Worum es geht
Die 23-jährige Irina Bazili bekommt eine Anstellung in einer Seniorenresidenz in San Francisco, Kalifornien, und avanciert bald zur persönlichen Assistentin einer reichen Witwe und exzentrischen Künstlerin. Alma Belasco ist über 80, und doch erhält sie Briefe auf kostbarem Papier, die nicht einmal Irina in Empfang nehmen darf. Außerdem verschwindet sie des öfteren für einige Tage, doch niemand weiß, wo sie sich aufhält, auch nicht ihr Lieblingsenkel Seth. Welches Geheimnis hütet Alma, und wird sie es für die Familiengeschichte, die Seth verfassen will, preisgeben?
Wie es mir gefallen hat
Der Anfang der Geschichte war wirklich vom Feinsten, sprühend vor Geist und Witz, mit herrlichen Szenen, wie Irina vom "Franzosen", einem 90-jährigen Heimbewohner galant umworben wird, und schließlich in Almas Dienste gelangt. Danach verbreitert sich die Handlung zu einem epischen Strom, und in drei Familienschicksalen verpackt Isabel Allende so viele Themen, dass sie daraus wohl noch fünf Bücher hätte machen können.
Neben der schrecklichen Kindheit und Jugend Irinas geht die Autorin auch weit in die Vergangenheit zurück. Der Leser begleitet die erst 8-jährige Alma 1939 auf ihrem Weg von Danzig nach Amerika zu Onkel und Tante, wo ihr bereits jetzt die beiden wichtigsten "Männer" ihres Lebens begegnen, ihr Cousin Nathaniel und der Sohn des Gärtners, Ichimei Fukuda. Ein weiterer Handlungsstrang ist die Auswanderung von Ichimeis Vater in die Vereinigten Staaten, aber auch die sonst in Romanen wenig thematisierte, jahrelange Isolierung der japanischen Mitbürger in Lagern nach dem Angriff auf Pearl Harbor. Doch damit ist längst noch nicht Schluss; von der Ermordung der osteuropäischen Juden über Kindesmissbrauch und Pornografie, Homosexualität und Aids, Sterbehilfe, Alter, Krankheit und Tod spannt die Autorin ihren Handlungsbogen.
In diesem großen Fluss der Ereignisse und des Erzählens geht meiner Meinung nach aber eines unter, die persönliche Entwicklung der Hauptakteure. Weder Alma, noch Nathaniel oder Ichimei sind mit den Ecken und Kanten eines realen menschlichen Wesens vor mich getreten. Keine Zweifel, Ängste oder Sorgen plagen weder Betrüger noch Betrogene, und im Laufe dieser langen Menschenleben habe ich jede charakterliche Prägung vermisst. Vor allem Alma ist mir wie eine ewig Jugendliche erschienen, die nicht die Reife einer zufrieden gealterten Persönlichkeit an den Tag legt. Ihr Verhalten fand ich rückblickend höchst seltsam, fast schon pubertär, dass ich ihr letzten Endes nicht einmal mehr diese eine, große, alles beherrschende Liebe abgenommen habe. Und auch Ichimei ist nicht mehr als ein blasses Gespenst geblieben, aalglatt und ferne, eine Figur, mit der ich nie so richtig warm geworden bin.
Obwohl insgesamt auf allen Linien viel, dazu meist Tragisches passiert, ist mir alles irgendwie doch zu glatt gegangen. Entsprechend kühl, fast schon distanziert fand ich den Ton der Erzählung; es wird mehr von Leidenschaften geschrieben, als dass ich das Gefühl gehabt hätte, sie würden auch gelebt und empfunden. Vielleicht wäre es besser gewesen, einige Themen wegzulassen, andere dafür intensiver auszuarbeiten.
Gar nicht gefallen hat mir die Geschichte um Seth und Irina. Ein gut aussehender junger Anwalt aus reicher Familie ohne feste Beziehung wirbt jahrelang um eine Moldawierin, und hat nicht nur stets ein offenes Ohr für ihre Probleme, sondern immer auch ein freies Zimmer in seiner Penthousewohnung. Und das alles natürlich völlig selbstlos. Dieser Inhalt erinnert mich eher an Grimms Märchen, Aschenputtel vielleicht, aber nicht an die harte Lebensrealität.
Wie viele alternde Schriftsteller hat sich Isabel Allende in ihrem Roman mit den großen Themen des Lebens befasst, Erinnerungen an die Liebe, Krankheit und Tod. Mir hat das Buch trotz seiner Überfrachtung an Inhalten nicht schlecht gefallen, ein Meisterwerk ist es wohl nicht geworden, und weniger wäre in diesem Fall vielleicht sogar mehr gewesen.
Unbedingt erwähnenswert ist die Sprecherin, Barbara Auer, die ganz ausgezeichnet vorgetragen hat.