Die Moderatorin Shelly Kupferberg stellte Eshkol Nevo kurz als einen der erfolgreichsten und beliebtesten Autoren in Israel vor, einem vergleichsweise recht kleinen Buchmarkt. Seine Bücher seien häufig ausgezeichnet worden und in viele Sprachen übersetzt.
Eshkol Nevo erwiderte, er könne sich nicht beschweren, weil in Israel viele Leser sehr emotional seien. Er pflege einen sehr engagierten Austausch und genieße auch die eher fordernden Leser. Dank seiner Fans tourt er praktisch seit 12 Jahren auf Lesereise durch sein Heimatland.
Für ihn immer wieder erstaunlich sei, dass seine Bücher auch im Ausland so gut ankommen. So sei er vor einiger Zeit in Deutschland von einer Frau angesprochen worden, der die Lektüre von „Neuland“ sehr viel bedeutet habe. Dabei wohne sie in einem ganz anderen Umfeld als er selbst und die Figuren im Buch, lese das Buch in einer anderen Sprache. Ihre Begeisterung bewege ihn.
Zu „Die einsamen Liebenden“ könne er ausnahmsweise genau sagen, woher die Inspiration kam. Sein Vater wohne in einer kleinen Stadt im Norden Israels und lud ihm immer wieder ein, dort Zeit zum Schreiben zu verbringen. Seinem Empfinden nach sind 99% der Bewohner dort ältere russische Immigranten, das restliche 1% sein Vater. Die meist über 70-Jährigen sprechen in der Regel ausschließlich Russisch und so war leider kein Austausch möglich, obwohl Eshkol Nevo sich mehr als einmal dachte, dass diese Menschen bestimmt interessante Geschichten erzählen könnten.
Beim Spazierengehen sah er an einem trostlosen Platz einen Kindergarten ohne Kinder, eine Bushaltestelle an der keine Busse hielten und einen Rohbau. Was würde der Bürgermeister dort wohl bauen lassen. Einen Schachclub oder eine Bibliothek mit russischen Büchern?
Ein Jahr später war Eshkol Nevo wieder zu Besuch bei seinem Vater und entdeckte entgeistert an dem neuen Gebäude ein Schild „Mikwe“.
Es war ihm ein Rätsel, weshalb dieses Tauchbad ausgerechnet an einem Ort gebaut wurde, an dem keine jungen orthodoxen Frauen wohnen und er wollte wissen, was der Bürgermeister tun würde, damit die älteren Babushkas (sic) dort baden gehen würden.
(Hier erzählte er kurz, dass er sich bei der ersten deutschen Lesung aus einem seiner Bücher gewundert habe. Denn in seinem Buch kämen ganz sicher keine Hamburger vor. So lernte er das Wort „Bürgermeister“ kenne und möge es sehr.)
Dann wurde ein Auszug aus dem Buch gelesen, in dem mit einem Augenzwinkern um die Entstehung besagter Mikwe ging.
Leseprobe mit dieser Stelle bei dtv
Während der Arbeit an „Die einsamen Liebenden“ habe er mit einer Freundin über die Figuren gesprochen, u.a. Naim (?), eine Ornithologe, der zufällig auch Militärbasis auf der Suche nach seltenen Vögeln beobachtet. Das sei in Israel ein sehr ungewöhnliches Hobby und Eshkol Nevo war sich sicher, dass es so jemanden nicht wirklich geben könne. Genauso einen Menschen kenne sie tatsächlich und stelle die beiden einander vor. Es sei sehr skurril gewesen, eine selbst erfundene Figur dann aus Fleisch und Blut kennenzulernen. Der Ornithologe hatte es vor allem als Kind aufgrund seinen ausgefallenen Hobbys tatsächlich nicht leicht.
Als das Buch dann erschien, erwartete Eshkol Nevo Beschwerden von orthodoxen Rabbis wegen seiner Schilderungen über die Mikwe und das Leben in dem Viertel. Doch ganz im Gegenteil blieb es aus dieser Richtung still und er habe viele positive Reaktionen von religiösen Menschen bekommen.
Vor 15 Jahren sei sein Buch in dieser Form und mit diesem Echo nicht möglich gewesen. Heute beobachte er gerne, wie Leser sein Buch lesen würden, wenn auch manchmal unter dem Tisch.
Die Themen Loyalität, Familie und Begehren seien universell in jeder religiösen Gemeinschaft und seine Leser würden zu Hause über den Inhalt sprechen. Sehnsüchte, Leidenschaft, Beziehungen aller Art sprächen selbstverständlich auch orthodoxe Leser an und er habe sogar Anrufe mit konstruktiven Verbesserungsvorschlägen für das Buch bekommen. Wie z.B., dass eine weibliche Figur selbstverständlich jederzeit einen Mann begehren könne, am Freitag jedoch vermutlich sehr beschäftigt mit den Vorbereitungen für den Sabbat sei.
Ihm gehe es darum, wie Frauen in einer religiösen Gesellschaft behandelt und wahrgenommen werden. Draußen seien sie orthodox und auf dem Tisch liege der Talmud. Drinnen ändere sich einiges und der Deal mit den religiösen Gemeinden sei derzeit, dass der Wandel in Ordnung sei, solange er zu Hause stattfinde.
Viel zu schnell endete eine humorvolle und interessante Veranstaltung, die zeigte, dass sich auch in Israel vieles im Umbruch befindet.
(Am gleichen Tag fand dort auch eine Lesung zu „Regretting Motherhood: Wenn Mütter bereuen“ von Orna Donath statt.)