Gebundene Ausgabe: 640 Seiten
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
erschienen am 10. März 2016
zur Autorin:
Cora Stephan ist seit mehr als dreißig Jahren freie Autorin und schreibt Essays, Kritiken, Kolumnen – und Bücher. Neben zehn Sachbüchern hat sie unter dem Pseudonym Anne Chaplet zehn preisgekrönte Kriminalromane veröffentlicht.
zum Inhalt:
Als Margarete Hegewald im Winter 1936 beschloss, kein kleines Mädchen mehr zu sein, ahnte sie nicht, dass sich bald ihr Leben ändern würde. Mühsam kann sie ihre Eltern überzeugen, mit der Schule aufzuhören und eine Lehrstelle bei Photo-Werner, dem ersten Fotografen in Stendal zu beginnen. Mit dieser Aussicht träumt sie von der Freiheit. Ihre Zukunft bekommt einen weiteren Höhepunkt als sie Alard von Sedlitz, einen Angestellten beim Auswärtigen Amt in Berlin, kennenlernt. Dieser ist aber mehr zu ihrer Kollegin Helene hingezogen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhindert hier jedoch ein Happyend.
meine Meinung:
Cora Stephan beginnt ihre Geschichte um die beiden Freundinnen Margo und Toni mit einem Porträt der Gesellschaft im Stendal der 30-er Jahre. Die Kleinstadt an der Elbe war eher bieder als weltoffen und viele hingen noch den alten Traditionen nach. Die Veränderungen, die die Machtübernahme der NSDAP nach sich zog, waren bereits mit dem Aufgebot des Militärs zu spüren. In der Zeit, in der Margo ihrer Kindheit entflieht, überwiegt aber die Freude über die Neuerungen der Technik und der beginnenden Mobilität. Auch Margo spart wöchentlich für einen Volkswagen. Die bekannten Fakten aus der Vorkriegszeit des Zweiten Weltkriegs bestimmen die Kulisse für die beginnende Familiengeschichte.
Tonis Bruder Henri interessiert sich bald für Margo. Die Freundinnen sind inzwischen entzweit, sodass Toni von der Verbindung nicht begeistert ist. Während des Krieges verdient sich Henri einige Auszeichnungen, gerät aber in Gefangenschaft. Zehn Jahre besteht die Liebe der beiden lediglich auf dem Papier in Form von Briefen. Das Paar übersteht die Kriegswirren und heiratet. Margo verschweigt Henri, dass sie auf der Flucht ihre Tochter Emma verloren zu haben glaubt. Die Tochter von Alard hatte sie seit dem Überfall auf das Schlesische Gut nicht mehr gesehen. Nur der Leser weiß, dass Helene hier rettend eingegriffen hat. Stets schließen sich hier die Kreise, die die Autorin um ihre Figuren zieht.
Nach dem Ende des Kriegs führt Helene ihr Leben als angesehene Genossin im Arbeiter und Bauernstaat. Margo hat sich mit ihrer Familie in der Nähe von Osnabrück niedergelassen. Hier fand sie eine anspruchsvolle Arbeit, die bald ihr ganzes Leben ausfüllt. Am Beispiel dieser beiden Frauen werden die gegensätzlichen Lebensformen zwischen Ost und West beschrieben. Obendrein strickt die Autorin ein geschicktes Spionagenetz, das nicht nur die Existenz der beiden Figuren bedroht, sondern im Kalten Krieg eine besondere Bedeutung hat. Agenten gab es bekanntlich auf beiden Seiten der Mauer und nicht zuletzt durch den innerdeutschen Terror in den 70-er Jahren wurden diverse Schlupflöcher durch den eisernen Vorhang deutlich.
Als 1989 diese Mauer fiel, wurde die Nachkriegsgeneration der DDR über Nacht in eine neue Lebensweise gestoßen. Verinnerlichte Prinzipien legt man nicht so schnell ab. Im dritten und letzten Teil des Romans fällt es nicht schwer, sich diese emotionale Zerrissenheit der linientreuen, nun ehemaligen Bürger der Zone vorzustellen. Helene hat genügend Kenntnisse, um den Leser eine erschreckende Wahrheit mitzuteilen.
Das Buch erzählt zeitgenössische Geschichte, die es wert ist, immer wieder in Erinnerung gerufen zu werden. Der Blickwinkel wird hier auf Höhe des Volks gelenkt. Die meisten dieser Menschen hatten keinen Einfluss auf die Politik und mussten sich dem Druck beugen. Während in der Zeit kurz nach 1945 noch die Erleichterung um den Frieden überwiegt, muss 1953 eine Barriere zwischen den beiden Staaten gezogen werden, damit das kommunistische Regime uneingeschränkt walten kann. Hier kommen Aspekte wie Familie, Heimat und eben die Hoffnung, es werde alles nicht so schlimm, zum Tragen, die Familien und Freunde entzweien. Die Entwicklung über gerade mal 70 Jahre erhält durch seinen Erzählstil eine farbige und plastische Darstellung. Der innerdeutsche Geschichtsunterricht bekommt von mir eine unbedingte Leseempfehlung. Zum Glück wird es eine Fortsetzung geben.