Joan Weng: Feine Leute
Aufbau Taschenbuch 2016. 336 Seiten
ISBN-13: 978-3746631752. 9,99€
Verlagstext
Berlin im Sommer 1925: Dass Bernice ihren schwerreichen Gatten von ihrem Liebhaber hat umbringen lassen, ist eine Tatsache – zumindest für die feine Gesellschaft. Kriminalkommissar Paul Genzer ist davon jedoch nicht überzeugt, insbesondere nachdem die Witwe plötzlich an einer Überdosis Morphium gestorben ist. Während der Tod der Witwe neue Fragen aufwirft, folgen weitere Bluttaten, und so ist der proletarische Kommissar bald froh, bei seinen Ermittlungen durch den hochadligen Filmstar Carl von Bäumer ungewöhnliche Unterstützung zu bekommen. Der Leinwanddetektiv mit der Leidenschaft für Kokain kennt sich zwar bestens aus in der Welt der Reichen und Schönen, er verfolgt jedoch ganz eigene Motive.
Die Autorin
Joan Weng, geboren 1984 in Stuttgart, studierte Germanistik und Geschichte und promoviert aktuell über das Frauenbild in der Literatur der Weimarer Republik. Für ihre Kurzprosa wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Hattinger Literaturförderpreis, dem Wiener Werkstattpreis, dem Goldstaubpreis der Autorinnen Vereinigung e. V. sowie zahlreichen Stipendien. Seit 2013 leitet sie die Redaktion von www.zweiundvierziger.de, dem Blog der 42er Autoren. Sie lebt mit ihrer Familie bei Tübingen. „Feine Leute“ ist ihr erster Roman.
Inhalt
1918 kehrte Paul Genzer aus dem Ersten Weltkrieg zurück und bewarb sich wie viele seiner Kriegskameraden bei der Berliner Polizei. Genzer ist homosexuell und überzeugt davon, dass er seine sexuelle Orientierung derzeit im Griff hat. Vor rund 100 Jahren war Homosexualität noch strafbar und in seiner Position als Kriminalkommissar befand sich Genzer auf einer gefährlichen Gratwanderung. 1925 ermittelt Genzer im Todesfall des wohlhabenden Gottlieb Straumann, der tot in einem Berliner Hotelzimmer aufgefunden wurde. Details der Tat lassen an eine Inszenierung denken, um den Mord einer bestimmten Person in die Schuhe zu schieben. Kompliziert wird die Angelegenheit, als auch Bernice Straumann, die Ehefrau des Toten, ums Leben kommt. Familiäre und erotische Verbindungen - nicht nur der beiden Toten - bieten Lesern des Krimis reichlich Material zum Miträtseln. Die Figur des Carl von Bäumer, Filmschauspieler und Werbe-Ikone, verbindet die Handlung mit der glamourösen Welt der Filmschaffenden.
Joan Weng erzählt ihren verwickelten Fall mit süddeutschem Zungenschlag in lässiger, moderner Umgangssprache, die sich in die Sitten zu Paul Genzers Zeit nicht besonders glücklich einfügt. Neben der regional gefärbten Erzählstimme treten im Buch gleich mehrere Zuwanderer aus dem Südwesten auf, waschechte Berliner dagegen sind rar. Denkbar ist dieses Zusammentreffen Auswärtiger; denn zur Zeit der Handlung wanderten viele Menschen auf Arbeitssuche aus Süddeutschland ab. Falls sich die Autorin ihrer Mundartprägung bewusst sein sollte, hätte ich mir zur Hauptfigur Paul Genzer dennoch eine plausible Erklärung gewünscht, was ihn nach dem Krieg gerade nach Berlin verschlagen hat. Warum selbst der Berliner Hehler „Stielauge Kunze“ ein Zugezogener aus dem Südwesten sein muss, leuchtet mir dagegen nicht ein.
Fazit
Volker Kutscher, Susanne Goga, Simon Jaspersen - die 1920er und 30er Jahre in Berlin boomen offenbar als Setting für Kriminalromane. An Simon Jaspersens historischem Krimi Bevor die Nacht kommt hatte ich die für die Zeit der Handlung sehr moderne und zu wenig regionaltypische Sprache kritisiert. „Feine Leute“ wirkt in der Recherche und sprachlich schwächer als Jaspersens Krimi. Entbehrliche Adjektive (plus deren Steigerungen!) und Mundartausdrücke Zugezogener wuchern. Die Wortwahl von Erzählerstimme und Figuren wirkt auf mich weder für den Handlungsort noch für die Epoche treffend. Die Berliner Eigenheit knapp und schlagfertig auf den Punkt zu kommen, kann Joan Weng mir hier nicht vermitteln. Da im Vergleich Simon Jaspersen die Örtlichkeiten und die politischen Hintergründe seines anspruchsvollen Plots sehr ausführlich recherchierte und ich dafür 7 Punkte vergeben habe, bleiben aufgrund der für mich nicht überzeugenden Konzentration von Auswärtigen in Joan Wengs Berliner Szenario leider nur:
5 von 10 Punkte
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