Auf diese Lesung war ich sehr gespannt, immerhin wurde Mai Jia als „chinesischer Dan Brown“ und allgemein als dortiger Bestsellerautor angekündigt und das in China bereits 2002 erschienene „Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong“ liegt hier momentan in vielen Buchhandlungen aus.
Die Lesung fand im Leipziger Konfuzius Institut statt, mehr oder minder dem Gegenstück zu den deutschen Goethe Instituten.
Moderiert wurde sehr gekonnt durch Frau Dr. Jing Bartz, die interessante Fragen sowohl an den Autor selbst als auch an seine Übersetzerin Karin Betz. (Sehr erfreulich, dass nicht wieder eine englische Übersetzung dann ins Deutsche übersetzt wurde, wie leider so häufig bei asiatischen Autoren üblich.)
Eingangs bedankte Mai Jia sich ausführlich bei DVA Verlag und dem anwesenden Publikum, dann folgte eine kurze Vorstellung.
Mai Jia hat bisher sieben Romane auf Chinesisch veröffentlich, von denen alle für das Kino oder Fernsehen verfilmt wurden. Außerdem habe er alle wichtigen chinesischen Literaturpreise gewonnen und seine Bücher seien kommerziell sehr erfolgreich, daher sei er wohl in jeder Hinsicht einer der erfolgreichsten Autoren innerhalb Chinas.
Karin Betz studierte in Chengdu und arbeite als Übersetzerin für Chinesisch, Englisch und Spanisch.
Obwohl es in China üblich sei, dass professionelle Schauspieler einige Textstellen vortragen, las Mai Jia persönlich einen sehr kurzen Abschnitt auf Chinesisch vor. Seiner eigenen Aussage, damit das Publikum kurz seine Stimme hören könne, wenn auch ohne Chinesisch zu verstehen. (Ein guter Teil des Publikums machte den Eindruck, Chinesisch sehr gut verstehen zu können.)
Im Anschluss las Karin Betz zwei Schlüsselszenen aus dem Leben der Hauptfigur Rong Jinzhen vor, die fast nebenbei viel über chinesische Traditionen erzählten. Zuerst ging es darum, wie Jinzhen zu seinem Namen kam und welche Schriftzeichen verwendet wurden, dann um den Tag seines Aufbruchs an die Hochschule.
Es folgt die Frage, wie Mai Jia zu der im Westen gerade sehr aktuellen Debatte persönliche Freiheit versus Staat bzw. System stehe.
Seiner Meinung nach sind die Menschen heute ausgeliefert, auch Frau Merkel könne mit ihrem Handy nicht entkommen. Zwar wünschten sich die Menschen Freiheit, jedoch solle gleichzeitig auch verhindert werden, dass andere sich ihren Wunsch zu töten erfüllen können. Vielleicht stecke tief in den Menschen der Wunsch, die individuelle Freiheit für Sicherheit aufzugeben.
Auf die Frage ob 17 Jahre bei der Armee und dem Geheimdienst ihn geprägt hätten und die Inspiration zu diesem Buch waren, kam eine unerwartete Antwort.
Mai Jia sei vor langer Zeit in eine Frau verliebt gewesen, die ihn nach einem Jahr verließ weil er nicht gut genug für sie gewesen sei. Diese Erfahrung habe ihn geprägt und die so erlittene Verletzung wollte er verarbeiten. Auch beim Geheimdienst seien die Erwartungen sehr hoch gewesen, man lebe mit einer besonderen Gruppe von Menschen in einer sehr speziellen Welt. Laut seiner Aussage sei er nicht gut genug für diese Arbeit gewesen, wolle seinen Lesern jedoch diese Welt zeigen.
Das war natürlich eine Steilvorlage für die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Buches.
Zuerst antwortete er mit „alles in dem Buch sei fiktiv“, er könne nicht das aufschreiben was er erlebt habe. Andererseits seit auch nicht alles gelogen, es verhielte sich hier wie mit Rosen und Rosenöl.
Das Manuskript wäre in China zuerst von 17 Verlagen abgelehnt worden, danach sei es durch seine eigenen Überarbeitungen ein guter Roman geworden. Wir sollten keine Angst vor Ablehnung haben, vielleicht liege darin die Wurzel unseres Erfolgs.
