Titel: Isara: Eine Reise rund um den Vater
Autor: Wole Soyinka
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: Isara: A Voyage around Essay
Inhalt:
In der zweiten Reihe von Soyinka's biographischen Wert nach Aké geht es um den Vater des Autors. Soyinka findet mehrere Jahre nach dem Tod seines Vaters einen kleinen Kasten mit seinen Briefen, Notizen, Rechnungen und Zeitschriften und nimmt von denen die Inspiration, eine Erzaehlung über ihn zu schreiben, der halb auf Fakten basiert, halb fiktiv ist aber hauptsaechlich den Geist seines Vaters widergeben soll. Es wird das Leben seines Vaters nicht chronologisch erzaehlt, vielmehr ist es nur die Beschreibung einer kurzen Zeitspanne, in der sein Vater als Schuldirektor in einer größeren Stadt (Abeokute) seine Heimatstadt (Isara) waehrend der Ferienzeit besucht, dort seine alten Schulfreunde und Familienangehörige wieder trifft und eine wichtige Rolle bei der Wahl des neuen Königs von Isara spielt. Mit gelegentlichen Flasbacks wird über seine Schulzeit und Jugend ebenfalls berichtet. Im Hintergrund wütet schon der 2. Weltkrieg, und die Bildungsschicht von Nigeria macht sich ernsthafte Gedanken über den Kolonialismus...
Meine Meinung:
Ich muss gestehen, dass ich diese Genre "Biographie / Autobiographie" eigentlich nicht mag und das erste Buch der Reihe nur deswegen gelesen habe, weil es irgendwie in meine Bücherregal gekommen ist und schon seit mehreren Jahren ungelesen dort lag. Nach dem ersten Buch, Aké, musste ich aber ziemlich schnell die restlichen Bücher der Erinnerungsserie bestellen! Meiner Meinung nach hat Soyinka einen revolutionaeren Zugang zu dem Genre, er beschreibt die Ereignisse nicht chronologisch und legt nicht allzu großen Wert auf die praezise Aneinanderreihung der Ereignisse, vielmehr vermittelt er ein Lebensgefühl von damals mit all seinen Farben, Gerüchen und Geraeuschen, so dass man tatsaechlich in eine fremde Welt hineintaucht. Bei Isara ist es so, dass das Buch mit einem Bild eröffnet wird von einem Mann, der an seinem Schreibtisch sitzt und seine Briefe liest, nach und nach wird seine Umgebung erleuchtet, wie ein Gemaelde, das dem Leser Stück für Stück gezeigt wird. Soyinka wirft den Leser völlig unvorbereitet und ohne Vorwarnung in eine fremde Welt rein, man versteht am Anfang viele Abkürzungen, Spitznamen und Witze nicht, aber wenn man die nötige Geduld und Neugier mitbringt, wird es im Verlauf dem Leser klar und man kann mitschmunzeln, obwohl die nigerische Kultur und Gepflogenheiten einem völlig fremd sind und man wird irgendwie das Gefühl haben, dass man dazugehört, dass man selber dort gelebt hat und tagtaeglich mit diesen Menschen zu tun hatte.
Ich finde es bezaubernd, wie geschickt Soyinka Flashbacks oder einen Themen-/Perspektivenwechsel einleitet, dafür braucht der Autor weder ein neues Kapitel oder oft nicht einmal einen neuen Absatz. Der Protagonist sieht einen Gegenstand, der ihn an seine Jugendzeit erinnert, und schon sitzen wir mit ihm zum ersten Mal in unserem Leben in einer Eisenbahn, der Fluss der Erzaehlung wird nicht unterbrochen und oft wundert man sich, wie man so unbemerkt durch Zeit und Raum reisen konnte.
Bemerkenswert ist zudem die unglaublich bildhafte Sprache des Autors, so dass man die beschriebenen Menschen und Orte vor seinen Augen sieht (und in meinem Fall sogar nachts von denen traeumt). Seine Sprache ist anspruchsvoll, er hat einen unfassbar breiten Wortschatz, der den Leser etwas herausfordern mag, das gilt aber für die englische Version, die ich gelesen habe.
Einziger kleiner Kritikpunkt ist, dass man durch die vielen Namen und Spitznamen einer Person (im Falle des Vaters: Soditan Akinyode, Yode, S.A., Essay), die ohne Vorwarnung in unterschiedlichen Situationen eingesetzt werden, doch etwas verwirrt wird und den Überblick über die vielen Charaktere verliert. Für den nigerischen Leser wird das wahrscheinlich kein Problem darstellen, wenn einem die Yoruba-Kultur fremd ist, ist es streckenweise schon anstrengend.
Alles in allem eine sehr lohnenswerte Lektüre, vor allem wenn man schon Aké gelesen hat, wird man hier erfahren, wie der Schuldirektor und der König mit Wole verwandt sind, man wird mehr über den Großvater erfahren, über die Verwandten, die Handel betreibend umherziehen und über die zahlreichen Kollegen des Vaters, die im Haus allgegenwaertig zu sein scheinen. Man kann dieses Buch aber auch unabhaengig von allen anderen lesen und genießen. Eine sehr liebevoll geschriebene, lebhafte Erzaehlung.