch Entertainer war. So schwenkt die Geschichte in das Jahr 1899 und in die Perspektive eines Heranwachsenden, der seine Eltern nicht kennt und sein Geld mit dem Verkauf einer Tageszeitung in der New Yorker East Side verdient.
Für Florescu ist es erstaunlich, wie pragmatisch viele New Yorker damals gewesen seien und dass man in dieser verwundeten Stadt noch lachen konnte. Jeder von uns wisse noch genau, wo man an diesem Tag war und in seinem Buch gehe es um ganz normale Menschen, die versuchen würden, ein aufrechtes Leben zu leben. Florescu selbst verbrachte als Neunjähriger einige Monate mit seinem Vater in New York und lernte die Stadt als sehr gefährlich kennen. Damals habe die East Side teilweise leer gestanden und jede Nacht gebrannt, es habe viel Kriminalität gegeben. Sein Vater fühlte sich dort überfordert und reiste nach wenigen Monaten mit seinem Sohn hinter den eisernen Vorhang zurück.
Dann folgte eine weitere Lesung über das harte Leben 1899 in New York und in das Jahr 1919 im rumänischen Donaudelta. Die Landschaft dort sei unglaublich schön, das Leben der Menschen sehr hart. Sie hätten einen unendlichen Horizont, im Winter Winde aus Sibirien, im Sommer brennende Hitze. Es sei ein archaisches Leben dort und obwohl die Menschen in New York sehr anders leben würden, vor lauter Hochhäusern der Horizont nicht sichtbar sei, würde sie auch vieles verbinden. Viele Menschen blieben in ihren Träumen gefangen, sich durchzusetzen und zu überleben sei an beiden Orten nicht leicht. Der Mensch sei dort wie ausgesetzt. Er selbst stelle sich die Frage nach Glück auch oft und rede gerne vom kleinen Glück, das einem im Alltag begegnen könne.
Früher habe es im Donaudelta eine Kolonie für Leprakranke gegeben. Davon wisse heute kaum noch jemand. Florescu besuchte die letzten Überlebenden dort, die nicht mehr ansteckend sind. Teilweise hatten sie sogar gesunde Kinder, die ihnen weggenommen wurden. Eine der Figuren erkrankt an Lepra und landet in dieser Kolonie, just bevor die Kommunisten zum ersten Mal eine Wahl in Rumänien gewinnen. So werden dann zwar der Körper und die Seele der Figur verformt, andererseits ist sie jedoch sicher vor dem Kommunisten wie es damals nur möglich war.
Hier sprach er wieder vom kleinen Glück. Jeder könne die Erzählung seines eigenen Lebens aufrollen. Man müsse nur beginnen, es zulassen können. Heute sei das Leben nicht überall anders als damals 1919 im Donaudelta. Er habe einen Bericht über einen zwölfjährigen Syrer vor Augen, der nach dem Tod des Vaters seine Familie ernähren muss.
Viele Immigranten hätten die Fähigkeit, sich anzupassen. Die Sprache des neuen Landes zu lernen ist seiner Meinung nach das A und O und es sei für ihn selbst nie eine Frage gewesen, Deutsch zu lernen. Die meisten Immigranten wollten sich einfügen, wo auch immer sie landen. Bei ihm selbst sei es nur Zufall gewesen, dass es die Schweiz war. Eine Entscheidung weniger Minuten, sonst wäre es vermutlich Deutschland gewesen.
Das sei die Botschaft seines Buches: Emigration sei die Regel, nicht die Ausnahme.
Damals musste die Immigranten in den USA in Sweatshops arbeiten und die Schlepper logen genau wie heute. Die 2. und 3. Generation habe sich andere Namen gegeben und den unbedingten Willen, es zu schaffen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunders seien viele Größen im Schaugeschäft aus Einwandererfamilien gekommen. Sie hätten den Grundstein für die moderne Gesellschaft dort gelegt. 1899 habe die Unterhaltungindustrie ihren Ursprung in Tin Pan Alley gefunden, so benannt nach dem Geräusch, das die Klaviere im Sommer machten. Praktisch alle Musikverleger hatten ihre Büros dort.
Die riesigen und sehr populären Vaudevilletheater seien auch eine Form der Demokratisierung des Theaters gewesen, dort hätte jeder eine Chance bekommen und nicht wenige begannen ihre Karriere dort.
Trotz alles Nostalgie war auch klar, dass es harte Zeiten waren, in denen eben jenes kleine Glück zählte.
Dann war die Zeitreise schon vorbei und Thomas Bille bedankte sich bei Florescu, dem Mann, der für ihn das Glück in die Buchmesse 2016 gebracht habe.