Ohrfeige - Abbas Khider

  • Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
    Verlag: Carl Hanser
    2016


    Kurzbeschreibung:
    Ein Flüchtling betritt die Ausländerbehörde, um ein letztes Mal seine zuständige Sachbearbeiterin aufzusuchen. Er ist wütend und hat nur einen Wunsch: dass ihm endlich jemand zuhört. Als Karim drei Jahre zuvor von der Ladefläche eines Transporters ins Freie springt, glaubt er in Frankreich zu sein. Bis dorthin hat er für seine Flucht aus dem Irak bezahlt. In Wahrheit ist er mitten in der bayerischen Provinz gelandet. – Er kämpft sich durch Formulare und Asylunterkünfte bis er plötzlich seinen Widerruf erhält und abgeschoben werden soll. Jetzt steht er wieder ganz am Anfang. Dieser ebenso abgründige wie warmherzige Roman wirft eine der zentralen Fragen unserer Gegenwart auf: Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er weder in der Heimat noch in der Fremde leben darf?


    Über den Autor:
    Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. Mit 19 Jahren wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Nach der Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und hielt sich als »illegaler« Flüchtling in verschiedenen Ländern auf. Seit 2000 lebt er in Deutschland und studierte Literatur und Philosophie in München und Potsdam. 2008 erschien sein Debütroman Der falsche Inder, es folgten die Romane Die Orangen des Präsidenten (2011) und Brief in die Auberginenrepublik (2013). Er erhielt verschiedene Auszeichnungen, zuletzt wurde er mit dem Nelly-Sachs-Preis sowie dem Hilde-Domin-Preis geehrt. Abbas Khider lebt zurzeit in Berlin.


    Mein Eindruck:
    Abbas Khider konnte mich schon mit seinem Roman "Die Orangen des Präsidenten" sehr überzeugen. Sein neuer Roman Ohrfeige ist zwar ganz anders, hat aber doch einen hohen Wiedererkennungswert, da der Autor über einen eigenen Ton verfügt.
    Ihm gelingt es, dass sich der Leser in seine Figur, dem Ich-Erzähler, hineinversetzen kann. Der Plot ist teilweise absurd, es fließt neben der Dramatik auch eine gewisse Komik in den Text. Abbas Khider ist es wichtig, dem deutschen Leser zu zeigen, wie ein Flüchtling sich fühlt und worin sein Verhalten begründet liegt. Er wählt bewusst keine Figur, die aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen fliehen musste. Es gibt einen anderen Grund, den ich hier noch nicht verraten möchte. Es zeigt sich, dass auch andere Gründe zwingend sein können.


    Allerdings ist die Geschichte nicht in der Gegenwart angelegt sondern Anfang 2000. Der Iraker Karin Mensy wollte eigentlich nach Paris, doch seine Schlepper verfrachten ihn nach Deutschland. Verwirrend für den jungen Mann, ausgerechnet in Dachau zu landen und dann ins Asylantenheim in Bayreuth (er versteht Beirut) zu kommen. So wird einiges an Situationskomik erzeugt, die aber natürlich die innere Verzweiflung des Protagonisten nicht überdecken kann.
    Die Deutschen kommen im Roman nicht zu Wort. Ein mal, ein einziges Mal, wird uns in Person der Frau Meier, die Karins Asylantrag bearbeitete, der Mund zugeklebt und wir müssen zuhören. Schnell kann man sich der Geschichte nicht mehr entziehen.
    Karin hat Probleme mit der Bürokratie und den Behörden. Die Chance auf eine Zukunft in Deutschland ist nicht groß, nach Nine-Eleven standen die Araber außerdem im Fokus des Misstrauens.


    Es ist offensichtlich, dass Abbas Khider teilweise aus eigenen Erfahrungen schöpft und daher das fragwürdige System des Umgangs mit Asylsuchenden kennt.


