Kurzbeschreibung:
Mattia Pascal lebt in einem fiktiven Dorf in Süditalien Anfang des 20. Jahrhunderts.
Aufgewachsen mit einem erfolgreichen Bruder, ohne Vater, als Kind einer angesehenen, aber zusehends verarmenden Familie, verstrickt er sich immer weiter in die Konsequenzen seiner impulsiven und unbedachten Handlungen.
So ist er gezwungen, Romilda zu heiraten, die schwanger von ihm ist, und, wie im traditionellen Italien üblich, ebenso seine ungeliebte Schwiegermutter mit in die Familienvilla aufzunehmen. Er muss einen Aushilfsjob in der städtischen Bibliothek annehmen (Symbol des Verfalls, des Untergangs der Kultur und deren Entfremdung vom Menschen) und fühlt sich zunehmend eingeengt und bedroht. Als seine neugeborenen Zwillinge sterben, folgt er seinem Fluchtimpuls und lässt sein altes Leben hinter sich.
Er streift durch Italien und Südfrankreich, begibt sich in die Welt von Casinos und Bars, gewinnt eine große Summe Geld und spielt mit dem Gedanken, nach Amerika auszuwandern.
Sein Leben nimmt eine drastische Wendung, als er zufällig von einem Selbstmörder nahe seiner Heimatstadt erfährt - der fälschlicherweise für ihn gehalten wird. Die Nachricht seines eigenen Todes, seiner eigenen Beerdigung stellt ihn vor neue Möglichkeiten: Er kann seine Identität wählen, endlich frei sein, ohne die lästigen Hindernisse einer Familie, einer Arbeit und Schulden. Bald jedoch offenbaren sich die Schattenseiten: Ohne Identität zu sein birgt umfassende und tragische Konsequenzen. Mattia Pascal wird zu "Fu Mattia Pascal" (italienischer Originaltitel): Der, der einmal Mattia Pascal war.
Auch sein neuer Name, Adriano Meis, kann nicht verschleiern, dass er eine Schattenexistenz führt. Stets gezwungen, zu lügen, unfähig, zu vertrauen, zu lieben, ehrlich zu sein, zu heiraten. Von den einst so selbstverständlichen Vorteilen einer legalen, zur Kenntnis genommenen und im Einwohnerverzeichnis vermerkten Existenz kann er nicht mehr Gebrauch machen. Seine Handlungen, seien sie auch gut gemeint, führen zwangsläufig in die Krise: Der Kreis seiner Geschichte schließt sich mit der Rückkehr an sein eigenes Grab.
Meine Meinung:
Ich habe das Buch auf italienisch gelesen und kenne die deutsche Übersetzung nicht, dennoch ist es, als heißgeliebter Klassiker der Italiener, ein literarisches Muss.
Mattia Pascal erzählt uns seine Geschichte des modernen Menschen. Das Werk (erschienen 1904) markiert die erzählerische Moderne und den Rückkehr des Romans in Italien, ist inspiriert vom italienischen Naturalismus und enthält dennoch poetische, sinnliche, philosophische und symbolische Passagen. Mit Pirandello werden antike Helden zu Hamlet, über denen die sichere, hermetische Weltanschauung zusammenbricht und sich das Universum mit allen Grausamkeiten offenbart. Ohne Tragik erzählt Pirandello von einem Taugenichts, der mit seltsamem Fatalismus seinem Lebensweg folgt, und führt uns die Absurdität des Lebens vor Augen.
Humor, das ist das Gefühl des Gegensätzlichen, der Komik auf den Grund zu gehen und über sie nachzudenken: Um am Ende ihren zutiefst traurigen Kern zu entdecken.
All dies zeigt uns der Autor mit einem Augenzwinkern, indem er dem menschlichen Zusammenleben seine Maske herunterreißt und das nackte Leben offenlegt.
Wer aufmerksam liest, findet hinter der Erzählung ein Netz von Philosophien, Anspielungen, Entfremdungen und Reflexionen, die ihren literarischen, denkerischen, politischen und zutiefst europäischen Kontext aufdecken.
Und es drängt sich mir eines auf: Es ist furchtbar, zerstörerisch und traurig, ohne Identität zu leben. Mattia Pascal kann auf Geld, Sprache, Bildung und Kultur zurückgreifen; er lebt in einer weniger bürokratischen und mehr auf zwischenmenschlichen Beziehungen basierenden Gesellschaft - und geht dennoch vor die Hunde. Wie tragisch wäre seine Geschichte geworden, wäre er zudem noch fremd, arm und verfolgt gewesen? Vermutlich selbst für Pirandello zu traurig.
Mit einem Gruß aus dem absurden Neapel
Pause