Karin Betz erzählte, dass sie an der Universität rund 2000 Schriftzeichen gelernt habe, die im Laufe der Zeit immer neu zusammengesetzt weitere Wörter zum Lernen ergeben.
Für sie sehr angenehm ist Mai Jias moderner Schreibstil, während zahlreiche chinesische Autoren ihre Bücher auch heute noch in vormoderner Sprache mit vielen antiken Sprichwörtern verfassen. Mai Jia hingegen schreibe so, wie die Menschen heute sprechen.
Bisher seien noch nicht so viele Romane aus China ins Deutsche übersetzt worden, weil einerseits die fremdländischen Namen problematisch seien und es auch erst seit den 80er Jahren wieder einen Markt für Literatur in China gebe. Andererseits interessieren sich viele Leser für das Exotische, wie z.B. die Erklärung der Namensgebung oder die Rituale beim Abschied. Die deutsche Presse möge Bücher aus China nicht so gerne und einen Roman zu lesen dauere länger als sich eine Meinung über den Autor zu bilden. Wie z.B. bei Mo Yan, der als Vorsitzender des staatlichen Schriftstellerverbandes automatisch als völlig regimetreu eingestuft werden. Seine durchaus dem Staat gegenüber kritischen Bücher würden dann nicht mehr gelesen.
Mai Jia wich Fragen in Richtung Politik aus. Es sei schnell von Literatur zu Politik gewechselt worden, die in den Augen eines Literaturkritikers vielleicht eine große Rolle spiele – in Mai Jias Augen hingegeben sei die Literatur größer als die Politik. Politik lehre und zu streiten, Literatur wie ein Mensch seine Persönlichkeit entwickele. Wenn man schon im großen Land der Literatur zu Hause sei, dort frei sei, warum solle man in das kleine Feld der Politik springen.
In Hollywood arbeite bereits ein zehnköpfiges Team daran, ein Drehbuch zu diesem Roman zu schreiben. Wie es sein Leben verändert habe, der kommerziell erfolgreichste Autor Chinas zu sein.
Diese Frage wolle er nur unter vier Augen beantworten, über Geld würde man in der Öffentlichkeit nicht reden, aber hier schon klarstellen, dass er immer korrekt Steuern bezahlt habe.
Dann durfte das Publikum noch Fragen stellen und zuerst kam die eulenübliche Frage nach seinem nächsten Buch. Darin kehre er in seine Heimat und Kindheit zurück, es sei ganz anders als das aktuell vorgestellte.
Seiner Ansicht nach gab es in der chinesischen Literatur kein Vorbild für einen Spionageroman. Die Vorbilder für dieses Buch seien tatsächlich aus dem Westen gekommen, aber auch die chinesische Literatur habe in anderer Hinsicht als Vorbild gedient.
Er würde sich freuen, wenn weitere Romane von ihm ins Deutsche übersetzt würden. Die Vielfalt und Intensität des Austauschs mit anderen chinesischen Schriftstellern würde unsere Vorstellungskraft vermutlich übersteigen. Es gebe zahlreiche Partys, teilweise von der Partei, teilweise privat organisiert. Schriftsteller zu sein sei ein harter Job, aber er genieße es, mit anderen Autoren gemeinsam etwas zu trinken, essen und zu lachen.
Karin Betz erzählte dass für sie eigene Lebenserfahrung die wichtigste Vorsetzung für einen guten Literaturübersetzer sei. Selbst intensiv leben und andere Menschen beobachten, sonst könne man das Leben nicht abbilden.
Auf die Frage, ob die Thematik nicht 50 Jahre der Geheimhaltung unterliege reagierte er sichtlich irritiert und wollte wissen, wo die Fragestellerin arbeite. Und ja, die Thematik unterliege 30-50 Jahren Geheimhaltung.
Damit endete gut 90 Mintuen eine interessante Veranstaltung die auch irgendwie das Gefühl hinterlies, kein Stückchen schlauer zu sein – was bei der Thematik Geheimdienste und Spionage in China auch irgendwie zu erwarten war.