    Ab und zu fragte ich mich aber schon, ob es stilistisch nicht zu flapsig wird und Klischees nicht doch zu leichtfertig verwendet werden.
    Aber damit kann ich leben, da sich der Roman flüssig und unterhaltend liest.


    Der Begriff Schelmenroman ist eigentlich keine schlechte Bezeichnung für dieses Buch.

  • Schelmenroman muss ich massiv in Zweifel ziehen. Sicher da kann einer mit Sprache umgehen und kann daher auch Humor erzielen, aber beschrieben wird hier wie sich ein Flüchtling fühlt dem niemand zugehört hat und dem niemand zuhören will. Ein Mensch, der sich als hin- und herzuschiebendes Objekt wahrnimmt, dessen Träume, Wünsche, Sehnsüchte so wenig interessieren wie seine Ängste und Albträume, seine Persönlichkeit ist egal. Da kann er keinen Sprachkurs in Deutschland machen, der wird ihm nicht bezahlt. Soll er arbeiten, aber Arbeit ohne Sprache? Da hat er Abitur- interessiert niemand, wird nicht anerkannt. Studieren? Kannst du vergessen, erstmal Sprachkurs Level B2 vorlegen- ach ja hatten wir ja schon. Sprachkurs ist nicht.


    Sicher das ganze Buch ist aufgemacht als Wutansprache des Asylanten mit widerrufenem Aufenthaltsrecht, der seine Frustration seiner Sachbearbeiterin beim Amt (erst langsam wird klar, dass es sich um die Ausländerbehörde handelt) entgegenschleudert, der Frau, die mit ihrem Stempel sein Schicksal steuern konnte. Er sagt Erdling trifft Marsianer- nein es liegt nicht daran, dass er arabisch spricht und Frau Schulz deutsch- auch so würden beide einander nie verstehen. Dennoch versucht er seine Wut, seine Enttäuschung und seine Frustration auszurücken und zu beschreiben wie sein Leben verlaufen ist in diesem Deutschland in dem er angespült wurde aufgrund von Regelungen und Gesetzen, die er nicht kennt und nicht versteht, er wollte ja zu Verwandten in Frankreich, aber einmal registriert in Deutschland und Frankreich liegt auf dem Mond.


    Ja, dieses Buch sollte jeder lesen und ja, es ist sehr lesbar geschrieben, auch mit hintersinnigem Humor, aber nein, ein Schelmenroman ist es nicht. Es ist die Tragödie unseres Lebens und die des Protagonisten Karim.

  • Vor dem Hintergrund der heutigen sog. Flüchtlingskrise (die nicht der Hintergrund des Buches ist, es spielt 2000/2001) finde ich den Roman etwas schwer verdaulich. Der Held, der ursprünglich gar nicht vorgehabt hat, in Deutschland Asyl zu beantragen, hat auch keinen Asylgrund, er erfindet einen, weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Und soweit ich erkennen kann, erfinden praktisch alle anderen Asylbewerber, von denen in dem Buch erzählt wird, eine Geschichte. Der Autor denunziert Asylbewerber praktisch als Lügner.


    Nun ist Khider Gott sei Dank mit gesundem Humor gesegnet (nach allem, was über ihn ihm Netz zu finden ist, ist er ein Mensch, der gern und herzhaft lacht) und sein Primärziel, die Entlarvung des Asylsystems als seelenlose Maschinerie, ist erreicht.


    Trotzdem hat vor dem aktuellen Hintergrund das Buch einen sehr bitteren Nachgeschmack. Man kann jede Zuversicht verlieren, dass Integration irgendwie gelingen könnte. Khider hat mehrfach in Interviews betont, es würde erstaunlicherweise so gut wie gar nicht diskutiert, dass all die Flüchtlinge, die zur Zeit in Deutschland sind, "ja irgendwann auch wieder gehen müssen". Ich weiß nicht, was er sich da genau vorstellt. Leider fragt da auch keiner der Interviewer nach.